Neue Gesichter der Antiatom-Bewegung: "Jeder findet Atomkraft doof"

Vier Leute erzählen, warum sie zum ersten Mal auf eine Anti-Atom-Demonstration gingen.

Zum ersten Mal gegen die Atomkraft auf der Straße: Elisabeth Krause. Bild: martin kaul

Der Unmut gegen die Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke hat breite Schichten auf die Straße getrieben, darunter viele Neulinge.

"Diese Regierung kann weg"

9 Stunden und 14 Minuten sind es mit der Bahn von Nürnberg nach Berlin und wieder zurück. 9 Stunden, die Elisabeth Krause an diesem Samstag in Kauf genommen hat, um erstmals gegen Atomkraft zu demonstrieren. Um 4 Uhr in der Früh ist sie aufgestanden. "Ich bin eben in keiner Gruppe organisiert", sagt sie. "Aber ich dachte einfach, dass jede Person heute wichtig ist, dass es auf jeden Einzelnen ankommt."

Elisabeth Krause ist zum ersten Mal in ihrem Leben auf einer Antiatomdemo, wie viele heute hier. "Ich hoffe einfach, dass es etwas nützt." Die 50-Jährige spricht ruhig und sachlich, doch Elisabeth Krause hat die Schnauze voll. Mit Empörung sagt sie: "Diese Lobbypolitik der Bundesregierung ist doch unerträglich.

Ich glaube, dass die Industriebosse die Regierung so manipuliert haben, dass sie ihr ihre eigenen Interessen problemlos unterjubeln können." Der Atomkonsens müsse bleiben, wie er ist. "Ich kann doch nichts produzieren, wenn ich nicht weiß, wo ich den Müll hintun soll."

Die Frühpensionärin arbeitete früher im Rechnungswesen bei der Bahn, da hat sie die Neubaustrecken zwischen Nürnberg und München durchgerechnet. Und "eigentlich", sagt sie, ist sie nicht auf Protest gebürstet. Das umstrittene Bahnprojekt "Stuttgart 21" begrüßt sie zum Beispiel.

"Aber was die Bundesregierung da macht, das kann man sich nicht einfach angucken." Bei ihrer ersten Wahl, da hat sie noch FDP gewählt. "Damals war ich wohl etwas uninformiert", sagt sie. Heute sieht sie das anders: "Diese Regierung kann weg."

Vom Fußballplatz zur Demo: Linus Debrodt. Bild: martin kaul

"Gehirn einschalten, AKWs abschalten"

Linus Debrodt, 9, hat am Samstag gleich zweimal gewonnen. Mit seinen Leuten in der E-Jugend beim SV Pfefferberg trug er am Morgen einen tollen Sieg vom Platz. 8:4 war das Ergebnis von Linus und seiner Truppe beim Spiel gegen Rotation Prenzlauer Berg.

Und jetzt stehen fünf der zwölf Spieler aus der Siegermannschaft vom SV Pfefferberg wieder auf der Straße. Heute gewinnen sie zahlenmäßig gegen die Bundesregierung. Es ist das erste Mal in seinem Leben, dass Linus an einer Demo teilnimmt.

Er trägt ein gelbes T-Shirt: "Gehirn einschalten, AKWs abschalten" steht darauf.

Eine Tante seines Freunds hat sie gemacht. Und sein Transparent hat Linus selbst gemalt. "Lebenszeitverlängerung statt Laufzeitverlängerung" ist sein Demo-Slogan, mit grünen und roten Farben hat er es gemalt. Und sein Gehirn hat der neunjährige Grundschüler schon eingeschaltet. Linus ist in der vierten Klasse.

"Atomkraft ist einfach blöd, weil es Krankheiten verursachen kann, wenn was explodiert." Neulich hat er im Unterricht über Atomkraft diskutiert. "Jeder in meiner Klasse fand Atomkraft doof. Nur die Lehrerin war dafür."

Angst vor den vielen lauten Menschen um ihn rum hat Linus mit den blonden Haaren und dem kecken Lächeln nicht. "Wenn wir alle gegen Atomkraft sind, dann ist doch gut, wenn wir auch alle demonstrieren", sagt er. "Ich finde, dass lohnt sich total."

Jetzt hat er aber genug geredet. Die Demo zieht weiter, die Kumpels tragen schon die ganze Zeit das Transparent, und er will wieder zupacken.

Erstmals gegen Akws auf der Straße: Jürgen und Karla Hantigk. Bild: martin kaul

"Eine reine Verarsche"

Zusammen sind sie 131 Jahre alt. Aber gegen Atomkraft waren sie noch nie auf der Straße. Jürgen und Karla Hantigk, er 65, sie 66 Jahre alt, gehen Arm in Arm den Bürgersteig entlang. Da drüben bekleben gerade Demonstranten die Bundeszentrale der FDP mit Antiatomkraft-Aufklebern. Die beiden lachen.

Die Brandenburger aus dem Örtchen Zühlsdorf sind empört: "In unserer ganzen Familie sind wir gleicher Meinung: Das, was die da oben mit uns machen wollen, geht so nicht." Sie sind neu hier, im Antiatomkraft-Spektrum. "Wenn es so weit kommt wie jetzt, dann kann man ja nicht mehr zu Hause bleiben."

Karla Hantigk regt sich auf: "Das ist doch eine reine Verarsche. Das passt genau in die gleiche Taktik, die Angela Merkel mit dem Irakkrieg auch fahren wollte: Sie will die Öffentlichkeit ganz einfach für dumm verkaufen. Es geht denen doch vor allem ums Geld."

Dass man hinter den Atomkonsens zurückfällt, das könne kaum noch jemand nachvollziehen, sagt die pensionierte Lehrerin. "Nein, das machen wir nicht mit."

Sie schlendern die Friedrichstraße entlang, vorbei an der Spree. Und Jürgen Hantigk ist beeindruckt, wie viele Leute heute hier sind. "Das kann ich aber auch verstehen. Der Staat handelt radikal. Wenn die Gesetzgebung wirklich so kommt, dann handelt der Staat brutal gegen seine Bürger." Nicht, dass er es sich wünschen würde. Aber "nachvollziehen kann ich es schon, wenn sich auch der Protest gegen diese Politik radikalisiert", sagt der Rentner.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.