die wahrheit: Hitler wird immer lustiger

Neues aus Neuseeland: Als wir erst ein paar Monate im Land der langen weißen Wolke lebten, damals im Vorort der langen weißen Strände, fuhr ich jeden Tag ...

Als wir erst ein paar Monate im Land der langen weißen Wolke lebten, damals im Vorort der langen weißen Strände, fuhr ich jeden Tag an einem großen Haus vorbei, in dem eine ziemlich coole Familie aus England lebte. Außer einem Jeep besaß sie den berühmten britischen Sinn für Humor.

In ihrem Fenster, für jedermann sichtbar, stand eine halbmetergroße Figur, die je nach Jahreszeit dekoriert wurde: Mal als Weihnachtsmann, mal als Osterhase, mal im Bikini und zur Rugby-Weltmeisterschaft selbstverständlich im schwarzen Trikot. Die Fensterpuppe war so was wie das Pendant zum ironischen Gartenzwerg.

Nie werde ich den Tag vergessen - was einfach ist, denn es war Anzac Day -, als ich an dem Haus vorbeikam und die neueste Verkleidung des Zwerges erblickte: Seitenscheitel, Bärtchen, Braunhemd. Im Fenster thronte Klein Adolf. Ich fuhr vor Schreck fast gegen eine Mauer. Irgendwie erwartet man so was nicht, wenn man gerade vom Surfen kommt und der Reichstag 18.000 Kilometer entfernt liegt.

Der Hitler-Dekor, damals für mich ein Schock, war lediglich ein nett gemeinter Beitrag zum Andenken an die Gefallenen beider Weltkriege. Um die geht es nämlich am Anzac Day. Geschichtsbezug mit Augenzwinkern, denn der alte Österreicher ist immer für einen Scherz gut - solange man aus England stammt. Dummerweise kam ich aus dem Land, das historisch weniger zu lachen hatte. Ich hoffte, dass es in jenem Vorort keine greisen jüdischen Immigranten gab, die auch an dem Fenster vorbeifahren mussten. Aber vielleicht sah ich das ja alles viel zu eng. Zu ernst. Zu deutsch.

Seitdem habe ich einiges erlebt. Hitler als Fotomontage für Sky-TV-Werbung und Pizza, Hitler als Kostüm auf Studentenfeiern und einem Oktoberfest. Acht Jahre später - abgestumpft, eingebürgert und antipodisch assimiliert - ertappe ich mich dabei, wie achtlos ich mit dem Wort "Nazi" umspringe. Denn auf Englisch hat das N-Wort mehr eine charakterisierende statt politische Bedeutung und geht viel leichter über die Lippen.

Wie schön trashig ist doch der Filmtitel "Surf Nazis must die"? Und wer kann sich nicht bildlich die "Clipboard Nazis" in Hollywood vorstellen - jene eiskalten Engel mit ihren Listen am Einlass der Filmpremieren, die sondieren und quälen wie einst Mengele an der Rampe? Okay, das ist wirklich ein geschmackloser Vergleich. Daran sieht man, wie weit es mit mir schon gekommen ist.

Bedenklich ist auch, dass ich mich neuerdings an Hitler-Parodien auf YouTube erfreue. Es gibt da diese Szene aus "Der Untergang", wo Bruno Ganz im Führerbunker wütet. Die wird in meinen Breitengraden gern zu jedem Thema umfunktioniert, den Originalton versteht ja eh niemand. Im neuesten Spot geht es um die schwerfällige Erdbebenkommission, die Tausende von Menschen in ihren zerstörten Häusern hängen lässt.

Davor war es die Debatte über das "Wellywood"-Schild in Wellington. Der Name der früheren Bürgermeisterin erscheint just dann im Untertitel, als der Führer speichelspritzend das Wort "Stalin" ausspuckt. Doch, doch, das ist sehr komisch.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Anke Richter ist Wahrheit-Kolumnistin, Buch-Autorin und Mitglied von Weltreporter.net in Neuseeland. Zuletzt erschien von ihr die Auswanderersatire "Was scheren mich die Schafe. Unter Neuseeländern - Eine Verwandlung" (Kiepenheuer & Witsch).

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.