die wahrheit: Nasenreiben unter Wellblech

Der Klimawandel erreicht die große kalte Insel des Nordens. Eine Reise nach Grönland.

Aus schierer Langeweile erschlägt der gemeine Grönländer gern mal eine süße, unschuldige Jungrobbe. Bild: ap

Ich befinde mich im Landeanflug auf Nuuk, die quirlige Hauptstadt Grönlands, der riesigen Schneewehe am Rande der Welt, deren Bewohner unlängst nicht nur gewaltige Bodenschätze unter ihren Iglus, sondern auch prompt ihr Herz für die staatliche Unabhängigkeit von Dänemark entdeckt haben. Zwar waren noch bis vor kurzem achtzig Prozent der Oberfläche Grönlands von Eisbären bedeckt, doch kann man im Zuge der Erderwärmung immer mehr grünlich-braune Flecken zwischen den possierlich herumtollenden Petzen entdecken. Grönland nähert sich einem neuen Klimaoptimum, ähnlich jener mittelalterlichen Wärmeperiode, der die Inuit nicht nur reiche Apfelernten, sondern auch den Einfall der Wikinger zu verdanken hatten. Diesmal jedoch will man die Wikinger vorher loswerden.

Aus der Höhe erinnern die ochsenblutroten Häuschen Nuuks mit ihren weißen Fensterchen an rohe gemaserte Fleischstückchen, zum baldigen Verzehr auf einer Eisplatte angerichtet. Die Stewardess, eine mondgesichtige Schönheit hiesiger Provenienz, mahnt mich zum Aussteigen. Wir seien längst gelandet, sagt sie und fragt, ob sie mir die Seehundhäppchen einpacken soll. Sie hilft den letzten Reisenden beim Zersägen ihres Handgepäcks und erhitzt die Unterseite meines Sitzes mit einem Schneidbrenner. Endlich kann ich mich von der gefrorenen Sitzfläche lösen und betrete grönländischen Boden.

"Kalaallit Nunaat" nennen die Inuit liebevoll ihre kalte Insel, das bedeutet so viel wie "gefrorener Haufen Scheiße", und als mein Blick zum ersten Mal auf die karstigen, hochsommerlich beschneiten Felsen fällt, erschließt sich mir mit dem Eros des hohen Nordens gleichzeitig auch der sinnhafte Bildreichtum der Sprache seiner Ureinwohner.

In der Ankunftshalle herrscht lebhaftes Schneetreiben, eine Gruppe Pauschaltouristen aus Herne verbrennt ihre letzten Gepäckstücke. Aber auch Einheimische in ihren malerischen Felltrachten stapfen durch den Tiefschnee, ich frage einen Herrn im eleganten weißen Pelz nach dem Gepäckband. Mit Händen, Füßen und gutturalen Knurrlauten gelingt uns bald eine basale Verständigung, und mit einem Hieb seiner gewaltigen Pranke weist er mir den Weg. Auf dem Weg zu meinem Gepäck werde ich allenthalben mit Schulterklopfen und Vivat-Rufen bedacht: Ich soll den Eisbären aus dem Flughafen vertrieben haben, erklärt man mir. Vermutlich eine grönländische Redensart, die unserer geglückten Landung Respekt zollt, durchaus keine Selbstverständlichkeit in dieser rauen Umgebung mit ihren harten Bedingungen und lebensfeindlichen Ladenöffnungszeiten.

Derart befeuert vom gastfreundlichen Wesen der Grönländer komme ich nicht umhin, meine intime Kenntnis der landesüblichen Sitten zu dokumentieren. Ich begrüße einige umstehende Damen mit dem traditionellen Nasenreiben und werde ihrerseits mit enthusiastischen Fausthieben und Tritten bedacht, ganz wie es der strenge Ehrenkodex der Inuit seit Jahrhunderten vorschreibt. Die Sprache der Inuit kennt über zweihundert Worte für "Verpiss dich", und sie alle klingen wunderbar poetisch und in diesem Moment unisono durch die zugige Wellblechbaracke.

Die Grönländer sind ein stolzes Volk. Sie als Eskimos ("Schneeschuhmacher") zu bezeichnen, gilt als schwerer gesellschaftlicher Fauxpas, nachgerade als Beleidigung. Sie selber nennen sich Inuit, also "Menschen", alle anderen, alle Nicht-Inuit, nennen sie in ihrer unbändig leidenschaftlich Sprache "schleimiger Auswurf einer magenkranken Ringelrobbe" oder einfach "Dänen".

Draußen erwartet mich Queequeg, ein stadtbekannter Tunichtgut. Er ist von der Tourismusbehörde als Fremdenführer abkommandiert worden, weil er der einzige ist, der mit Fremden redet. "Dafür haben sie mir die Reststrafe erlassen", sagt er lachend und speit einen Schwall Walfischtran aus, der gefriert, noch bevor er den Boden erreicht hat und klirrend auf meinem Fuß zerschellt. Queequeg betreibt den einzigen Surfboardverleih Grönlands, importiert nebenberuflich Gefrierschränke und hat lange Zeit im Ausland gearbeitet, unter anderem auch als Romanfigur.

Über dem Dach des Flughafengebäudes knarzt die zukünftige grönländische Nationalflagge - ein Eisbär auf weißem Grund - steifgefroren im Wind und auf einem hüfthohen Mäuerchen steht in inuitgroßen Buchstaben "Change we can believe in" geschrieben. Gemeint ist allerdings nicht der amerikanische Hoffnungsträger, sondern der Klimawandel, der hierorts sehnsüchtig erwartet, bisweilen sogar aktiv herbeigefönt wird, sieht man doch an den Wochenenden ganze Schulklassen mit ihren Haartrocknern den Permafrostboden bearbeiten. In einem Modellversuch soll ein schmaler Küstenstreifen urbar gemacht werden und an Klimaflüchtlinge aus Tuvalu vermietet werden.

Für Grönland, dessen Bewohner es bislang gewohnt waren, ihre karge Lebensgrundlage dem eisigen Meer oder den nicht minder eisigen dänischen Sozialbehörden abzutrotzen, bietet der Klimawandel große Chancen, zumindest, falls das Öl unter der Insel irgendwann auftaut.

Queequeg zeigt mir die Sehenswürdigkeiten der Insel: unzählige bizarre Formationen aus Eis oder Wellblech, manchmal sogar aus beidem. Obwohl keine Schneeflocke der anderen gleicht, sind sie doch alle verdammt ähnlich, sinniere ich, tief beeindruckt von der gewaltigen Eintönigkeit der Landschaft und ihrer unwirtlichen Bewohner. Dann wird mir schwarz vor Augen, die lange Polarnacht breitet ihren Mantel barmherzig über Grönland aus, der fünfminütige Sommer der Arktis geht seinem Ende entgegen und ein letztes Fährschiff wühlt brüllend das Eis im Hafen auf. Hohe Zeit, Abschied zu nehmen von diesem letzten Paradies ungetrübter Hoffnung. "Erst wenn am Golf das letzte Barrel gefördert und im Westen der letzte Kohlenstoff verbrannt ist, werdet ihr erkennen, was für ein Glück wir mit unserer Scheißinsel letztlich hatten", zitiert Queequeg zum Abschied eine uralte Prophezeiung der Inuit.

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