Pro und Contra Magath: Sport und Spektakel

Tabellenführertrainer Felix Magath hat in Wolfsburg ein Spitzenteam geformt. Dennoch verlässt er den Klub und geht zu Schalke. Eine weise Entscheidung?

Geht zum FC Schalke: Felix Magath. Bild: ap

PRO VON ANDREAS RÜTTENAUER

Der traut sich was! Jetzt legt sich Felix Magath schon wieder mit den Bayern an. Erst macht er den Münchnern mit seinem VfL Wolfsburg den Stammplatz an der Tabellenspitze streitig. Jetzt wird er gar zum Mister Hollywood der Bundesliga und verdrängt die Trainersuche der Bayern erst einmal aus den Schlagzeilen. Recht so! Magath hat verstanden, worum es in der Liga neben dem sportlichen Erfolg auch immer geht: ums Spektakel.

Magath sucht die Show. Das Publikum wird es ihm danken. Ebenso die Marketingstrategen in den Klubs. Die Bundesliga bleibt im Gespräch. Da kann Manchester United den FC Arsenal im Halbfinale der Champions League noch so sehr an die Wand spielen - Thema der Tages ist nicht Cristiano Ronaldo, sondern der zukünftige Extrainer des VfL Wolfsburg. Und während gestern Chelsea gegen Barcelona den zweiten Finalisten in der Königsklasse ausgespielt haben, worüber wurde in den Kneipen geredet? Der Wechsel Magaths nach Gelsenkirchen ist das nationale Fußballthema der Woche.

Es sind die überraschenden Momente im Zusammenspiel, es sind die physikalisch unmöglich erscheinenden Kabinettstückchen der großen Künstler auf dem Feld, die die Faszination Fußball ausmachen können. Doch wenn es das alleine wäre, warum ist dann Basketball, Volleyball oder Eishockey nicht genauso populär wie der Kicksport. Ihnen fehlt der Hollywood-Faktor. Jede Menge Fans gibt es, die wollen nicht nur wissen, wie viele Zweikämpfe ein Spieler gewonnen hat, wie viele Kilometer er in 90 Minuten zurückgelegt hat. Sie interessieren sich genauso dafür, wie viel er verdient, ob er seinen Vertrag verlängert, mit welcher als Moderatorin gescheiterten Blondine er seine Frau betrogen hat. Und: Sie wollen lieben und hassen. Wenn einer wie Magath den soliden Volkswagen-Klub Wolfsburg verlässt, um zum FC Schalke 04 zu wechseln, einer fundamentalistischen Religionsgemeinschaft mit angeschlossener Fußballmannschaft, dann ist das ein Zeichen dafür, dass die Bundesliga als Gefühlstheater quicklebendig ist.

Was wird das für eine Show in der nächsten Saison! Erst ein herzlicher Empfang durch die Fans. Zunächst vielleicht erste Misserfolge. "Magath raus!"-Rufe aus 40.000 von echtem Hass entstellten Gesichtern. Der ewige Aufsichtsratsvorsitzende aus der Fleischbranche, der immer mitreden darf, obwohl er vom Fußballsport nur bedingt etwas versteht. Ein Exmanager, der glaubt, für Unruhe sorgen zu dürfen, weil er sich für eine Inkarnation des Klubs hält. Ein Beinahe-Rauswurf. Ruhiges Arbeiten wird es nicht geben auf Schalke. Dann plötzlich Siege in Serie. Die Meisterschaft gar?

Ein Titelgewinn mit Wolfsburg wäre sicherlich bemerkenswert und brächte Magath viel Ehre ein. Die Schale für Schalke würde ihn zu einem Volkshelden machen, zum Heilsbringer, zum König der Königsblauen. Im täglichen "Schalkeunser!" der verzückten Fans würde er zum angebeteten Gott. Die Bundesliga lebt von den ganz großen Gefühlen. Felix Magath hat die Rolle als Emotionskatalysator angenommen. Vielen Dank dafür!

CONTRA VON MARKUS VÖLKER

Nachhaltigkeit umschreibt eine "längere Zeit anhaltende Wirkung", so stehts im Duden. Nachhaltigkeit ist eine Vokabel aus dem Wortschatz der Weltretter und Wohltäter. Felix Magath hätte ein solcher werden können in der kleinen großen Autostadt Wolfsburg.

Alles war bereitet für ein nachhaltiges Arbeiten. Umfassende Kompetenzen hatte er als Trainer und Manager in Personalunion. Mit VW-Millionen durfte er einen Kader zusammenbauen, der sich prächtig in der Liga bewährte. Sogar Meister können die Wolfsburger ja noch werden. Wolfsburg, dieses industrielle Konstrukt, das Eisenhüttenstadt der BRD, lag Magath zu Füßen. Nach dem Gewinn der Meisterschale hätten sie ihm auf ein Schild gehoben, der VW-Konzern hätte womöglich eine Sonderedition "Felix" seines geländegängigen Flaggschiffs herausgebracht. Kurzum: Magath wäre zum berühmtesten Wolfsburger aufgestiegen; Vorstandschef Winterkorn hätte er im Dekor des Meistertrainers in den Schatten gestellt. In puncto Auftreten stand er den Automanagern eh in nichts nach. Magath hat ganz gut zu Wolfsburg gepasst. Wenn er noch ein bisschen mehr Wert auf laptopgestütztes Feintuning gelegt hätte, dann wäre die Verbindung perfekt gewesen.

Mit der Nachhaltigkeit ist es vorbei. Magath geht zu Schalke. Er kümmert sich noch um die Sommerplanung, alles andere bleibt seinem Nachfolger überlassen. Von Magaths Erbe wird bleiben: Spieler mit langfristigen Verträgen. Doch wer weiß, wie schnell sich zahlungskräftige Klubs dieses Erbes bemächtigen, nun, da der Spiritus Rector wolfsburgiensis abwandert.

Schalke mag mehr Geschichte und Glamour haben, auch ist der Export von Magaths Machtfülle nach Gelsenkirchen nicht zu verachten, aber kann das Modell Magath in einem Klima königsblauer Dauererregung überleben? Die Störfaktoren sind vielfältig, andere Macher, die ihr überdimensionales Ego dem Klub zumuten, sind mit im Spiel. Magath kann nicht mehr nur herrschen, er muss künftig auch wieder ein bisschen teilen. Den Status des Sonnenkönigs, den er sich in Wolfsburg erarbeitet hatte, den gibt er mit seinem Wechsel auf. Man könnte das mutig nennen - oder aber verwegen. Glaubt Magath, er kann schalten und walten wie weiland in Wolfsburg? Macht er sich nicht etwas vor, wenn es um seine Gestaltungsfreiheit im Veltins-Gazprom-Tönnies-Fleischwerk-Klub geht?

Magath ist Wolfsburg wohl zu klein geworden. Auch das VfL-Image störte. Viele Fans sehen Wolfsburg nur als Retortenklub. Gegen dieses Negativimage wollte sich Magath nicht mehr stemmen. Er hat gewusst, dass seine Leistungen außerhalb von Wolfsburg nicht so gewürdigt werden, wie er sich das erhofft hätte - eben weil der VfL nur die Bühnenshow für fleißige Bandarbeiter ist.

Nachhaltigkeit ist ein Wort, das auf Schalke nicht so oft buchstabiert wird. Das könnte sich unter Felix Magath ändern, obwohl er nie länger als drei Jahre am Stück irgendwo gearbeitet hat. Aber wer weiß schon so genau, ob es sich bei der lieben Nachhaltigkeit um einen Anachronismus oder eine Utopie handelt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.