Shoppen für die Identität: Konsum als Sinnstifter

Konsum und Warenvielfalt werden von Kritikern als unzulängliche Ersatzreligion diffamiert. Doch so einfach ist es nicht. Eine Analyse.

Normales Mineralwasser war gestern, heute ist Lifestyle. Bild: ap

"Ersatzreligion" ist eine der beliebtesten und zugleich eine der polemischsten Vokabeln der Konsumkritik. Generell wird mit ihr suggeriert, etwas sei zwar der Religion nachgebildet, bleibe jedoch nur ein Fake, ja sei eine mehr oder weniger plumpe, banale, zynische Lüge. Wäre von Religionsersatz die Rede, dann würde dem, was die Religion ersetzt, immerhin ein eigenes Recht zugestanden: Es wäre, durchaus gleichrangig, an ihre Stelle getreten. Wer etwas als Ersatzreligion deklariert, behauptet hingegen Uneigentlichkeit, also Defizienz und Verlust, misst ein Phänomen aber zugleich am Maßstab der Religion und verweigert ihm damit eine eigene Identität.

Bezogen auf die Welt des Konsums bedeutet das, ihr einerseits zu unterstellen, die Position der Religion übernehmen zu wollen, ihr aber andererseits vorzuhalten, diese Position nicht ausfüllen zu können. Der Vorwurf ist also ein doppelter, und der Konsumismus gerät in den Verdacht sowohl der Blasphemie als auch des Versagens.

Doch verfolgen dessen Akteure überhaupt Ziele, die denen einer Religion vergleichbar sind? Und wenn schon, welcher Art von Religion sollte der Konsumismus denn verpflichtet sein? Hier wird die Bedeutung der Vokabel "Ersatzreligion" diffus, ja wer davon spricht, lässt im Allgemeinen offen, welche Religion den - vermeintlich verfehlten - Maßstab abgibt. Allerdings verraten andere Wendungen die Hintergründe der Konsumkritik. Vom Tanz ums Goldene Kalb ist gerne die Rede, man spricht in Zusammenhang mit Marken von Kult und Mythos, Produkte werden als Fetische oder Götzen bezeichnet.

Das alles sind Formulierungen, mit denen sich traditionell der - im Westen meist christliche - Monotheismus gegen polytheistische Religionen gewendet hat. Es sind Versatzstücke einer Rhetorik, mit der man ehedem das erste Gebot durchzusetzen suchte, ja mit der die Gegner und Konkurrenten des eines Gottes, der allein angebetet werden sollte, denunziert wurden. Konsumkritiker verwenden somit alte Argumentationsmuster - und das oft selbst dann, wenn sie gar keine religiöse Orientierung besitzen. Man fragt sich also, auf welcher Grundlage eigentlich kritisiert wird, dass Menschen auch von Konsumgütern Sinn und Heil erwarten.

Tatsächlich ist die Konsumkultur in ihrer Struktur polytheistisch. Es gibt kein Konsumgut, das eine Allkompetenz für sich in Anspruch nähme - aber viele einzelne Produkte versprechen eine Wirkung, die über den bloßen Gebrauchswert hinausgeht, sich als Verklärung oder Stimulans äußert und damit in religiöse Dimensionen reicht. Die Inszenierung der Produkte in Warenästhetik und Werbung führt dazu, dass alltägliche Handlungen bewusster erlebt oder regelrecht ritualisiert werden.

Von Pfeffermühlen, Duschgels oder Mineralwässern existieren dabei jeweils so viele verschiedene Typen, dass man sich entscheiden kann, ob man eine Tätigkeit eher als Sport oder lieber als Meditation begreift. Mit jedem Produkt wird also ein bestimmtes Weltgefühl erzeugt oder zumindest unterstützt.

Die Vielfalt an Angeboten ist also Ausdruck dafür, dass jeweils viele Sinninstanzen darum konkurrieren, Gehör zu finden. Doch gerade dieser Vielfalt stehen Konsumkritiker eigentlich immer ablehnend gegenüber. Sie erblicken darin wahlweise Chaos, Überfluss oder Banalität, was aber nur die monotheistischen Wurzeln ihrer Kritik bestätigt. Statt im Umgang mit dem Warenpluralismus eine Kulturtechnik zu erkennen, tut man das Sich-entscheiden-Müssen als profane Lästigkeit ab.

Hier kommt derselbe Affekt zur Geltung, der jahrhundertelang vor allem die Literatur traf. Wie man allen Büchern misstraute, nur weil sie nicht die eine Bibel waren, ja wie man nicht einsehen wollte, warum jedes Jahr neue Bücher erscheinen müssen, so äußert man heute Vorbehalte dagegen, dass es so viele und immer wieder neue Pfeffermühlen, Duschgels und Mineralwasser gibt. Dass die Vielfalt an Angeboten ein Indiz dafür ist, wie vielfältig deutbar die Welt und wie wenig banal der Konsumismus ist, wird also stur ausgeblendet.

Wenn die Kirche gegen Supermärkte und Markenshops opponiert, so wie sie ehedem den Aberglauben verdammt hat, mag das noch nachvollziehbar sein, doch dass säkulare Kritiker des Konsums dieselbe Argumentation und Denkfiguren verfolgen, dass sie also letztlich eine Sehnsucht nach einer einheitlichen, monotheistischen, geschlossenen Welt bedienen, erscheint merkwürdig und auch etwas schwach. Zumindest sie sollten auf die Vokabel "Ersatzreligion" lieber verzichten.

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