Games Convention: PC-Daddeln ist jetzt Kultur

Spielentwickler gelten jetzt als Kulturschaffende, Neuerscheinungen wie "Sims 3" und "Spore" werden vorgestellt und Musikgames wie "Singstar und "Guitarhero" bleiben voll im Trend.

Zocken am Rechner: jetzt gleichrangig mit Musik, Literatur und bildender Kunst. Bild: dpa

LEIPZIG taz Wer die vollen Hallen der Spielemesse Games Convention (GC) auf dem Leipziger Messegelände betritt, die noch bis Sonntag hunderttausende Fans und Fachbesucher anziehen dürfte, sollte zunächst ein wichtiges Vorurteil ablegen: dass Videospiele nichts mit Kultur zu tun haben. Dass das nicht stimmt, wurde in Deutschland pünktlich zur Veranstaltung gerade eben hochherrschaftlich bestätigt: Der Bundesverband der Entwickler von Computerspielen, kurz G.A.M.E., wurde offiziell in den Deutschen Kulturrat aufgenommen. Damit dürfen Video- und Computerspiele, deren wirtschaftliches Gesamtpotenzial längst die Filmbranche in Hollywood eingeholt hat, künftig mit Fug und Recht als Kulturgut bezeichnet werden - genauso wie Musik, Kino, Buch und bildende Kunst seit langer, langer Zeit.

Computerspielesucht ist ein ernst zu nehmendes Problem unter Kindern und Jugendlichen. In den vergangenen Jahren haben unterschiedliche Studien dies immer wieder festgestellt. "Zwischen drei und fünf Prozent aller sechs- bis 18-jährigen Deutschen leiden schätzungsweise an krankhafter Spielsucht am PC", bestätigt Angela Schorr, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Medienwirkungsforschung (DGMF). Mit gut 25 Prozent befänden sich junge Mädchen noch in der Minderheit, doch steige ihr Anteil derzeit schnell an, so die Professorin für Medienpsychologie. Besonders gefährlich seien Onlinerollenspiele. Die Suche nach Gemeinschaft und die stetige Verbesserung beim Spiel trieben die Spieler zunehmend an den Computer.

Die Wissenschaftlerin betont, dass Erfolg oft eine fesselnde Wirkung habe. Ein Phänomen, das motivierend sein könne, solange es nicht zum Zwang werde. Denn dann könnten die Spieler schon mal 50, 60 Stunden pro Woche an ihrem PC zocken und kaum noch Zeit mit Freunden oder Familie verbringen. Die Vernachlässigung von Schule oder Beruf sei eine weitere Folge.

Trotz der wachsenden Zahl von Betroffenen wird die Spielesucht von führenden Gesundheitsinstitutionen wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht als Krankheit anerkannt. Betroffene hätten es deshalb schwer, bei Krankenkassen Gelder für die Behandlung ihrer Sucht zu bekommen, erklärte ein Mitarbeiter der Drogenbeauftragten des Bundesgesundheitsministeriums. Auch das Beratungsangebot für Abhängige sei in Deutschland noch immer sehr gering. Dabei suchen immer mehr Spielsüchtige professionelle Hilfe. "In diesem Jahr kamen schon 170 Personen zum ersten Mal zu uns, um Hilfe zu suchen", berichtete Michael Janke, Leiter des Café Beispiellos in Berlin, wo sich Abhängige oder deren Angehörige im Rahmen des Caritas-Projekts "Lost in space" über ihre Sucht beraten lassen und verschiedene Therapieangebote wahrnehmen können. 200 bis 250 Menschen hätten die Beratungsstelle bisher jährlich aufgesucht, seit sie 2006 ins Leben gerufen worden war.

Der Branche ist das Balsam auf der geschundenen Seele, muss sie doch regelmäßig Schlachten mit der Politik um die Jugendschutzproblematik und den Gewaltaspekt einiger Games schlagen. Auf der GC wird das Problem elegant gelöst: Es gibt insgesamt drei verschiedenfarbige Armbändchen, die die Altersklassen ab 12 (grün), ab 16 (blau) und ab 18 (rot) signalisieren. Wer Games für Erwachsene ansehen möchte, begibt sich nach Abholung des Bändchens an den entsprechenden Ständen wie in einem Pornokino hinter einen Vorhang. Das nicht entfernbare Farbsignal zeigt der Ausstellermannschaft dann an, ob man Einlass bekommt oder nicht.

Die Zahl der neuen Spiele ist groß. Lange erwartete Games wie die Lebenssimulation "Sims 3" und der Evolutionsemulator "Spore" werden in Leipzig erstmals öffentlich präsentiert (sogar Erfinder und "Spielegott" Will Wright ist vor Ort), das Rollenspiel "Diablo III" des Herstellers Blizzard ebenfalls. Hits wie "Call of Duty: Worlds at War", "Starcraft 2", "Far Cry 2" oder "Tomb Raider: Underworld" kann man anspielen und Prozessorriese Intel lädt an langen PC-Reihen zum stundenlangen Daddeln ein.

Sony, dessen Spieleabteilung "Sony Entertainment" inzwischen einer der wichtigsten Bereiche des Unternehmens darstellt, fuhr besonders viele Neuheiten auf. So kündigte man neben einem Dutzend neuer Gametitel auch neue, verbesserte Varianten seiner Spielekonsole Playstation 3 (PS3) und der Mobilvariante Playstation Portable (PSP) auf (Letztere mit besserem Bildschirm und eingebauter Internet-Telefonie, Erstere mit mehr Festplattenspeicher). Dass es nicht ganz rund läuft mit den Spieleambitionen der Japaner, räumte der europäische Unterhaltungschef David Reeves in erstaunlich offener Symbolik ein: Er zitierte den Dylan-Song "The times they are a-changin" mit der Stelle, in der der Folkstar von den Verlierern, die bald zu den Gewinnern gehören werden, singt. In der Tat macht Sony mit seiner PS3 noch Verluste, wurde von den Konkurrenten Microsoft (Xbox 360) und Nintendo (Wii) zunächst abgehängt. Man sei aber "auf lange Sicht" im Geschäft, betonte Reeves. Tatsächlich beginnt die PS3 derzeit, in Deutschland die Xbox 360 zu überholen.

Apropos Xbox 360: Die kann man in Leipzig nicht übersehen. 400 Geräte karrte Microsoft auf das Messegelände, stellt dort unter anderem eine neue Bedienoberfläche vor, die sich etwa an Nintendos Wii orientiert und die Konsole menschlicher machen soll. Ganz klare Zielgruppe sind inzwischen auch Frauen: Sie sollen genauso wie ältere Kunden mit sogenannten "Casual Games" gelockt werden, in die man einfacher hineinfindet als in große Rollenspiel- und Ballerorgien. Absoluter Megatrend sind außerdem Musikgames: An zahlreichen Bühnen werden Titel wie "Rockband" und "Guitar Hero" vorgeführt. Die mit Plastikinstrumenten zu bedienenden Games bleiben ein absoluter Hit, aber auch Karaoke-Spiele wie "Singstar" verkaufen sich ausgesprochen gut.

Noch wichtiger für die Branche, weil sie die Kundschaft besonders lange halten, sind die Onlinespiele. Das Geschäftsmodell erinnert dabei ans Bezahlfernsehen: Der Spieler besorgt sich das Spiel und blecht dann monatliche Abogebühren. Games wie "World of Warcraft" ziehen Millionen Spieler an.

Im Bereich der mobilen Spiele sind in Leipzig neue Plattformen zu sehen. Apples "Wunderhandy" iPhone hat dank besserer Grafik und einer großen Gerätebasis viele Hersteller überzeugen können - dank eingebautem Bewegungssensor im Gerät dreht man das Telefon bei Rennspielen einfach in die gewünschte Richtung, wunde Finger von einer schlechten Tastatursteuerung muss man nicht befürchten.

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