die wahrheit: Im Jahr des Ochsen: Der Mackenreport

Wer längere Zeit in China lebt, der entwickelt bestimmte seltsame Verhaltensweisen und Reflexe. Solange man in China wohnt, bemerkt man sie natürlich nicht, weil dort alle diese Macken haben. Das ändert sich allerdings...

...wenn man sich wieder für einige Zeit in Deutschland aufhält. So war es auch bei mir, als ich neulich in Berlin ankam. Im ersten Treppenhaus, das ich hier betrat, stampfte ich zunächst einmal laut und vernehmlich mit dem rechten Fuß auf, kaum hatte sich die Eingangstür hinter mir geschlossen. Ein solches Verhalten führt in China dazu, dass sofort das Licht angeht, denn die Lampen in Fluren und Treppenhäusern werden dort fast überall von Geräuschmeldern gestartet. In Deutschland aber konnte ich stampfen, so viel ich wollte. Es passierte nichts. Ich wurde nur von einer Nachbarin angestarrt, die sich offenbar fragte, ob ich sie nicht mehr alle hätte.

Das Licht in deutschen Fluren ist allerdings ein minderes Problem. Nach einigen vergeblichen Stampfereien habe ich mich mir schnell angewöhnt, wieder nach dem Lichtschalter zu suchen. In deutschen Restaurants und Kneipen weiß ich aber immer noch nicht, was ich tun soll, um die Bedienung auf mich aufmerksam zu machen. In China ist das einfach. Man brüllt einfach ganz laut "Xiao Jie" ("Fräulein") durch den ganzen Laden, dann kommt sie auch schon angerannt. Aber was macht man in Deutschland? Schon wie man die Bedienung ansprechen soll, ist mir entfallen. "Fräulein" darf man ja wohl nicht mehr sagen, "Herr Ober" klingt nach 19. Jahrhundert und "Bedienung" irgendwie von oben herab. Außerdem ist lautes Rumschreien - so viel erinnere ich noch - ebenso verpönt. Also versuchte ich es mehrmals mit einem leisen "Hallo". Aber auch hierfür erntete ich böse Blicke, und eine Kellnerin maunzte mich an: "Jetzt mal ganz langsam. Ich komme schon zu ihnen, wenn sie dran sind."

Auch sonst muss ich dauernd aufpassen, dass ich nichts falsch mache. Holte ich mir anfangs in jedem Restaurant eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche, um mir wie automatisch eine anzuzünden, lasse ich das inzwischen schön bleiben. Ich zwinge mich auch dazu, mich in der U-Bahn nicht sofort an den Aussteigenden vorbei in den Waggon zu quetschen, sobald die Türe aufgeht. Genauso versuche ich beim Einsteigen das übliche Geknuffe und Gepuffe zu vermeiden. Ich bleibe neuerdings auch an einer roten Ampel wieder stehen, wenn sich in der Nähe ein Polizist aufhält. In Peking kann ein ganzes Schock Polizisten am Straßenrand patrouillieren. Das hält trotzdem keinen davon ab, konsequent rote Ampeln zu ignorieren.

Nach ein paar Wochen hierzulande habe ich mir also meine China-Macken ganz langsam wieder abgewöhnt. Ich erschrecke auch nicht mehr, wenn am Sonntag auf den Straßen der deutschen Metropolen weniger los ist als auf einem durchschnittlichen chinesischen Friedhof. Allerdings geben mir meine Verhaltensänderungen doch zu denken. Ich fürchte, dass ich bei meiner Rückkehr nach Peking dort kaum mehr lebensfähig sein werde.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.