Klimagipfel gescheitert: Land unter in Kopenhagen

Nach der letzten langen Nacht der Klimakonferenz herrscht allerorten Katzenjammer. Ein Abkommen kam nicht zustande. Das wird auch den dänischen Gastgebern angerechnet.

Zum Schluss herrschte im Konferenzzentrum nur noch der Erschöpfungszustand. Bild: dpa

KOPENHAGEN taz/dpa | Katerstimmung am Samstagmorgen im Kopenhagener Bella Center. Zwei Frauen sitzen mit hängenden Schultern vor einem der vielen Bildschirme. Augenringe und zerzauste Haare dokumentieren eine lange Nacht. Ihre Augen richten sich zwar auf UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Doch sie scheinen seinen Worten nicht mehr zu folgen. Die Blicke sind leer. Ihr Körper kämpft mit der Müdigkeit, ihr Kopf mit der Verarbeitung dessen, was gerade passiert ist.

Was sich schon in der späten Nacht abzeichnete, war gegen 10.30 Uhr Gewissheit: Kopenhagen wird kein neues Kioto sein. Kopenhagen wird rückblickend kein Wendepunkt der internationalen Klimapolitik sein. Kopenhagen ist gescheitert.

Nachdem UN-Generalsekretär Bank Ki Moon auf einer Pressekonferenz das klimapolitisch fatale Ergebnis offiziell besiegelt, zieht bereits der Abbautrupp durch die Konferenzhallen. In der Haupthalle sind nur noch vereinzelt einige Plätze besetzt. Im Pressecenter tippen die letzten Journalisten das Scheitern in ihren Laptop ein.

Auf dem Weg zu den Delegationsbüros herrscht gähnende Leere. An der Tür des deutschen Delegationsbüros hängen die letzten Überbleibsel des Klimakampfes jüngerer Generationen. Auf Post-it-Zetteln fragen sie: "Was tun SIE für meine Zukunft?", "Deutschland kann es: minus 40 Prozent Treibhausgase ohne Offsetting", "Es ist Zeit zu handeln". Auf den Gängen an den Kopierern liegen die letzten Reste des Entwurfes für die "Vereinbarung von Kopenhagen". Keiner interessiert sich mehr für sie. Für einen ehrgeizigen Kampf gegen den Klimawandel sind sie wertlos. In der Nacht zuvor waren sie noch heiß begehrt.

Dort hieß es langes Warten. Hinter verschlossenen Türen sollte der Deal ausgehandelt werden. Wie dieser wirklich aussehen könnte, wusste am Abend noch keiner. Doch unzählige Gerüchte hielten die Masse an Journalisten in Bewegung. Aus der Umgebung von US-Präsident Barack Obama war zu hören: Der erst am letzten Tag eingeflogene Mann aus dem Weißen Haus war am Ende von ergebnislosen Sondierungen so genervt, dass er seinen Stab unter Umgehung aller Protokollregeln darauf ansetzte, die Vertreter der wichtigsten Schwellenländer Brasilien, Indien und Südafrika zu einem letzten Einigungstreffen zusammenzutrommeln: "Los, wir müssen mit jetzt mit diesen drei Jungs sprechen." Die "Jungs" waren Präsident Lula da Silva aus Brasilien und Jacob Zuma aus Südafrika sowie der indische Premier Manmohan Singh. Singh war eigentlich schon am Flugplatz und kam noch mal zurück.

Bereits am Abend schaffte es gleich zweimal die Information, Barack Obama würde eine Pressekonferenz geben, die hungrigen Journalisten durch die Hallen zu jagen. Alle drängten in den Raum. Unzählige Kameras richteten sich für den entscheidenden Moment auf das beleuchtete Podium - als es hieß: "Es ist schön, dass sie so zahlreich gekommen sind. Ich kann Ihnen leider keinen Kaffee anbieten, aber machen Sie es sich ruhig gemütlich." Natürlich sprach nicht der US-Präsident diese Worte, sondern ein Vertreter der UN-Presseabteilung. Die US-Delegation habe ihm bestätigt, dass eine Pressekonferenz mit Obama nie geplant war. Die gedrängte, enttäuschte Journalistenmasse brauchte deutlich länger, um den Raum wieder zu verlassen als sie ihn hineingestürmt war.

Inzwischen kursierten verschiedene Textentwürfe. An den Kopierern bilden sich lange Schlagen. Wie politisch verbindlich der Text war, ob überhaupt echt oder nur ein Fake - keiner konnte sich sicher sein. Doch jeder Happen an Information war recht. Einige schrieben vom Durchbruch. Wer so lange auf ein Ergebnis wartet, wer zwei Wochen mitgefiebert hat und die letzten langen Verhandlungsstunden angespannt mitverfolgt, hat bei der kleinsten Bewegung das Gefühl, es sei etwas erreicht worden.

Als erstmals die Gemüter anfingen sich zu beruhigen, kommen die nächsten Informationen: Bundeskanzlerin Angela Merkel gebe eine Pressekonferenz. Auch die Europäische Union will anscheinend vor die Presse gehen. Dieses Mal rannten alle los. Irgendetwas musste passiert sein. In einem kleinen Raum, Körper an Körper dicht gedrängt, warten die Journalisten dieses Mal auf EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Vergeblich.

Es ist schließlich Obama, der als erstes sein Statement abgibt. Hatten zuvor einige noch von einem Durchbruch geschrieben, konnten diese Worte nur noch als Scheitern gedeutet werden. Gegen halb elf versammeln sich im Bella Center wieder alle vor den Bildschirmen, wie schon etwa zehn Stunden zuvor, als Obama sprach. Die Worte, die der Präsident vor seiner Abreise direkt am Flughafen spricht, sind ebenso enttäuschend wie am Mittag: "Wir haben viel erreicht, aber wir haben noch immer einen weiten Weg zu gehen."

Als schließlich doch noch die EU ihre Pressekonferenz abhält, interessieren sich nur noch wenige dafür. Das Ergebnis war längst klar. "Ich will meine Enttäuschung nicht verbergen", sagt Barroso. Und der schwedische EU-Ratspräsident Frederick Reinfeldt erklärt: "Das ist kein perfektes Abkommen." Aber zumindest glaubt er zu diesem Zeitpunkt noch, es wäre ein Abkommen.

Für viele ist die Pressekonferenz der EU der Schlusspunkt. Bis drei Uhr morgens verlassen sie das Gelände. Doch für die Minister und Unterhändler geht der Marathon weiter. Die Staats- und Regierungschefs haben gesprochen, nun sind die Delegierten im Plenarsaal wieder gefragt.

Zum unfreiwilligen Symbol für die Kopenhagener Enttäuschung wird der dänische Gastgeber Lars Løkke Rasmussen. Als schlecht vorbereiteter Konferenzpräsident brachte der Kopenhagener Regierungschef mit sarkastischen Bemerkungen und kaum verhohlener Arroganz immer wieder Delegierte aus den Entwicklungsländern gegen sich auf. Das kostete die Konferenz endlose Verfahrensdebatten und zwei wertvolle Tage vor der entscheidenden Phase mit 120 eingeflogenen Staats- und Regierungschefs.

Nie zuvor habe ich eine so schlecht vorbereitete Konferenz erlebt", tobten exakt wortgleich die Sprecher so unterschiedlicher Staaten wie Russland und Saudi-Arabien. Rasmussen setzt seinem völlig missglückten Werk die Krone auf, als er in der Nacht nach der Abreise der Weltspitzenpolitiker nicht in der Lage ist, ein Verfahren für die Schlussabstimmung vorzuschlagen. Er gibt die Konferenzleitung entnervt ab.

Großbritanniens Umweltminister Ed Miliband muss dem mit glasigen Augen handlungsunfähig im Präsidium sitzenden Rasmussen mit einem spontanen Vorschlag vor dem endgültigen K.o. retten. Da hatte der Däne nach dem Debattenmarathon der "Nein"-Sager zum Kompromiss mit Inselstaaten wie Tuvalu und Venezuela, dem Sudan, Bolivien und Nicaragua komplett den Überblick verloren. Mit tonloser Stimme verkündete er, die Vereinbarung könne "nicht angenommen werden", als die Sache noch gar nicht gelaufen war. Das wäre das endgültige Scheitern des Gipfels gewesen. Sechs Stunden vorher hatte Rasmussen die Annahme verkündet und musste auch das wieder zurücknehmen, weil mehrere der 193 Staaten sofort Protest einlegten.

Vor allem die Delegierten mehrerer Entwicklungsländer machten deutlich, dass ihnen die Art und Weise, wie ihnen die Klimaeinigung präsentiert wurde, absolut nicht passte. Der Delegierte des kleinen, vom Anstieg des Meerespegel bedrohten Inselstaats Tuvalu bekam die Chance, das Wort zu ergreifen, und er nutzte sie für einen flammenden Appell.

Ian Fry kritisierte das Abkommen schonungslos als Makulatur. Statt einer unverbindlichen Festlegung auf 2 Grad müsse die Staatengemeinschaft festschreiben, dass die Temperatur höchstens 1,5 Grad steigen dürfe, verlangte er. Sonst sei sein Staat dem Untergang geweiht. Die Gelder, die die Industriestaaten den Entwicklungsländern zur Anpassung an den Klimawandel in Aussicht stellten, bezeichnete er unter dem Applaus der Delegierten als "30 Silberlinge, um unser Volk und unsere Zukunft zu verraten".

Kaum hatte er geendet, ergriffen die Lateinamerikaner das Wort. Die Delegierte von Venezuela sprach von einem "Staatsstreich" gegen den Geist der Vereinten Nationen. Der bolivianische Delegierte schimpfte über die "diktatorische" Weise, wie den Delegierten das Papier nur kurz zur Abstimmung präsentiert worden sei. Ähnlich äußerten sich Kuba und Costa Rica. Bei allen war klar zu spüren, dass sie mit ihren Attacken vor allem die USA meinten.

Als der US-Delegierte zwischendrin versuchte, das Ruder herumzureißen, unterbrach ihn der Delegierte von Nicaragua mit einem Störmanöver und brachte den sichtlich überforderten Rasmussen dazu, ihm das Wort zu erteilen. "So etwas habe ich noch nie gesehen", hörte man immer wieder staunende Beobachter im Kongresszentrum rufen.

Als der ohnehin umstrittene sudanesische Chef-Unterhändler und Sprecher der Entwicklungsländer (G77), Lumumba Stanislaus Di-Aping, erklärte, das Abkommen bedeute den Tod vieler Afrikaner und es mit dem Holocaust verglich, ging ein Raunen durch den Saal. Der britische Delegierte sprach von einem "ekelhaften" Vergleich. Er sprach angesichts der Proteste im Plenum von einer ernsten Krise. Die Delegierten hätten nun die Wahl, ein nicht ganz perfektes Abkommen zu unterstützen oder nach dem Willen des Sudan die Konferenz zugrunde gehen zu lassen. Seine Rede wurde mit langem Applaus bedacht.

Die allgemeine Verblüffung über die Inkompetenz der dänischen Gastgeber dürfte schneller wieder vergessen sein als das dünne Ergebnis der Konferenz. "Eine Katastrophe für die Ärmsten der Welt", meinte die Umweltorganisation "Friends of the Earth". "Wie soll ich das hier in Kopenhagen meinen Enkeln erklären, und die wieder ihren Kindern?" sagt resigniert und nach der Mammutkonferenz auch übermüdet Amjad Abdulla, der Chefdelegierte von den Malediven. Der Inselstaat im Indischen Ozean wird durch die globale Erwärmung und den Anstieg des Meeresspiegels vom Untergang bedroht. Abdulla verkündet aber auch, dass sich die Malediven dem Klimakompromiss wegen der damit verbundenen Finanzhilfen anschließen wollen.

Auch der deutsche Bundesumweltminister Norbert Röttgen spricht von einem Rückschlag. "Wir wollten mehr, aber es war das, was erreichbar war", sagt Röttgen am Samstag in Kopenhagen. "Es ist ein Rückschlag für die Möglichkeit dieser historischen Situation und des Momentes, auf Worten Taten folgen zu lassen." Er wirft China eine Blockadehaltung vor. Der chinesische Vertreter habe in einer Auseinandersetzung mit Kanzlerin Angela Merkel die freiwillige Verpflichtung abgelehnt, dass die Industrieländer den Ausstoß an Treibhausgasen um mehr als 80 Prozent bis 2050 senken. Röttgen spricht insgesamt von einem Klima auch der "Provokation, Unverschämtheit und Verantwortungslosigkeit".

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