Bioprodukte schmecken anders: Übung macht den Bio-Gourmet

Bio-Fachhändler lernen in einem Seminar, zu schmecken. Das soll ihnen helfen, die besondere Qualität von Öko-Produkten zu erkennen und besser zu verkaufen.

Sensorik-Seminare sollen den Umsatz der Bioware steigern. Bild: dpa

BERLIN taz Vier Plastikbecher, vier Rätsel - die Gefäße stehen, zur Hälfte mit Joghurt gefüllt, vor den etwa 15 Teilnehmern des Seminares "Warum schmeckt Bio anders?". Weiß sind die Becher, sie tragen nur eine Nummer, kein Etikett verrät, ob sie bio oder konventionell sind. "Das sollen Sie jetzt selber herausfinden", sagt Referentin Melanie Engel.

Vera Bürkle, die sich demnächst mit einem mobilen Biostullenverkauf selbstständig machen will, schiebt sich einen Löffel mit dem Joghurt aus Becher Nummer 751 in den Mund. Sie lässt die dicke Flüssigkeit einige Sekunden auf der Zunge ruhen, guckt ins Leere und schluckt. "Intensiv, künstlich, Erdbeere", notiert sie auf einem Zettel. "Das kann nur konventionell sein", sagt sie. Schließlich enthält Ökojoghurt keine künstlichen Aromastoffe. Das zu schmecken, ist ein Ziel der Schulung in einem Raum des Berliner Biogroßhändlers Terra.

Denn das Ökosortiment wächst ständig - allein die Leitmesse BioFach hat 2008 mehr als 600 neue Produkte registriert. Für die VerkäuferInnen bedeutet das eine Herausforderung, weil sie immer wieder neue Ware kennen lernen und anpreisen müssen.

Sieben Mal veranstaltet der Branchenverband BNN Herstellung und Handel mit einem Zuschuss der Bundesregierung in Höhe von 75 Prozent der Kosten in diesem Jahr solche Seminare. Insgesamt 100 Biohändler werden in Sensorik unterrichtet: der Wissenschaft vom Sehen, Riechen, Schmecken.

Eines der größten Probleme dabei ist, zu beschreiben, was man wahrnimmt. Das merken Bürkle und die anderen Teilnehmer bei der "Kreativitätsübung": Referentin Marion Ingenpaß teilt ein Papier mit den Buchstaben des Alphabets aus. "Finden Sie Adjektive, die den Geruch, den Geschmack oder auch die Konsistenz eines Lebensmittels beschreiben", sagt Ingenpaß. A wie al dente ist noch einfach, b wie bissfest auch, aber c? "Charakteristisch", antwortet die Frau, die bei einem Biobäcker arbeitet. "Dazu kommt kein Bild in den Kopf", meint Ingenpaß. Sie schlägt "cremig" vor. Trotz der Starthilfe schafft eine Teilnehmerin nur 5 von 26 Wörtern. Die Dozentin rät: "Sie müssen das üben, wenn Sie ein neues Produkt bekommen."

Das Vokabular brauchen die Bioverkäufer auch, um ihre Branche gegen Zweifel vieler Kunden zu verteidigen. Denn immer wieder, erzählt BNN-Expertin Cornelia Schönbrodt, werte etwa die Stiftung Warentest Ökoprodukte ab, weil sie angeblich schlechter schmecken oder aussehen. "Dabei entsprechen sie nur nicht dem Massengeschmack, den konventionelle Hersteller mit besonders viel Zuckerzusatz oder Ähnlichem geprägt haben." So kreidete die Stiftung Biocapuccinopulver an, ein "grobporiger Schaum" zu sein. Als Grund gaben die Tester an, dass Ökoprodukte grundsätzlich keine gehärteten Fette enthalten, die den Schaum stabilisieren. Sie stehen im Verdacht, das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erhöhen.

Geschmacksunterschiede sind bei den vier Nuss-Nougat-Cremes auffällig, die sich die Teilnehmer nun in je vier numerierten Waffelbechern bei Referentin Engel abholen. Die Tester probieren von allen Proben jeweils ein, zwei Teelöffel voll, dazwischen spülen sie den Gaumen mit stillem Mineralwasser.

Die Ergebnisse schreibt Engel auf einen Flipchart: Nummer 845 schmeckt nussig, ist zäh und knirscht leicht zwischen den Zähnen. Die 450 dagegen finden die Teilnehmer besonders schokoladig, süß und klebrig. Man ist sich schnell einig: Die zweite Probe ist der konventionelle Marktführer Nutella. Dann kann die andere nur bio sein, sie enthält zu 45 Prozent Haselnüsse, während Nutella laut der Zeitschrift Öko-Test nur auf 13 Prozent kommt. Dafür hat Nutella demnach mehr Zucker und Kakaopulver. Die Biocreme - Samba des Herstellers Rapunzel - halten die Ökoverkäufer deshalb für gesünder, abgesehen davon, dass ihre Zutaten umweltfreundlicher produziert werden.

Marion Sollfrank arbeitet als Verkäuferin in einem Berliner Biomarkt. Nach dem siebenstündigen Seminar sagt sie: "Ich kann die verschiedenen Geschmacksrichtungen jetzt besser differenzieren." Das - so hofft sie - werde ihr helfen, Bio noch besser zu erklären.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.