Dopingberichterstattung im Radsport: Was für eine schöne Familie

Wenn die Nachtigallen singen: Doping im Radsport ist nicht nur in deutschen Medien ein Thema. Aber überall wird ein wenig anders damit umgegangen.

Der Radsport wird von Land zu Land aus unterschiedlichen Perspektiven wahrgenommen: Mal mit, mal ohne Doping. Bild: ap

Ein deutscher Radsportjournalist trifft auf italienische Kollegen. Die erzählen ihm: "Wir haben heute Johnny Schleck gesehen. Er hat seine Söhne Andy und Frank besucht." Der deutsche Journalist spekuliert: "Da wird er ihnen ja eine schöne Ladung Dopingpräparate mitgebracht haben." Die Italiener stutzen: "Ihr Deutschen müsst überall nur Doping vermuten. Wir haben gedacht: Was für eine schöne Familie. Die verstehen sich. Die halten zusammen."

Radsport wird von Land zu Land unterschiedlich wahrgenommen. Und es wird unterschiedlich darüber berichtet. In Deutschland mag der Sport das kleine und Doping das große Thema sein. In Dänemark ist die Beichte von Bjarne Riis schon so lange her, dass die sportlichen Aspekte wieder in den Vordergrund gerückt sind. In Frankreich beschäftigen sich Le Monde und Libération konsequent mit Doping, während der Rest der Medienwelt hauptsächlich das sportliche Ereignis Tour de France zum Mittelpunkt der Berichterstattung macht.

In Italien findet diese Aufspaltung bereits innerhalb der Redaktionen statt. "Wir haben die Spezialisten, die bei Dopingfällen herangezogen werden, und wir anderen sind die Nachtigallen, die den Sport besingen", sagt Marco Pastonesi von Italiens führender Sportzeitung La Gazzetta dello Sport. Wegen der redaktionsinternen Dopingspezialisten verfolge die Gazzetta das Thema Doping aber mehr als andere, denkt Pastonesi.

"In den USA findet Radsport in den großen Medien so gut wie gar nicht statt. Nur im Internet wird ausführlich berichtet", hat Andrew Hood vom Web-Magazin Velonews beobachtet. Doping nimmt für Hood etwa ein Drittel seiner Arbeit ein. "Ich bin Radsportjournalist. Da gehört das Thema Doping doch dazu", sagt er trocken.

Mit Armstrongs Rückkehr ist dieses Thema aber an den Rand gedrängt worden. "Die Leute wollen jetzt hauptsächlich wissen, was Armstrong macht", erklärt Hood.Zwar waren auch die Dopingverdächtigungen gegenüber Armstrong ein Thema in der US-Presse. "Aber wir haben ein Problem: Wir können nur über Fakten berichten. Wenn wir über Verdachtsmomente schreiben, laufen wir Gefahr, verklagt zu werden." US-Medien haben die diversen Rechtstreite, mit denen Armstrong europäische Verlage überzogen hat, zum Anlass genommen, eigene kritische Veröffentlichungen zurückzuhalten.

Ähnlich sieht es Philippe Brunel, Kolumnist der französischen Sportzeitung LÉquipe: "Ich bin Journalist, kein Richter und kein Polizist. Ich schreibe nicht über Verdächtigungen, sondern nur über Fakten. Aber ich glaube, die Leser können das Puzzle zusammensetzen." Auch Pastonesi von der Gazzetta berichtet über Doping nur bei einer positiven Kontrolle oder einer Strafe: "Dann geht es von null auf hundert", sagt er.

Für Lars Werge, Mitarbeiter der Kopenhagener Tageszeitung Ekstra Bladet, ist Doping hingegen der Untergrund, auf dem er sich bewegt, wenn er über Radsport schreibt. "Wir müssen doch damit leben, dass ein Fahrer, der heute ein Rennen gewonnen hat, in fünf Tagen vielleicht disqualifiziert wird." Zur Beurteilung der Leistungen gehöre daher unbedingt der Doping-Aspekt, meint er. Aber er könne nicht jeden Tag darüber schreiben: "Es ist so schwer, weil so schwer an Fakten heranzukommen ist. Gegenwärtig tun die Teams so, als existiere gar kein Dopingproblem mehr."

Werge hat eine Verschiebung der Akzente ausgemacht. "Vor zwei Jahren war Michael Rasmussen das Top-Thema. Die französischen Medien konnten ihn als Feindbild aufbauen. Doch jetzt ist Doping in die untersten Spalten der LÉquipe abgerutscht. Das hat sicher auch mit den Machtverschiebungen bei der ASO zu tun", vermutet er.

Der Tour-Veranstalter ASO gehört zum selben Konzern wie LÉquipe. Und weil nun aus Frankreich weniger neue Nachrichten über Doping kommen, ist es auch in Dänemark weniger ein Thema. Hinzu kommt, dass viele Dänen Bjarne Riis verziehen hätten. "Er hat es doch zugegeben, sagen sie. Doch man darf nicht vergessen, dass er 17 Jahre lang gelogen hat. Er ist ein Wiederholungstäter. Da reicht eine einmalige Beichte nicht aus", findet Werge. Konsterniert nimmt er zur Kenntnis, dass in einigen dänischen Medien Riis und sogar Rasmussen als Kolumnisten engagiert sind.

Der Umgang mit dem Thema Doping ist vielfältig. Man verliere die Poesie, wenn man nur noch aufs Doping starrt, befürchtet "Sänger" Pastonesi. Ohne tiefe Kenntnisse über Doping ist über den Sport nicht zu schreiben, ist der analytische Werge überzeugt. Solange Sportler dopen, werden Journalisten davon berichten, egal, ob Poeten oder Analysten.

Das Doping-Problem entfaltet im Sportjournalismus sogar eine heilsame Wirkung. Es löste zwar einen schmerzhaften Vertrauensbruch aus, führt aber auch zur kritischen Distanz zwischen Beobachter und Objekt. Der Sportjournalismus ist gewachsen. Jetzt muss der Sport selbst nachziehen, Doping als gegenwärtige Betriebsbedingung anerkennen und wirksam bekämpfen. Dann, vielleicht, kommt das Vertrauen wieder. Dann dürfen auch die Nachtigallen wieder singen.

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