Attac-Klimasprecher über den Gipfelprotest: "Das Ökologische war ein blinder Fleck"

Seit einem Jahr hat Attac für die Gipfelproteste mobilisiert. Die bisher vernachlässigte ökologische Frage habe der globalisierungskritischen Bewegung aus der Krise geholfen, sagt Attac-Mitglied Hendrik Sander.

"Hinter den 100.000 stehen ja auch viele andere, die ähnlich denken, aber nicht gekommen sind." Bild: dpa

Herr Sander, waren die Proteste gegen den UN-Klimagipfel bisher ein Erfolg?

Hendrik Sander: Natürlich. Am Samstag haben allein in Kopenhagen 100.000 Menschen für einen effektiven Klimaschutz demonstriert. Die Schätzungen der Organisatoren im Vorfeld waren deutlich niedriger.

Was hätte es denn für einen Unterschied gemacht, wenn nur 20.000 gekommen wären?

Hendrik Sander, 28, Sozialwissenschafter ist Sprecher der Attac-AG "Energie, Klima, Umwelt".

Für die Gipfelverhandlungen ist das schwer zu sagen. Aber so eine Demo ist ja nur ein Ausdruck eines gewandelten gesellschaftlichen Bewusstseins. Hinter den 100.000 stehen ja auch viele andere, die ähnlich denken, aber nicht gekommen sind. Das ist in den letzten Jahren gewachsen. Es sind nicht mehr nur die Umwelt- und Entwicklungsverbände präsent, die das Klimathema bisher besetzten und solche Gipfel zivilgesellschaftlich begleiteten.

Wer ist es denn?

Gerade entsteht eine globale, antikapitalistische Klimabewegung, an der auch Basisbewegungen aus dem Süden und Gewerkschaften beteiligt sind. Man sieht das in diesen Tagen: In Kopenhagen werden die Orte der kapitalistischen Wirtschaftsweise, in denen der Klimawandel wesentlich produziert wird, direkt angegangen, etwa die Agroindustrie. Fragen nach Verteilung und Machtverhältnissen stehen viel stärker im Vordergrund, als das beim Klimathema früher der Fall war. Das kann der Beginn eines neuen Bewegungszyklus sein. Die globalisierungskritische Bewegung hat sich ein Stück weit totgelaufen und war in der Krise.

Und das Klimathema hat sie gerettet?

Das wäre zuviel gesagt. Aber die Klimafrage hat sie sicherlich erneuert.

War das Ökologische ein blinder Fleck der globalisierungskritischen Bewegung?

Der ökologischen Frage wurde tatsächlich nicht der Stellenwert eingeräumt, der ihr zukommt.

Das galt also als Nebenwiderspruch?

Wenn man so will, ja.

Auch bei Attac, das bisher eher mit Finanzmarkthemen identifiziert wurde?

Ein Stück weit sicherlich.

Was kristisiert denn Attac?

Ökologische Fragen sind nicht nur als technokratisches Problem zu begreifen, wie es die herrschende Klimapolitik tut. Ein neues Kyoto-Protokoll, womöglich noch ein verwässertes, schreibt die globalen Ungerechtigkeiten weiter fest.

Was wäre denn gerecht? Gleiche Verschmutzungsrechte für alle, etwa durch limitierte Fluggutscheine?

Das wäre zwar politisch nicht durchsetzbar, aber das alle gleiche Emmissionsrechte haben, wäre durchaus eine Zielmarke. Der Westen muss eine klimafreundliche Infrastruktur in den Entwicklungsländern bezahlen und sein Wachstum- und Konsummodell in Frage stellen.

Warum braucht es dazu eine neue Bewegung? Das hat der Club of Rome schon 1972 gesagt. Und "Nachhaltigkeit" ist seit langem Staatsziel.

Keineswegs. Insbesondere seit den 90ern wurde die Vorstellung etabliert, dass es ein nachhaltiges Wachstum geben kann. Mit immer neuen technologischen Innovationen und einer Effizienzrevolution soll sich ungebremstes kapitalistisches Wachstum auf die Dauer mit dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlage der Menschen vereinbaren lassen.

Und das geht nicht?

Es gibt zwar historisch eine relative Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch. Aber es gab noch nie einen absoluten Rückgang des Umweltverbrauchs durch Effizienzgewinne.

Das muss ja nichts so bleiben.

Doch. Das ist der immanente Widerspruch der Effizienzlogik: Alles Geld, was eingespart wird, muss immer auch gewinnbringend reinvestiert werden. Das konterkariert die Fortschritte.

Wir sollen also unseren Lebensstandard zurückfahren.

Das westliche Konsummodell muss in Frage gestellt werden. Und zwar nicht durch individuelle Verzichtsmoral, sondern durch gesellschaftliche Veränderungen, die ein gutes Leben für alle neu ausbuchstabieren.

Wie könnte das denn aussehen?

In dem man etwa das Versprechen ungehinderter Individualmobilität für alle aufgibt, aber Angebote macht, wie Mobilität statt dessen aussehen könnte. Zum Beispiel durch kostenlosen öffentlichen Verkehr für alle.

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