Behindertenrechte in Schulen: Wir müssen draußen bleiben

Dass die Kultusminister einen Inklusionskongress veranstalten, ist sensationell. Was dabei herauskommt, alles andere: gemeinsames Lernen erst in 25 Jahren.

Gemeinsames Lernen von behinderten und nicht behinderten Kindern – bislang eine Ausnahme. Bild: dpa

BREMEN/BERLIN taz | Der Chef der Kultusminister mochte sich gar nicht mehr einkriegen. "Das Miteinander von behinderten und nichtbehinderten Schülerinnen und Schülern muss in Zukunft in Deutschland zum selbstverständlichen schulischen Alltag werden. Dies ist für mich Anspruch und Verpflichtung zugleich", sagte der Präsident der Kultusministerkonferenz, der bayerische Minister Ludwig Spaenle. Er sprach gar von einem "Paradigmenwechsel". Da wollten alle erst mal durchatmen. Denn was kommt wirklich heraus, wenn die Kultusminister über Inklusion reden?

Einen ersten Hinweis gibt die Erklärung der KMK. Das Wort Inklusion kommt dort nicht vor - kein Wunder. Inklusion bedeutet Einbeziehen, dabei sein, drin sein. Der Umgang mit behinderten Kindern in Deutschland ist gerade das Gegenteil. Das Motto heißt: "Wir müssen draußen bleiben" - aus dem allgemeinen Schulsystem. Die Kultusbürokratie hatte das Wort Inklusion erfolgreich aus der Übersetzung der UN-Behindertenrechtskonvention herausoperiert.

Wäre es dringeblieben, hätten die Minister ihr Sonderschulwesen sofort abschaffen müssen. 420.000 Kinder werden in Deutschland in Sonderschulen unterrichtet, 80 Prozent bleiben ohne Abschluss. Die Vereinten Nationen halten dies für unvereinbar mit dem Menschenrecht auf Bildung. Sie haben Deutschland aufgefordert, dem Missstand abzuhelfen. Jedes behinderte Kind, das auf eine normale Schule möchte, muss dies können, inklusive Förderunterricht, Schulhelfern und barrierefreien Zugängen.

Davon ist Deutschland - bei allen regionalen Unterschieden - weit entfernt. Nur 18,4 Prozent der Behinderten werden in Regelschulen unterrichtet, und selbst diese Zahl ist Ergebnis statistischer Tricks. Der Vorsitzende des Deutschen Behindertenrates, Adolf Bauer, begrüßte es, dass mehr betroffene Schüler eine Regelschule besuchen dürfen. Aber: "Bei dem aktuellen Tempo der Umsetzung erreichen wir unser Ziel erst in 25 Jahren." Deutschland taut die tiefgefrorenen Rechte der Behinderten zwar auf - aber sehr langsam.

Bremens Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) lobte, dass sich alle 16 Kultusminister auf ein gemeinsames Diskussionspapier einigten. Allerdings kommt bei Nachfragen heraus, dass die Idee nicht etwa das Gemeinsame ist, sondern herauszufinden, was die Bundesländer unterscheidet. "Wir werden die Situation in anderen Bundesländern auf keinen Fall kritisieren", sagte ein Teilnehmer der taz.

Entsprechend fielen die Kommentare der Behindertenverbände aus. "Es ist unter Schulpolitikern inzwischen ein Trend, sich verbal zu Inklusion und zur UN-Konvention zu bekennen", kritisiert etwa Eva-Maria Thoms vom Elternverein mittendrin e. V., "wenn man das Kleingedruckte liest, bleibt davon nicht viel übrig".

Die Kritikpunkte der Elternverbände beziehen sich darauf, "dass Kinder von Experten auf ihre Integrationsfähigkeit überprüft werden müssten, bevor man ihnen den Besuch einer Regelschule erlaubt". Das habe mit Selbstbestimmung und selbstverständlicher Teilhabe nichts zu tun.

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