die wahrheit: Schnell, leise, tödlich, Siemens

Corporate Defense - unterwegs mit der Siemens-Werkswehr in München.

Die Scharfschützen der Siemens-Werkswehr sind stets auf der Hut vor ehemaligen Mitarbeitern. Bild: ap

Der Scharfschütze stiefelt über das Dach, mit kurzem, energischem Tritt. Seine Augen wandern von links nach rechts. Am Tag bietet das Dach den besten Überblick: Links vom ersten Maschinengewehr ragen im Licht der untergehenden Sonne die Schornsteine zweier stillgelegter Werksgebäude auf. Darunter düstere Häuserzeilen, Müllberge, streunende Hunde. Hinten am Horizont die bröckelnde Fassade des Verwaltungsgebäudes. Wandert das Auge über den Lauf des Maschinengewehrs hinweg nach rechts, rücken durch die Lücken zwischen den Tarnnetzen in der Ferne die zwei Türme der Frauenkirche ins Bild. Dann dunkle Häuser, zersplitterte Fenster, halb offen stehende Tore und Türen.

Unterwegs mit der Siemens-Werkswehr in München. Mittersendling, ein Stadtteil im Süden der wohlgenährten Weißwurstmetropole. Wie lebt, wie kämpft die Schutztruppe des krisengeschüttelten Weltkonzerns? Wie begegnet sie den Tausenden entlassenen Siemensianern, die sich in Widerstandsnestern zusammengerottet haben und ihren früheren Arbeitgeber in bester Guerillamanier bekämpfen?

Mittlerweile ist es weit nach Mitternacht, die Patrouille läuft in einer langen Kolonne die verwahrloste Straße entlang. Scherben knirschen unter den Stiefeln, Ratten rascheln im Müll. Ein Geräusch - die Scharfschützen suchen Deckung, zielen auf offen stehende Hoftore. Das Haus, das die Männer der Werkswehr in dieser Nacht suchen, ist verschlossen. Truppführer Bernd Graueisen geht in Stellung: Ein Schuss aus der Pumpgun, die Tür hängt in den Angeln, es riecht nach Pulver und Verhängnis. Der Mann, der sich im Haus versteckt hielt, sitzt nun auf dem Fußboden, beteuert, dass er ein friedliebender Mensch sei, "Familienvater und Systemadministrator, vor sechs Monaten fristlos entlassen". Seine Hände zittern, Tränen stehen ihm in den Augen. Graueisen zieht einen Steckbrief aus der Uniformtasche, leuchtet mit der Taschenlampe darauf: Zu sehen sind die lokalen Führer der Widerstandskämpfer. Dann stellt sich Graueisen neben den zitternden IT-Spezialisten: "Knapp eins achtzig groß, schwarz-graue Haare, kurzer Bart. Ist der Typ ungefähr so groß wie ich? Das ist er. Der Kerl gehört zu den Aufständischen."

Was der Identifizierung im Licht einer Taschenlampe folgt, ist vorbei, kaum dass es begonnen hat: Schüsse von der anderen Straßenseite, mehrere Salven. Die Siemens-Scharfschützen schreien, verteilen sich, ein Maschinengewehr hämmert zurück. Dann kehrt wieder Ruhe ein. Graueisen spricht über Funk, kurz darauf fliegt ein Siemens-Helikopter über der Straße, dreht den Bug in Richtung des gegenüberliegenden Hauses. Eine Explosion, ein Feuerblitz. "Eine Hellfire-Rakete", sagt Graueisen. "Macht vier, fünf Aufständische weniger." Der kahlrasierte Truppführer knirscht mit den Zähnen: "Der verdammte Stadtteil hier ist die letzte Bastion der Aufständischen in München."

Rund um die alte Siemens-Fabrik stehen fünf Meter hohe Betonpalisaden, die Zufahrt ist ein Slalom zwischen Barrieren und Sperren. Auf dem Dach Maschinengewehre, Mörser und Granatwerfer. Wachen sitzen rund um die Uhr hinter Panzerglas oder Sandsäcken und unter Tarnnetzen. Zu Anfang, die Schutztruppe war gerade eingerückt, hatten frustrierte Mitarbeiter der verkauften Mobilfunksparte frontal angegriffen: "Die kamen am hellen Tag, mit 30, 40 Mann. Die hatten nicht die geringste Chance." Unten im Innenhof der Fabrik steht am Abend der Maschinengewehrschütze Frank Gute, der sein MG mit einem Anflug von Zärtlichkeit "die Laubsäge" nennt. Er sagt: "Ich habe kein Problem damit, auf diese Leute da draußen zu schießen. Entweder die oder ich. Selbst wenn ich wie ein Idiot klinge. Aber ich bin stolz auf das Siemens-Logo an meinem Ärmel. Siemens ist das coolste Unternehmen der Welt." Graueisens Männer sind die Elite-Truppe des von Korruptionsskandalen erschütterten Weltkonzerns. Die "Siemens-Kampfteams" sind geschaffen für den Guerillakampf in dichtbesiedeltem Gelände: Jeder einzelne ihrer Panzerwagen ist eine rollende Computerplattform. Auf Bildschirmen im fensterlosen Inneren des Hightech-Wagens sehen die Fahrzeugkommandanten das Gefechtsfeld, aufgenommen von einer Kamera im Turm. Bei Bedarf fliegt oben drüber sogar eine ferngelenkte Drohne, die Bilder aus der Vogelperspektive sendet. Die Ausrüstung für die Truppe wird selbstverständlich im Hause entwickelt, in einer der profitabelsten Abteilungen.

"Die Siemens-Kampfteams, das ist Corporate Defense, die Unternehmens-Verteidigungskultur der Zukunft", heißt es in einer Siemens-Broschüre. Die Frage ist, wie nützlich Hightech ist in Mittersendling. Wenn die Leute der Schutztruppe auf Patrouille sind, kämpfen sie gegen einen Gegner, der seine Waffen aus dem Arsenal der Siebzigerjahre bezieht: Die arbeitslosen Siemensianer haben meist nur Kalaschnikows, manchmal Panzerfäuste. Sie vergraben Minen. Primitiver Sprengstoff, zusammengerührt aus Düngemitteln, billigen Chemikalien und Dynamit, in einer Gasflasche oder einem Feuerlöscher, mit Stahlkugeln, Schrauben und Nägeln versetzt. Verscharrt im Straßenbett, in Hauseingängen versteckt, unter Müllhaufen verborgen. Ferngezündet, sind sie die gefährlichste Waffe der Depravierten. Fährt ein Siemens-Radpanzer auf eine solche im Hinterzimmer zusammengebaute Mine, wird der teure Stahlkoloss schnell zum Millionengrab. Die Ironie dabei: Für die Fernzündung verwenden die Aufständischen ausschließlich die soliden Mobiltelefone ihres früheren Arbeitgebers. RÜDIGER KIND

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