Adventskalender im Internet: Die neue Sucht

Online-Adventskalender locken mit Gewinnen - zur Kundenbindung. Das funktioniert gut!

Adventskalender, riesengroß und real: In Stuttgart wurden die Rathausfenster für den Weihnachtskalender umgestaltet. Bild: dpa

BERLIN taz | Tag für Tag kann man auch im Internet ein Türchen öffnen, online. Statt Schokolade fallen Versprechungen heraus. Gewinnen Sie! Gewinnen Sie! Wer will das nicht gern? Von Bohrmaschine über Esoterikgutschein und Kinokarte, von Duscharmatur über VIP-Ticket für die Pferdemesse und Mallorca-Wochen, von Ledertasche über Kaschmirpullover bis hin zu Lidschatten ist alles drin. Ein Klick, und schon winkt das Glück.

Online-Adventskalender machen aus Erwachsenen Kinder. Aus bescheidenen Leuten machen sie gierige. Und aus Leuten, die sonst immer sieben Stunden Schlaf haben, Leute mit höchstens sechs Stunden. Denn bis man jedes Mal die Spiele gemacht und die Spielformulare ausgefüllt hat, das dauert. Nicht wirklich spielsüchtig wird man davon, aber immerhin eine Zockerin vor dem Herrn.

"Kundenbindung" heißt das Adventswort, um das es geht. Das Wort ist zusammengesetzt aus "Kunde" und "Bindung". Ob je "die Kunde" gemeint war, die frohe, die in der Adventszeit stabilisiert, fixiert, ins kulturelle Gedächtnis gemeißelt werden sollte, bevor es "der Kunde" wurde, der nun gebunden wird? Das beantwortet die Etymologie nicht.

"Steigern Sie die Kundenbindung oder generieren Sie neue Kunden mit unseren animierten Online-Adventskalendern", schreiben die Homepagedesigner auf adventskalender-online-weihnachten.de. Für 350 Euro werden mit ein paar Programmierbefehlen Adventskalendermodule auf die Website der Anbieter gelegt. Mit Standardrätseln, Standardweihnachtsmusik, Standardfragespielen.

Löst der Adventskalendersüchtige die Fragen, deckt er die richtigen Memory-Paare auf, zeigt er Onlinegeschicklichkeit, wird das Gewinnformular eingeblendet. Schon sind die Versandhäuser, Zeitschriftenverlage, Stadtverwaltungen, Weinhändler und Kosmetikfirmen um eine Adresse reicher. Darum geht es. Und, wie die Designer noch schreiben, auch darum: "Nutzen Sie einen interaktiven Adventskalender Online, um Ihre Besucher in der Vorweihnachtszeit täglich auf Ihre Seite zu locken!" Gelockt werden, das gehört zur Advents- und Weihnachtszeit. Doch die Verführung entpuppt sich als eine, die nicht der Besinnung dienlich ist, sondern besinnungslosem Konsum.

Was solls und trotzdem: Sich verführen lassen ist schön. Letztes Jahr wurde ich angefixt. Auf elle.de war mein Einstieg. Denn der Lavazza-Kalender von Annie Leibovitz, auf dem sie mit Models berühmte Gemälde nachstellte, winkte als Gewinn. Den hätte ich so gern gehabt. Aber auch das Kaschmirkleid, den Edelschuh, die Designerhandtasche. Dinge, die ich nicht brauche und schon gar nicht bezahlen kann. Haben will ich sie trotzdem, wenn das Glück sie mir gibt. Und weil man nur Erfolg hat, wenn man die Chancen nutzt, kam auch noch brigitte.de dazu, und ich gestehe es, faz.de sowie unzählige andere. Wofür? Fürs Gefühl, einfach zu schwelgen.

Und ein Jahr später? Ich hab gleich zu Anfang alles mitgenommen, was sich mir bot: "In welchem Land wurde der Jazz erfunden?" Mit etwas Fortune gibt es für die Antwort eine Stereoanlage. Die Bohrmaschine gehört mir mit Glück noch dazu, da reichte schon die Adresse. Für einen Kinogutschein aus Bocholt wollten die wissen, wie ihre Stadt, in der ich noch nie war und auch niemanden kenne, seit Oktober 2009 genannt werden darf. Das WM-Trikot der Nationalmannschaft beim DFB-Adventskalender habe ich wohl verpasst, weil der Link nicht funktionierte. Und den Mathekalender? Geschenkt. Zeit für Kniffliges habe ich nicht. Adventsstress? Nein, Online-Adventsstress. Auch der Server der Süddeutschen streikte. Ich probiere es wieder. So viel Chance war noch nie - und jeden Tag gibt es neue Gewinne.

Den Kalender von Leibovitz, den habe ich übrigens am Ende auch bekommen. Im Januar stand er plötzlich vor der Tür.

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