Extremsport in den Alpen: Laufen, fliegen, laufen

Die Teilnehmer des X-Alps müssen sich 800 Kilometer durchs Hochgebirge schlagen. Zwar dürfen sie einen Paraglider benutzen, müssen aber zu Fuß die Berge hoch.

Start der Extremsportler im beschaulichen Zentrum von Salzburg. Bild: reuters

SALZBURG taz | Natürlich war es reiner Zufall, dass Hannes Arch genau in dem Moment einen Schluck aus der silbernen Dose nahm, als er aufs Podium gebeten wurde. Der Österreicher ist Weltmeister der von einem nicht ganz unbekannten Energydrink-Hersteller gesponsorten Air-Race-Serie und mit dem Paraglider schon vom Eiger und der Matterhorn-Nordwand gesprungen.

Ein wilder Hund, wie man so sagt. Und er ist Erfinder der von der gleichen Firma finanzierten X-Alps, des wohl härtesten Wettkampfs, den man mit einem Paraglider bestreiten kann: Mehr als 800 Kilometer quer durch die Alpen, von Salzburg bis Monaco. Arch sagt: "Es ist die schönste Art des Fliegens."

Das mit dem Fliegen ist allerdings so eine Sache. Denn um das zu tun, muss man erst mal nach oben. Und das kommt man bei den X-Alps nur zu Fuß. Denn die Regeln sind übersichtlich: Fliegen, wenn man fliegen kann. Ansonsten: laufen. Wer will und kann gerne auch in der Nacht, mit Stirnlampe. Fliegen ist erst ab sechs Uhr morgens erlaubt.

Trotzdem machen sich alle zwei Jahre 30 Athleten aus aller Herren Länder, darunter der Oberstdorfer Michael Gebert, auf den je nach Witterung gut zweiwöchigen Höllentrip. Ein Begleiter sorgt vom Auto aus für Verpflegung und für ein paar Stunden Nachtquartier. Es herrscht freie Routenwahl, bis auf die sogenannten Turnpoints an Watzmann, Großklockner, Marmolada, Matterhorn, Mont Blanc und Mont Gros kurz vor Monaco. Tunnels dürfen nicht genutzt werden.

Wenn sich heutzutage Skateboarder oder BMX-Fahrer in eine Halfpipe stürzen, wenn Freeclimber luftige Höhen erklimmen, dann ist Red Bull gewöhnlich dabei. Der österreichische Limonadenhersteller aus Fuschl am See unterstützt Hunderte von Extrem- und Trendsportlern und finanziert meist die dazugehörigen Events, darunter selbst Papierflieger-Wettbewerbe. Mit diesem alternativen Marketing hat sich der Konzern ein cooles Image und eine Quasi-Monopolstellung bei Energy-Drinks gesichert. 2005 gingen 900 Millionen in die Werbung, ungefähr ein Drittel des Umsatzes. Damit engagiert sich der Branchenführer nun vermehrt im Mainstream-Sport: Der heimatliche Fußballverein Red Bulls Salzburg steht auf der Liste, aber auch die New York Red Bulls und Red Bull Brazil. Mit RB Leipzig soll auch der deutsche Fußball erobert werden. In der Formel 1 fährt man mittlerweile um den Titel mit. Bleibt die Frage, ob die Überflieger aus Österreich nicht die bisherige Zielgruppe vergrätzen, wenn die verflüssigten Gummibärchen nicht mehr nur bei internationalen Party-People angesagt sind, sondern auch bei schlichten Fußballfans auf der TV-Couch.

Preisgeld: 10.000 Euro. 48 Stunden, nachdem der erste Athlet das Ziel erreicht hat, ist das Rennen zu Ende - egal, wo sich die Konkurrenz gerade befindet. Beim letzten Mal schafften es überhaupt nur fünf Athleten bis ans Meer.

Es ist das mittlerweile vierte Rennen dieser Art. Zuvor lag der Start für die Flieger günstiger: auf 2.653 Meter Höhe am Dachstein-Gletscher. Doch da sich dort oben nur die ganz eingefleischten Fans einfanden, ging man auf das breite Publikum zu und startete am vergangenen Sonntag auf 424 Metern über Null: mitten in der Salzburger Altstadt. Zu Füßen einer Mozart-Statue war vor dem Start eine kleine Bühne aufgebaut, Basejumper mit bunten Rauchfahnen an den Beinen fielen aus einem Hubschrauber vom Himmel, Paraglider landeten nach akrobatischen Volten direkt neben dem Springbrunnen zwischen Dom, Residenz und Cafe Demel.

Ein paar versprengte Touristen blieben stehen und starrten die Sportler mit ihren strahlend blauen Trikots, schwarzen Leggings und den gewaltigen Rucksäcken auf dem Buckel verständnislos los an. Aus Lautsprechern wurde ein Countdown runtergezählt, auf englisch. Und dann liefen sie los, vorbei an japanischen Reisegruppen und den Pferdeäpfeln der Touristen-Kutschen, hinauf zum knapp 1.300 Meter hohen Gaisberg, dem ersten Wendepunkt.

Michael Gebert, der deutsche Starter, lag da noch auf Rang zwei, fiel aber in den folgenden Tagen zurück. Die Dauersieger aus der Schweiz sind mal wieder vorne. Alex Hofer hat die letzten beiden Rennen gewonnen - trotz 100 Kilo Kampfgewicht bei zwei Metern Körpergröße.

Der in China lebende Grindelwalder ist kein Laufwunder wie Toma Coconea, der "Running Man" aus Rumänien. Der lief 2007 mehr als tausend Kilometer und flog nur 330 Kilometer. Sieger Hofer lief nur 588 Kilometer und flog 900 Kilometer.

Auch in diesem Jahr liegt ein "Flieger" vorn: Der Schweizer Novize Christian Maurer schaffte es trotz widriger Bedingungen zwei Drittel der bisherigen Strecke zu fliegen. Bei guter Thermik legen die Sportler schon mal bis zu 200 Kilometer am Stück zurück, sind bis zu 60 km/h schnell, teilweise in mehr als 4000 Metern Höhe.

Eine aufwändig gestaltete Homepage gibt jederzeit Auskunft darüber, wo sich die Athleten befinden, ob sie gerade laufen, fliegen oder rasten, wieviel Kilometer sie zurückgelegt haben, in der Luft oder per Pedes. Was das Internet jedoch nicht weiß: Wie die Kameraden den chronischen Schlafmangel bekämpfen. Mit purem Adrenalin, gutem Zureden oder doch mit vielen silbernen Dosen. Hannes Arch wird es wissen.

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