Sonderparteitag der Grünen: Atomausstieg knapp zugestimmt

Der Vorstand der Grünen setzt sich auf dem Sonderparteitag durch. Die Delegierten votieren nach einer hitzigen Diskussion mit knapper Mehrheit für den schwarz-gelben Atomausstieg.

Freuen sich nach der Abstimmung: Bundesvorsitzende Claudia Roth (li) und NRW-Bildungsministerin Sylvia Löhrmann (Grüne). Bild: dpa

BERLIN taz | In der ersten Reihe klatscht Jürgen Trittin mit erhobenen Händen, er lacht. Dann läuft er die Stufen zum Podium hoch und umarmt Claudia Roth und Cem Özdemir. Geschafft. Vor wenigen Sekunden hat eine knappe Mehrheit der Delegierten des Sonderparteitags der Grünen für den Leitantrag des Vorstands gestimmt.

Die Grünen sollen also der Atomgesetz-Novelle der schwarz-gelben Koalition zustimmen. Diese kopiert in weiten Teilen den Atomausstieg, den Trittin 2001 als Umweltminister maßgeblich mitverhandelt hat. Deshalb ist es auch sein Sieg.

Der Entscheidung war eine fünfstündige, teils heftig geführte Debatte vorangegangen. Ein Höhepunkt war der Auftritt des Kreuzberger Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele. Ströbele, das manifestierte Gewissen der Grünen, trat ans Mikrofon und verdammte den Kurs des Vorstands. Es sei gut, dass Schwarz-Gelb acht Altmeiler abschalten wolle und die Laufzeitverlängerung zurücknehme, sagte Ströbele. "Aber die entscheidende Frage ist: Ist das gut genug nach Fukushima?" Ströbele erinnerte den Parteitag an den Beschluss der eigenen Partei.

Noch im März hatte der Parteirat einen Ausstieg 2017 für machbar erklärt. "Dieses Ziel haben Spezialisten bestätigt, das haben wir im Bundestag, in jeder Konferenz, in allen Talkshows vertreten. Dafür haben wir vor dem Kanzleramt protestiert, zusammen mit Hunderttausenden Menschen", rief Ströbele.

Die Fraktion habe ein entsprechendes Gesetz eingebracht. "Ich frage: Wie glaubwürdig ist es, wenn wir jetzt für 2022 stimmen?" Es gehe nicht nur darum, dass sich die Grünen treu blieben, "sondern es geht auch darum, dass die Dinger unglaublich gefährlich sind. Da können wir doch nicht Ja sagen." Ströbele griff sogar zu einem historischen Zitat: "Der Kampf geht weiter", zitierte er den Satz, den Rudi Dutschke am Grab vom RAF-Terrorist Holger Meins sagte.

Der linke Abgeordnete wurde immer wieder von lautem Applaus unterbrochen, am Ende standen viele Delegierte auf, der Ruf "Ab-schal-ten" hallte durch die Halle der Berliner Messe. Differenziert argumentierte der alte Kämpe nicht, dennoch war er derjenige Kritiker der Vorstandslinie, der die Delegierten packte. Doch die entscheidende Rede hatte Ströbele nicht gehalten.

Zustimmen und weiterkämpfen

Direkt nach ihm folgte Fraktionschefin Renate Künast, die derzeit in Berlin wahlkämpft. Und auch sie war groß in Form. Alle sollten sich überlegen wie Politik funktioniert, sagte Künast, nämlich Schritt für Schritt. "Ich sage euch: Wir sind gut beraten, hinterhältig und schamlos zu sein. Wir lehnen alles ab. Aber den entscheidenden Satz, der acht alte AKWs abschaltet, der die Niederlage von Schwarz-Gelb besiegelt – da sagen wir Ja!" Die Mehrheit der Delegierten jubelte.

Künast erzählte vom CSD, auf der ihr Leute gesagt hätten, die Grünen sollten zustimmen und weiterkämpfen. Und genau das würden sie tun, so Künasts Fazit. Wieder sprangen Delegierte auf, deutlich mehr als bei Ströble. Die Szene bildete sehr genau das später bekannt gegebene Ergebnis ab.

Vor der Halle hatten am Morgen Anti-AKW-Initiativen wie "ausgestrahlt" oder der BUND gegen eine grüne Zustimmung zu dem von der Koalition vorgelegten Atomgesetz demonstriert. Jochen Stay von "ausgestrahlt" reagierte enttäuscht auf die Entscheidung. "Das ist ein Armutszeugnis für eine Partei, die noch vor vier Wochen ganz anders geredet hat", sagte er der taz. In der Bewegung werde es wenig Verständnis für die grüne Position geben.

Auch Christian Ströbele reagierte enttäuscht auf die Entscheidung. "Aber dafür, dass fast die gesamte Führung für den Vorstandsantrag getrommelt hat, hat sich der Parteitag äußerst widerständig gezeigt", analysierte er. Jürgen Trittin überspielte seine Erleichterung kurz nach der Abstimmung. "Ach wissen Sie, wenn man nicht das Gefühl hat, eine Mehrheit zu erreichen, dann macht man nicht so einen Antrag." Der Vorstand setzte nicht nur seinen Leitantrag durch. Es wurden auch alle erfolgversprechenden Änderungsanträge abgeschmettert. So sieht ein Durchmarsch aus.

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