Atompolitik weltweit: Brasilien hat geopolitische Ambitionen

Vor der Katastrophe in Fukushima belebte der frühere Präsident da Silva das brasilianische Atomprogramm neu. Ziel: die Erdölvorkommen mit Atom-U-Booten zu schützen.

Atomkraftwerk Angra, kuschelig in die begrünten Berge eingeschmiegt. Bild: dpa

PORTO ALEGRE taz | In Brasilien ist die Atomdebatte wieder aufgeflammt. Am Dienstag zogen Protestierende auf einem "Trauermarsch" durch den AKW-Standort Angra dos Reis westlich von Rio. Gestern fand in Brasília eine Anhörung über das brasilianische Atomprogramm statt, bei der Sicherheitsfragen im Vordergrund standen.

Vor der Katastrophe in Japan schienen die Weichen gestellt: 2006 hatte der frühere Präsident Luiz Inácio Lula da Silva das Atomprogramm neu belebt, das bisher vor allem viel Geld gekostet hat: An einer malerischen Bucht zwischen Rio und São Paulo ist der überalterte Westinghouse-Meiler Angra 1 mit dem Spitznamen "Glühwürmchen" in Betrieb, seit zehn Jahren das Siemens-AKW Angra 2. Der Zwillingsmeiler Angra 3, dessen Bauteile seit gut 30 Jahren dort lagern, wird seit 2010 fertiggebaut. Es handelt sich in allen Fällen um Druckwasserreaktoren.

Proteste und Sicherheitsbedenken pflegte Lula unbekümmert zur Seite zu wischen. Die Atomkraft sei für die Diversifizierung von Brasiliens Energiemix nötig, hieß es. Der südamerikanische Riese deckt drei Viertel seines Strombedarfs aus Wasserkraftwerken, die AKWs in Angra sind für 3 Prozent verantwortlich. Das Potenzial für Wind- und Solarkraft ist enorm, wird jedoch kaum genutzt.

Die nukleare Option hat vor allem geopolitische Gründe. Brasilien müsse die riesigen Erdölvorkommen vor der Atlantikküste mit Atom-U-Booten schützen, argumentiert Samuel Pinheiro Guimarães, Stratege im Außenministerium. Die Unterzeichnung der Atomwaffensperrvertrags in den 90er Jahren sei ein Fehler gewesen, meint er.

Nach Fukushima kamen widersprüchliche Signale aus der Regierung. Es gebe keinen Grund, von den eigenen Atomprojekten abzurücken, erklärte Energieminister Edson Lobão. Bis 2030 sind vier weitere AKWs geplant, zwei im Nordosten, zwei im Südosten des Landes. Sprecher der Atomlobby wiesen auf die Unterschiede zwischen Japan und Brasilien hin und mokierten sich über die "emotionalen Maßnahmen" europäischer Regierungen.

Vorsichtiger zeigte sich Präsidentin Dilma Rousseff. Sie sei "extrem besorgt, auch über die Auswirkungen auf unsere Politik", erklärte Präsidentschaftsminister Gilberto Carvalho. Auch Forschungsminister Aloizio Mercadante schloss Änderungen an den Atomplänen nicht aus.

Am Bau von Angra 3 will die Regierung jedoch festhalten, das AKW soll 2015 ans Netz. Dieser Zeitplan werde sich aber wegen der neuen Atomdebatte kaum einhalten lassen, sagen selbst Befürworter voraus.

Im Januar 2010 genehmigte die deutsche Bundesregierung für Angra 3 eine Hermesbürgschaft über 1,3 Milliarden Euro, die Verhandlungen mit den Banken laufen. Am Mittwochnachmittag wollte der Haushaltsausschuss des Bundestags darüber neu beraten, die Zusage könnte noch zurückgenommen werden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.