die wahrheit: Der homosexuelle Mann

Der homosexuelle Mann hat Stil und Geschmack. So lautet ein Vorurteil, das Heterosexuelle gern anführen, um die ansonsten üblen Bilder über die warmen Brüder abzumildern...

... Der Spiegel deutet in dieser Woche gleich alle Verwerfungen deutscher Fußgängerzonen - "bis in die Provinz" - als "Spuren schwulen Stils": "Parfümerien mit Kosmetik für Männer, die Latte-macchiato-Bars, die Tattoo- und Piercing-Läden". Das ist nett gemeint! Früher gab es diese Idioten, die machten Homosexuelle verantwortlich für Missernten und schlechtes Wetter, und unlängst gab ein ehemaliger US-General den Schwulen eine Mitschuld am Völkermord 1995 in der Muslim-Enklave Srebrenica.

Die dümmsten Vorurteile sind nicht totzukriegen. Ein Blick aber in die exklusiven Orte schwuler Begegnung würde jeden Heterosexuellen eines Besseren belehren: kein Stil und kein Style, stattdessen Uniformität allüberall, ein Einheitslook bei den Klamotten, im Gesicht und auf dem Kopf.

Wahrer Stil und Geschmack kommen anders daher. Etwa so wie in einem Interview des multinationalen Lifestyle-Magazins Vice mit einem der weltweit bekanntesten Homosexuellen, Karl Lagerfeld. Befragt hat ihn der schwule Porno- und Independentfilmer Bruce LaBruce - "ein Treffen unter Schwuchteln" -, und erstmals plaudert das hanseatische Multitalent vergleichsweise offen über Liebe und Sexualität.

Homosexualität? "Da gibt es kein Problem. Es existiert nicht. Es ist kein Thema. Für mich war es das nie." Homo-Ehe? "In den 60ern sagten alle immer, dass wir das Recht haben, anders zu sein. Und jetzt wollen alle plötzlich ein bürgerliches Leben führen." Aids? "Es war schrecklich. Schlimmer als schrecklich. Es brachte eine ganze Generation von Leuten um." Schwulenbewegung? "Ich habe nichts damit zu tun." Gewalt gegen Schwule? "Mir ist so etwas in meinem ganzen Leben nie begegnet. Wogegen soll ich also kämpfen?" Pornografie? "Ich bewundere Pornodarsteller. Ich bewundere die Pornografie." Sex? "Ich persönlich mag nur hochklassige Escorts. Ich schlafe nicht gerne mit Menschen, die ich wirklich liebe."

Dass Lagerfeld so lebt und so reden kann? "Für reiche Menschen ist das durchaus möglich." Der Rest ist eine vernünftige Erziehung. "Als ich ein Kind war, fragte ich meine Mutter, was Homosexualität war, und sie sagte: ,Es ist wie eine Haarfarbe. Es bedeutet nichts. Manche Leute sind blond, und manche haben dunkle Haare. Es ist kein Thema.'"

Der Mann hat Stil, zweifellos. Und sein Geschmack hat Generationen von Frauen schön gemacht und lächerlich, elegant und überkandidelt, sinnlich und hohl. Der alte Mann in den Kinderjeans hat seine ästhetische Kompetenz genutzt als seine Chance des Überlebens, unabhängig von herrschenden Weltanschauungen und herrschender Moral. Denn was hat ein homosexueller Mann schon vorzuweisen als Daseinsberechtigung in dieser heterosexuellen Welt? Was ihm bleibt, ist das Vertrauen auf sein schöngeistiges Gespür und Geschick. Und sein Humor: "Meine Brille ist meine Burka", sagt Karl Lagerfeld.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.