Widerstand gegen AKWs: Rückkehr der Anti-Atom-Veteranen

Es droht Schwarz-Gelb. Und die Anti-Atom-Bewegung lebt wieder. So starten selbst aus entlegenen Winkeln der Republik Busse zur Anti-AKW- Demo. Angeführt von Veteranen des Widerstands.

Zur Demo nach Berlin kommen auch die ganz erfahrenen Anti-Atomkraftler. Bild: ap

"Man muss sich wieder outen", sagt Rainer Bethlehem, "man muss öffentlich kundtun: Da mache ich nicht mit." Deswegen flattert seit kurzem eine Fahne am Giebel seines Backsteinhäuschens, und auch auf der Kühlerhaube seines Autos prangt wieder die rot-gelbe Sonne, pfannkuchengroß: "Atomkraft? Nein danke!"

Isselhorst, ein Vorort von Gütersloh, zählt 4.500 Bürger. Neubauviertel drücken sich in die Felder, an die 40 Prozent wählen CDU. Nicht gerade eine Hochburg der Anti-Atom-Bewegung. Aber am Samstag, zur großen Demonstration in Berlin, wird auch ein Bus aus Isselhorst anrollen.

Und weil die Plätze nicht ausreichen für all die Interessenten, fahren noch zwei Hand voll im Bus aus Vlotho mit. Und in Lippe, 50 Kilometer weiter, startet ebenfalls ein Bus. All das geschieht, weil Rainer Bethlehem, Fachkrankenpfleger für psychiatrische Pflege, drei Kinder und drei Enkel, wieder aktiv geworden ist.

"Mal richtig abschalten!" lautet das Motto, mit dem ein Zeichen gegen Atomkraft und für Erneuerbare Energien gesetzt werden soll. Start der Demonstration ist am Samstag, 5. 9., um 13 Uhr am Berliner Hauptbahnhof, Abschlusskundgebung und Konzert ab 15 Uhr am Brandenburger Tor. Initiatoren sind Anti-Atom-Initiativen und Umweltverbände, über 100 Organisationen unterstützen den Aufruf.

Der Anti-Atom-Treck ist bereits am Wochenende in Gorleben gestartet. Die inzwischen über hundert bunt geschmückten Trecker und Fahrzeuge werden von rund 50 RadfahrerInnen begleitet. Die Route führt über die Atommüll-Standorte Asse II, Schacht Konrad und Morsleben nach Berlin.

Schon 1979 organisierten Bauern aus dem Wendland einen Treck. Der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) erklärte später die Wiederaufarbeitungsanlage in Gorleben für "politisch nicht durchsetzbar". (sim)

Im Sommer 2008 vermeldeten Meinungsforscher, die Abneigung der Bevölkerung gegen Atomkraft schwinde. Die Stromkonzerne machten keinen Hehl mehr daraus, dass sie den "Konsens" von 2000 platzen lassen wollen. CDU und FDP applaudierten. Bethlehem registrierte diese Entwicklungen mit wachsendem Unmut.

"Es geht wieder in eine Richtung, die ich nicht will." Er sagt das mit Nachdruck. Es ist kein belangloses Detail, es kommt nicht nur vom Kopf her. Es ist eine Herzensangelegenheit. So wie vor 30 Jahren.

Vielen geht es ähnlich. Peter Weymar etwa, Dokumentarfilmer und Blechbläser aus Hamburg. Mit seinem Instrument in der Hand musste er 1981 in Brokdorf vor den Tränengasschwaden fliehen, ein matschiger Graben kam dazwischen, ein Schuh blieb stecken, die Trompete überlebte. Aber aufgespielt gegen Atomkraft hat Weymar schon lange nicht mehr: "Mein Engagement hat sich auf andere Themen gerichtet."

Der Asse-Skandal, die Krümmel-Störfälle, die Gorleben-Lügen - das hat ihn wieder wachgerüttelt. Weymar ist jetzt 63, aber "meine Entrüstungsfähigkeit, die habe ich mir bewahrt". Eine neue Bundesregierung, fürchtet er, könnte "die bisherigen Mini-Erfolge wieder zunichte machen". Es sei "dringender denn je, wieder aktiv zu werden".

Zusammen mit einem Dutzend Hamburger UnternehmerInnen hat Weymar einen dicken Tank Diesel gespendet - Treibstoff für ein paar der über hundert Trecker, die seit dem Wochenende aus dem Wendland nach Berlin rollen. Der Samstag wird für Weymar die erste Anti-Atom-Demo seit vielen Jahren wieder sein. Er hat Freunde gefragt, ob sie mitkommen. Das Auto war schnell voll.

Interaktive Karte zum AKW-Widerstand. Bild: taz

Im Frühjahr 1980 campierte Rainer Bethlehem drei Wochen auf einer Waldbrandfläche bei Gorleben. Er zimmerte Hütten aus Totholz und deckte Teerpappe darüber. Er trug lange Haare wie alle. Am Wochenende brachten alte Bäuerinnen Essen.

Auch sie wollten kein Atommüll-Endlager im Salz. Nie wieder war Gemeinschaft, die "gelebte andere Welt", so spürbar, sagt Bethlehem: "Das prägt." Dann walzten Bulldozer die "Republik Freies Wendland" nieder.

Bethlehems Anti-Atom-Engagement schlief Ende der 80er ein, seine Anti-Atom-Gruppe löste sich auf. Mit dem rot-grünen "Atomkonsens" war das Thema für ihn durch: Das Ende schien ja absehbar. Der korpulente Krankenpfleger schüttelt seinen weißen Bart: "So kann man sich irren."

Die Arbeit an der besseren Welt hat Bethlehem nie aufgegeben. Was könnte das eindrücklicher zeigen als dieser Hektar Wiese, den er vom elterlichen Hof geerbt hat? Bäume und Hecken und unzählige Nistmöglichkeiten haben sie in ein Streuobstparadies verwandelt, samt "Naturschule" im Bauwagen. Biologen sprechen vom "Trittsteinbiotop von überregionaler Bedeutung", die wohl größte Feldsperlingpopulation Nordrhein-Westfalens siedelt hier.

"Es kommt darauf an, die richtigen Bedingungen zu schaffen", erläutert Bethlehem. Der Erfolg stellt sich dann von alleine ein. Das ist im Garten so und auch beim Kampf gegen Atomkraft. Deswegen die Idee mit dem Bus.

Die Nachrichten der vergangenen Wochen taten ein Übriges. Auf dem Speicher hat Bethlehem eine Kiste mit 30 Jahre alten Aufklebern und Plakaten gefunden - "alles wieder aktuell". Einen der Linoldrucke hat er an seine Hauswand gepinnt, Trecker im Konvoi mit Protestschildern sind darauf zu sehen und eine Sprengkugel mit Atomzeichen, "Gorleben" steht darüber. Seit Bethlehem vor fünf Wochen das mit dem Bus in die Hand genommen hat, ist sein Widerstandsgeist wieder voll erwacht: "Es ist tatsächlich so, als wäre kein Tag vergangen."

Bethlehem, der Platzbesetzer vom Bohrloch 1004, hat alte Adressen ausgekramt, hat FreundInnen und Mitstreiter von damals kontaktiert, hat Nachbarn und KollegInnen und Verbände gefragt. Er hat einen Busfahrer aufgetrieben, der die Sache unterstützt, und einen Sponsor, der ein bisschen Geld zuschießt.

"Wir sind doch ein riesiges Netzwerk", sagt er: "Das müssen wir wieder entwickeln." Die Hälfte der Plätze haben Leute unter 25 gebucht, von der Grünen Jugend, von der Attac-Ortsgruppe, Zivis von der Biologiestation. Die älteste Mitreisende ist über 70. Bethlehem hat ihr einen Rollator organisiert.

Er hat Infomaterial, Aufkleber und Plakate verteilt, und neulich haben sie einen alten Trecker geschmückt, hintendrauf Atommüll-Tonnen, vornedran gelbe Harken, zum X gekreuzt. 15 Leute halfen auf der Apfelwiese beim Transparentemalen, um ein Haar wäre sogar das Fernsehen vorbeigekommen. Mit dem geschmückten Deutz ist Bethlehem dann zum SPD-Ortsfest gefahren, das gab ein paar Diskussionen. Am Ende waren wieder zwei Busfahrkarten weg. "Die Demo am 5. 9.", sagt er, "ist erst der Auftakt."

Wackersdorf, Dezember 1985: Die Wiederaufarbeitungsanlage, in Niedersachsen politisch nicht durchsetzbar, soll jetzt im Taxöldener Forst entstehen. AtomkraftgegnerInnen halten Wache am Lagerfeuer. Gisela Wendling-Lenz kann sich noch gut erinnern an die bitterkalten Nächte, an die weißen Helme der Polizisten im Wald.

An das Gefühl der totalen Ohnmacht gegen Staat und Atomindustrie. Und an den Versuch, dieses Gefühl mit großen Demonstrationen zu relativieren. Wendling-Lenz hat schon in Wyhl demonstriert, in Gorleben und Brokdorf. Das AKW Wyhl wurde nicht gebaut, die WAA blieb eine Bauruine. Bankkauffrau Wendling-Lenz wurde Unternehmerin.

"Die Menschen fragten immer: ,Woher kommt denn bei euch der Strom?' Und wir sagten: ,Sonne, Wind, Wasser.' Ich wollte zeigen, dass das geht." Die Ostwind-Gruppe, gegründet von Wendling-Lenz und ihrem Mann, hat inzwischen 400 Windkraftanlagen mit der Gesamtleistung eines kleineren AKW installiert, weitere 1.000 Megawatt stehen auf dem Plan.

Das Regensburger Unternehmen gehört zu den Windkraft-Pionieren in Frankreich und Tschechien. Und vor der Haustür hat Ostwind gerade einen 140 Meter hohen Messmast in Betrieb genommen. In diesen Höhen, so die Prognose, lässt sich selbst im hügeligen Bayern kräftig Windstrom gewinnen. Die Energiedebatte im Freistaat könnte das noch kräftig durcheinanderwirbeln.

Wendling-Lenz Ziel ist eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien. Sie weiß, dass dafür auch politische Entscheidungen nötig sind. Längere Laufzeiten für Atomkraftwerke etwa, warnt sie, würden den Boom der Öko-Energien kräftig ausbremsen. Die ganze Innovation, der Aufbruch, die riesige, auch wirtschaftliche Chance, "das geht dann flöten".

70 IngenieurInnen, TechnikerInnen und Kaufleute beschäftigt Ostwind. Zur Demo am Samstag hat Wendling-Lenz eine gemeinsame Fahrt nach Berlin organisiert. Selbstverständlich wird auch sie mit auf die Straße gehen: "An den Gefahren der Atomkraft hat sich doch überhaupt nichts geändert."

Die Busfahrt von Isselhorst nach Berlin dauert fünf Stunden. Viel Zeit, um Pläne zu schmieden. Rainer Bethlehem träumt von einem Biomasse-Kraftwerk, das die heimischen Agrarabfälle verwertet, vom Umstieg der Stadtwerke auf Ökostrom. Die nächste Anti-Atom-Demo in Gütersloh ist bereits abgemacht. Der politische Druck, Atomkraftwerke abzuschalten, soll nach der Bundestagswahl nicht abnehmen. "Rechnet mit uns!", sagt Bethlehem. Er meint es ernst.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.