Ringen um die Schach-WM: Kramniks strategische Verschiebung

Weil Wladimir Kramnik überraschend souverän die 10. Partie gewann, konnte Viswanathan Anand noch nicht die Verteidigung seines Titels feiern.

Unerwartetes Comeback: Wladimir Kramnik (li.).

Mit seiner Wiederauferstehung hat Wladimir Kramnik die Fans in Verzückung versetzt. "Ich bin begeistert, dass er diese Partie gewann!", bekannte Robert von Weizsäcker, nachdem Kramnik die 10. Partie der Schach-Weltmeisterschaft gewonnen hatte. Von Weizsäcker, Präsident des Deutschen Schachbundes (DSB), outete sich in der Bonn Kunsthalle als "Fan des Kramnik-Stils, den ich auch pflege". Der Fernschach-Großmeister, der von seinem Vater, dem Alt-Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, das königliche Spiel erlernte, versucht, "ähnlich mit langfristigen Strategien zu spielen" wie der Russe.

Erstmals konnte Kramnik am Montag Weltmeister Viswanathan Anand seinen positionellen Stil aufzwingen. Prompt setzte sich der 33-Jährige unerwartet leicht in nur 29 Zügen durch. Nach diesem ersten Sieg in der zehnten Runde kann aber keinesfalls von einem Befreiungsschlag geredet werden. Anand führt in dem mit 1,2 Millionen Euro dotierten Zweikampf weiter recht komfortabel mit 6:4. Heute (15 Uhr) will der Inder dank des "Aufschlags" mit den weißen Steinen mindestens das fehlende Remis holen - ansonsten geriete das letzte Duell am Freitag in der Bundeskunsthalle zur Zitterpartie. Bei einem 6:6 würde am Sonntag ein Schnellschach-Tiebreak folgen.

Während Anand mit betretener Miene seine erste Niederlage kommentierte, strahlte sein Herausforderer übers ganze Gesicht. "Ich bin glücklich, dass ich noch eine Partie spielen darf. Meine Chancen verbesserten sich durch den Sieg", konstatierte Kramnik grinsend und ergänzte froh gelaunt, "aber sie liegen immer noch unter 50 Prozent." Einen Hoffnungsschimmer sieht der Russe inzwischen, nachdem er zunächst von Anand bis zum 4,5:1,5 völlig an die Wand gespielt worden war. "Zuletzt geriet ich endlich nicht mehr in der Eröffnung unter Druck", nannte der 33-Jährige einen der Gründe für sein Comeback in dem eigentlich von allen Experten schon abgehakten Duell. Anands Anhang hatte sich bereits auf das heute beginnende "Diwali" eingestimmt. Rechtzeitig vor dem viertägigen Familienfest in Indien, vergleichbar mit dem hiesigen Weihnachten, sollte ihr Superstar den WM-Titel endgültig verteidigen.

Doch wie in der neunten Partie bestimmte Kramnik das Geschehen. Diesmal ließ er allerdings seinen Widerpart nicht mehr entwischen. "Mein Vorteil war nicht gewaltig, aber ich mochte meine Stellung", analysierte Kramnik. Anand hatte einen Zug "übersehen und fand danach keine Rettung mehr".

Kramnik zeigte sich "angenehm überrascht, wie leicht ich die Position plötzlich gewann. Es sah so aus, als ob ich nichts Spezielles getan hätte." Tatsächlich schaffte es der Mann, der von 2000 bis 2007 Weltmeister war, jedoch, der Partie seinen Stempel aufzudrücken. Statt der Taktik, der Domäne Anands, regiert plötzlich die langfristige Strategie mit subtilen Manövern - Kramniks Spezialität auf den 64 Feldern.

Zum Erfolg trug vor allem bei, dass der Schlaks von der Schwarzmeer-Küste eine Neuerung in der Eröffnungstheorie spielte. Im 18. Zug zog Weiß seinen Turm von d1 nach e1. "Das sah komisch aus, aber Schwarz hatte die schwere Qual der Wahl", erläuterte Kramnik. Der "trickreiche Turmzug" verwirrte Anand, der alsbald fehlgriff. "Nach dem Bauernzug nach f6 sah ich keine Rettung mehr für Schwarz", unterstrich Kramnik. Der "Tiger von Madras" verbrauchte vergeblich den Großteil seiner zwei Stunden Bedenkzeit. Zuvor hatte sich stets Kramnik in Zeitnot befunden und gepatzt.

Diesmal konnte es der Russe verschmerzen, eine Minute seiner Bedenkzeit verschenkt zu haben. "Ich hoffe, dass der Vorfall niemanden pikierte", ulkte der Weltranglistensechste und erklärte, warum er nicht pünktlich um 15 Uhr am Brett saß: "Meine Limousine geriet in einen kleinen Stau, normalerweise bin ich ansonsten immer fünf Minuten vorher da."

Der auf die Verspätung folgende, so unerwartete Sieg "freut" den Beobachter von Weizsäcker, weil sein schachliches Vorbild bei einem Remis "mit einem Drei-Punkte-Rückstand unter Wert geschlagen worden wäre". An einen 6:6-Ausgleich und eine Verlängerung glaubt das Oberhaupt der rund 100.000 deutschen Vereinsschachspieler freilich kaum. "Der Erfolg belebt das Match. Aber die Wahrscheinlichkeit liegt dennoch sehr, sehr hoch, dass Anand Weltmeister bleibt", prognostiziert der Professor für Volkswirtschaftslehre an der TU München und ergänzt: "Kramnik kann jetzt wenigstens erhobenen Hauptes aus der WM gehen."

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