Das deutsche Fußballspiel: Schicken und schicken lassen

Sie sind keine Zauberer. Sie sind die Läufer am Ball. Sie passen und bieten sich an. Sie sind schnell. Und vermeiden damit den Zweikampf in der Offensive. Ein Erfolgsmodell.

Schnelles Spiel von Müller: Den Argentiniern Gabriel Heinze und Angel Di Maria (re) bleibt nur das Nachsehen. Bild: dpa

KAPSTADT taz | Oh wie ist das schön! Klar, dass die Fans das nach einem 4:0 gegen Argentinien trällern. So schön! Doch der schier unglaubliche Nachmittag von Kapstadt hat nicht nur die Fans beeindruckt. Der neue deutsche Fußball wird allenthalben gefeiert. So schön?

4:1 gegen England, 4:0 gegen Argentinien. Natürlich ist die ganze Fußballwelt beeindruckt vom Auftreten der deutschen Nationalmannschaft. Doch während in Deutschland von der Schönheit des neuen deutschen Fußballs geschwärmt wird, wird andernorts die deutsche Kraft besungen, das Tempo, das die Deutschen vorlegen können, the german machine.

Es läuft die 73. Minute des Spiels Deutschland gegen Argentinien. Bastian Schweinsteiger hat Lust aufs Spielen. Er spaziert derart sicher durch die gegnerische Abwehr, dass sich manch einer an Diego Maradonas legendäres Solo gegen England bei der Weltmeisterschaft 1986 erinnert fühlt. Sein finaler Pass beschert Arne Friedrich das erste Länderspieltor seiner Karriere. Schweinsteigers Lustlauf in den argentinischen Strafraum hinein, ist der Messi-Moment des Spiels. Schweinsteiger hat für den zauberhaftesten Moment des Spiels gesorgt. Das war einfach schön! Aber typisch ist das nicht für das deutsche Spiel.

In Joachim Löws Art, Fußball spielen zu lassen, sind Dribblings nicht vorgesehen. Er lässt keinen Zungenschnalzerfußball spielen. Schon vor dem Spiel hatte er gesagt, was er von seinen Spielern erwartet. Sie sollten laufen, laufen, laufen. Und sie sind gerannt wie die gesengten Säue. Wenn es einem Lionel Messi gelingt, ein zwei, drei Gegenspieler aussteigen zu lassen, dann geht ein Raunen durch das Publikum im Stadion. Auch im Spiel gegen Deutschland ist ihm das ja ein, zwei, drei Mal gelungen. Da spielt ein Fußballer schön. Ein Raunen geht auch durch das Stadion, wenn die Deutschen ins Rennen kommen. Dann wird das Tempo bestaunt und die Präzision des Passspiels. Da spielt eine Mannschaft schön.

Vom Willen seiner Spieler hat der Bundestrainer geschwärmt nach der Demontage von Diego Maradonas Einzelspielerfußball, vom Willen weite Wege zu gehen. Da spielt eine deutsche Mannschaft Argentinien regelrecht an die Wand, das ganze Land schwärmt vom neuen Kreativspiel made in Germany und Joachim Löw redet beinahe so wie etliche seiner Vorgänger.

Feiert das, was als überwunden galt, eine Wiedergeburt in Südafrika? Ist das, was man lange als typisch deutsche Tugenden im Fußball gefeiert und dann regelrecht verteufelt hat, jetzt doch wieder das Erfolgsgeheimnis einer Mannschaft aus dem Lande Berti Vogts'? „Natürlich wissen die Spieler, dass sie gute Fußballer sind.“ Auch das hat Joachim Löw gesagt. In einem Nebensatz war versteckt, was den Unterschied zum alten deutschen Panzerfußball ausmacht. Statt Ballschlepper mit bescheidenen technischen Qualitäten laufen nun begabte Kicker mit dem Adler auf der Brust auf.

Schicken und schicken lassen. Das ist Löws Spielmotto. Passen und anbieten. So werden die Gegenspieler ausgespielt. Der Zweikampf Eins gegen eins wird im Offensivspiel tunlichst vermieden. Der Ball läuft schneller als der Mensch. Aber nur wenn der Ball präzise gespielt wird, kann derjenige ihn erlaufen, für den er gedacht war. Dass das so oft schon gelungen ist, in diesem Turnier, gibt der Mannschaft die Gewissheit, dass sie richtig liegt. Dass es überhaupt gelingen konnte, liegt an der technischen Versiertheit der Spieler.

Mesut Özil wird zurecht als Spielmacher gefeiert, auch wenn er in diesem Turnier den Ball nicht auf der Zehenspitze hat balancieren lassen. Es ist seine Übersicht, seine Passgenauigkeit und, ja auch das, seine Schnelligkeit, die ihn unverzichtbar gemacht haben im deutschen Kreativspiel. Und da ist Thomas Müller, der phänomenale 20-Jährige, dem – auch wenn er bedrängt wird von zwei Gegenspielern – beinahe immer eine Lösung einfällt, die das Angriffsspiel weiterbringt. Das zeigt, welch guter Kicker er ist. Dass er so auffällt, liegt auch dran, dass er auf der rechten Seite in einer Geschwindigkeit rauf und runter läuft wie kein zweiter in diesem Turnier. Die Spanier werden froh sein, dass er gesperrt ist für das Halbfinale, nachdem er wegen eines Handspiels die zweite Gelbe Karte dieses Turniers gezeigt bekam.

Über der Urgewalt, mit der Lukas Podolski seinen Körper bei Schüssen hinter den Ball bekommt, hat man – vielleicht auch er selbst – bisweilen vergessen, wie gut auch er Fußballspielen kann. Podiolski hat Ideen und kann sie umsetzen. Profitiert hat davon im Spiel gegen Argentinien einmal mehr Miroslav Klose. Der hat bei dieser WM schon vier Tore geschossen. Wenn er weiter so im Sturmzentrum arbeitet wie bisher, wenn er weiter eine sichere Anspielstation in der Spitze ist, man hat es sich kaum noch vorstellen können, auch Klose kann gut Fußball spielen, und wenn er weiter so schnell ansprintet, er könnte als bester WM-Torschütze aller Zeiten in die Annalen eingehen. 15 WM-Tore hat der bislang beste geschossen – Ronaldo. Das 4:0 am Samstag war Kloses 14. WM-Treffer.

Sie bewegen sich alle auf ihre eigene Art über den Platz, die vier Offensivspieler in Löws 4-2-3-1-System. Sie bewegen sich schnell. Sie sind die rasenden Kreativspieler des Turniers. Sie sind keine Zauberer am Ball, sie sind, ganz wie Joachim Löw sich das vorstellt, Läufer, die mit dem Ball umgehen können. Dabei kommt es gar nicht so sehr darauf an, viel zu laufen und weite Wege zu gehen. Die Argentinier sind mehr gelaufen als die Deutschen am Samstag. Es kommt darauf an, den richtigen Weg zu finden, und den möglichst schnell.

Dass sie so lange so schnell laufen können, dafür mussten die Spieler hart arbeiten. „Fußball funktioniert nur noch unter Hochgeschwindigkeit: Beschleunigung und abruptes Stoppen. Das hat das komplette Spiel verändert. Darauf bereiten wir die Athleten vor", das hat Mark Verstegen, der Fitnesstrainer, mit dem Jürgen Klinsmann vor vier Jahren die Turniervorbereitung professionalisiert hat, vor der WM gesagt.

Kaum eine andere Mannschaft ist in der Lage auch am Ende einer zweiten Halbzeit, das Tempo beinahe nach Belieben zu erhöhen.Wieder einmal haben die Deutschen eine der fittesten Mannschaften in eine WM geschickt. Weil es einfach gute Fußballer sind, die so fit durch das Turnier marschieren, sieht der Fußball so anders aus, als in vielen Jahren zuvor. Die deutsche Maschine läuft. Sie läuft schön.

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