Biathlethin Magdalena Neuner: Rasante Ausreißerin

Die emsige Medaillensammlerin Magdalena Neuner ist Deutschlands einziger echter Trumpf. Zur Anführerin ihrer schwächelnden Kolleginnen taugt sie indes nicht

Medaillensammlerin Magdalena Neuner mit ihrem ersten Gold. Bild: dpa

Den Ritterschlag von höchster Stelle erhielt Magdalena Neuner, noch ehe sie ihre erste olympische Goldmedaille ausgehändigt bekam. Ganz hibbelig vor Vorfreude wartete sie gerade auf das Signal für den Sprung aufs Treppchen, als Uwe Müßiggang, der Bundestrainer mit der grenzenlosen Bierruhe, seine Gedanken zur aktuellen Generationenungerechtigkeit in seinem Team zu Ende führte. Und weil sie alle zusammen mittendrin waren in den Biathlon-Wettbewerben von Whistler, musste natürlich auch über die nahe Zukunft gesprochen werden. Die für Deutschlands Skijägerinnen so aussieht: Heute, Donnerstag, 10 Uhr Ortszeit, Einzelrennen über 15 Kilometer.

Der Klassiker im Biathlonsport ist jene Disziplin, in der Nachlässigkeiten am Schießstand besonders scharf geahndet werden. Eine Strafminute kostet die Athleten jede einzelne ihrer Fahrkarten - für unsichere Kantonisten stets eine ganz spezielle Nervenprobe. Magdalena Neuner zählte meist zu diesen Wackelkandidatinnen, und wenn es in der Vergangenheit darum ging, aus seiner starken Mannschaft eine Frau für das Einzel zu streichen, senkte sich Müßiggangs Daumen oft über dem Kopf der jungen Oberbayerin. Wie zum Beispiel vor einem Jahr bei der WM im südkoreanischen Pyeongchang.

Jedoch: Jetzt ist Gegenwart, jetzt sind Olympische Spiele, jetzt ist Magdalena Neuner mit einer goldenen und einer silbernen Medaille aus zwei Rennen eine Bank für den Frauen-Coach. Und zwar seine einzige. Also verkündete der 58-Jährige, kaum dass er am olympischen Schießstand seine Ferngläser eingepackt hatte, zur Besetzung am Donnerstag: "Magdalena wird auf jeden Fall starten. Es sei denn, dass sie von sich aus sagt, dass ihr ein wenig die Kraft fehlt." Wuuusch, hatte sich des Trainers Schwert feste auf Neuners Schulter gelegt. Mein Goldkind, so Müßiggangs indirekte Botschaft, stellt sich hier selbst auf. Oder eben nicht.

Aber die erleichterte Magdalena Neuner ("Ich habe meine Schäfchen im Trockenen") will immer weitermachen bei dieser für sie so traumhaften Olympia-Premiere - heute im Einzel, am Sonntag beim Massenstart, am Dienstag in der Staffel. Und danach am besten auch gleich noch bei einem Seitensprung ins Quartett der Spezialistinnen, wie es Langlauf-Bundestrainer Jochen Behle längst beantragt hat. Im Idealfall könnte Neuner am Ende mit sechs Medaillen im Koffer nach Wallgau zurückkehren - in ihr geliebtes Heimatdorf, in dem 400 der insgesamt 1.400 Einwohner nach Neuners Verfolgungssieg am Dienstag eine wüste Party feierten.

Aber nicht allen ist in diesen Tagen nach Fete zumute. Neuners Teamkolleginnen Simone Hauswald, Andrea Henkel und Kati Wilhelm konnten sich nach ihrem trüben Sprintergebnis im Jagdrennen zwar allesamt um zehn Plätze und mehr verbessern, Henkels zehnter Platz blieb hinter der Siegerin allerdings die beste Platzierung einer deutschen Biathletin. Eine umwerfende Bilanz ist das nicht - und Neuners Teamkolleginnen bleibt da zunächst einmal nur die Bewunderung für die rasante Ausreißerin übrig.

Die dreimalige Olympiasiegerin Kati Wilhelm etwa berichtete anerkennend: "Lena wusste genau, was sie wollte. Sie hat ein brutales Selbstvertrauen." Und danach folgte das Eingeständnis: "Für uns Erfahrene ist das schon sehr erstaunlich." Ist die 23-jährige Neuner für Wilhelm (33), Henkel (32) und Hauswald (30) in Whistler doch im Handumdrehen zur Leitfigur geworden. Und wie stabil die Olympiaform von Martina Beck (30), Vierte im Bunde der älteren Damen und bislang noch gar nicht am Start, ist, wird sich heute zeigen.

Magdalena Neuner, die bei der Skijägerei am liebsten nur auf sich selbst achtet, für ihren Teil legt keinen gesteigerten Wert darauf, nun "die neue Leitwölfin" zu spielen. Bewusst gestützt wird sie von Uwe Müßiggang. Der Cheftrainer kennt die jüngste Frau in seinem Olympia-Sextett, zu dem noch die 23-jährige Tina Bachmann zählt, schließlich gut genug, um zu wissen, dass Neuners gepflegte Ich-mache-das-hier-nur-für-mich-Haltung die Essenz ihrer aktuellen Erfolge ist. "Von einer Wachablösung im Team", erklärt der Coach also, "würde ich nicht sprechen."

Im Gegenteil. "Ich wäre froh, wenn auch die älteren Damen noch weitermachen würden", ermuntert Müßiggang Henkel und Co für die nacholympische Zeit. Klar ist aus perspektivischer Sicht aber auch: "Es ist gut, wenn junge Athleten reinkommen und zeigen, dass sie in der Sonne stehen können." Denn, erzählt der Bundestrainer, "auch Tina Bachmann macht uns Spaß". Bei den jungen Sonnenanbeterinnen, von denen er spricht, meint er aber eigentlich nur eine. Magdalena Neuner.

Die aber will von einem neuen Nebenjob als Anführerin nichts wissen. Zum Alphatier eignet sich Neuner nur in der Loipe, ansonsten gilt: "Ich habe nicht den Drang, in der Hierarchie oben zu stehen." Zudem müsse man die interne Stimmung im Auge behalten. "Wir wollen abends ja auch einmal zusammen sitzen und einen Wein trinken oder eine Schokolade essen", sagt Neuner fröhlich - und nennt Details: "Es ist bei uns dann nicht so, dass eine auf dem Sessel thront und alle anderen auf dem Boden sitzen müssen."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.