Endlager Gorleben: Geschönte Wirklichkeit

Das Bonner Bundesforschungsministerium wirkte 1983 massiv darauf ein, dass ein Gutachten zum Salzstock Gorleben entschärft wurde. Ein Fernschreiben belegt das jetzt.

Endlager Gorleben in 840 Metern Tiefe - von Anfang an ungeeignet? Bild: ap

Mit einem Telex vom Mai 1983, das aus dem Bonner Forschungsministerium an die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) gesendet wurde, ist erstmals ein Beleg für die politische Einflussnahme auf ein entscheidendes Gorleben-Gutachten aufgetaucht. Das Dokument, über das die Süddeutsche Zeitung am Mittwoch berichtet hatte, nimmt Bezug auf ein zwei Tage zuvor, am 11. Mai 1983 stattgefundenes Gespräch der Gorleben-Gutachter in der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover und verlangt eine ganze Reihe von entschärfenden Änderungen. Auf Grundlage dieses geschönten Gutachten fiel dann die Entscheidung, die Erkundung des Salzstocks Gorleben durch den Bau des Endlagerbergwerks fortzusetzen.

Von dem damals entscheidenden Gespräch hatte der für das Gutachten verantwortliche PTB-Abteilungsleiter Helmut Röthemeyer der taz schon im April 2009 berichtet: Im Mai 1983 wollten sich alle an der Begutachtung des Salzstocks beteiligten Wissenschaftler zu einem abschließenden Gespräch treffen. Obwohl von Röthemeyer nicht eingeladen, erschienen auch Vertreter des Bundeskanzleramts und der Ministerien für Forschung und Inneres und verlangten Änderungen an der Expertise. Es habe zwar keine schriftliche Weisung gegeben, aber er habe das sehr unerfreuliche Gespräch als Weisung aufgefasst, sagte der inzwischen pensionierte Wissenschaftler.

Aus zwei, mittlerweile von der BI Lüchow-Dannenberg veröffentlichten Entwürfen für das Gutachten wurde nach dem Treffen die Empfehlung gestrichen, parallel zur Erkundung von Gorleben auch andere Endlagerstandorte zu untersuchen. Zudem fehlt in dem Schlussgutachten, dass der Gorlebener Salzstock nur für die Endlagerung von Abfällen sicher geeignet sei, die keine Wärme mehr entwickeln - so wie es in den Entwürfen noch stand. Stattdessen wurde in der Endfassung festgestellt: "Die bestätigte Eignungshöffigkeit des Salzstocks für die Endlagerung der vorgesehenen radioaktiven Abfälle rechtfertigt das Abteufen von Schächten und die Erkundung des Salzstock-Inneren." Eignungshöffigkeit ist ein Begriff aus dem Bergbau, der ausdrückt, dass eine Einlagerung voraussichtlich möglich ist.

Das nun aufgetauchte Telex bestätigt Röthemeyers Angaben. Das Fernschreiben formulierte explizit Änderungswünsche: Es wird gebeten, einen Abschnitt des Gutachtens über noch nicht abgeschlossene Untersuchungen mit der Aussage zu beenden, dass deren Ergebnisse "die Eignungshöffigkeit des Salzstocks voraussichtlich nicht infrage stellen können". Das Forschungsministerium verlangte zudem, das Gutachten "sinngemäß mit einer Aussage abzuschließen, dass berechtigte Hoffnung besteht, dass im Salzstock Gorleben ein Endlager für alle Arten von radioaktiven Abfällen eingerichtet werden kann".

Das Telex regte außerdem eine andere Gliederung des Gutachten an und verlangte, den "vermutlich hypothetischen Störfall des Wasser- und Laugenzutritts" etwas weiter vom Zentrum der Betrachtung wegzurücken. Diesem Vorschlag folgten die Wissenschaftler in der Endfassung jedoch nicht.

Die für die Endlagerung zuständige PTB-Abteilung ging später im Bundesamt für Strahlenschutz auf. Dessen heutiger Präsident Wolfram König zeigte sich am Mittwoch geschockt. "So etwas habe ich in meiner Amtszeit noch nicht erlebt", sagte er der taz. Nach Auffassung von König haben für den Umgang der Politik mit den ihr zuarbeitenden Wissenschaftlern klare Regeln zu gelten. "Die Vorschläge einer wissenschaftlich-technischen Behörde sind nicht bindend für die Politik, aber die Behörde muss ihre Vorschläge unabhängig von der Politik erarbeiten können", betonte er. Dabei sei die Behörde verpflichtet, das gesamte Spektrum des Sachverstands zu nutzen.

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel bestätigte am Mittwoch die Echtheit des Fernschreibens. Das Telex sei Bestandteil von Unterlagen, die das Bundesumweltministerium dem Kanzleramt nach ersten Berichten über Einflussnahme auf das PTB-Gutachten zugeleitet habe, sagte er in Hannover. Gabriel forderte Bundeskanzlerin Merkel zur einer Distanzierung von den Vorgängen unter Helmut Kohl auf.

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