Neue Protestwelle: Kampf dem Klima-Killer Kohle

Angesichts der zahlreichen neuen Kohlekraftwerke, die in ganz Deutschland geplant sind, formiert sich bundesweit Protest. Die Konzerne sind überrascht und fürchten um ihre Planungssicherheit.

Beim Klimacamp in Hamburg wollen 2500 Menschen unter anderem gegen das Kraftwerk Moorburg protestieren. Bild: dpa

In Hamburg nimmt der Streit um das geplante Kohlekraftwerk konkrete Formen an: Am kommenden Wochenende soll die Baustelle im Stadtteil Moorburg besetzt werden - von hunderten oder sogar tausenden Aktivisten. Die Aktion soll der Höhepunkt des Klimacamps werden, das am Freitag mit dem Aufbau der Zelte im Hamburger Volkspark und einem ersten Plenum offiziell begonnen hat.

Auch andernorts zeigt sich ziviler Ungehorsam gegen die Nutzung der Kohle: Etwa in Mannheim, wo Aktivisten im Mai einen Kohlezug stoppten, um den Nachschub ins örtliche Kraftwerk zu unterbrechen. Zudem besetzten Klimaschützer im Mai kurzzeitig den Bauplatz eines neuen Kohlekraftwerkes am Rhein.

Diese Aktionen gehen - wie das Camp in Hamburg - eher von einem links-aktionistischen Spektrum aus. Doch auch in ländlichen und bürgerlichen Milieus tut sich einiges: So gingen im emsländischen Dörpen im Juni 5.000 Menschen gegen ein geplantes Kohlekraftwerk auf die Straße - was besonders erstaunt, wenn man weiß, dass der Ort gerade einmal 4.800 Einwohner hat. Und in Mainz beteiligten sich die Menschen mit über 60.000 Einwendungen gegen ein geplantes Kohlekraftwerk.

Es scheint, als etabliere sich in Deutschland eine neue Protestbewegung: gegen Kohlekraftwerke. Aus gutem Grund: Einer Erhebung der Hamburger Anwaltskanzlei Heidel zufolge sind derzeit 19 neue Kohlekraftwerke in Deutschland im Genehmigungsverfahren und weitere 5 konkret geplant. Zu diesen 24 Projekten kommen mindestens 10 Kohlekraftwerke, die die Konzerne erklärtermaßen bauen wollen. Und wo immer dies geschehen soll, entsteht Protest.

Kohlekraftwerke sind offenbar wie Mülldeponien - vor der eigenen Haustür will sie niemand. "Die meisten Leute bei uns haben sich davor nie mit dem Thema Klima beschäftigt", sagt Jan Deters-Meissner, der Sprecher der Dörpener Bürgerinitiative Saubere Energie. "Wäre das Kraftwerk an einer anderen Stelle geplant worden, hätte sich das hier wahrscheinlich auch nicht geändert." Jetzt aber, wo ein riesiger Kühlturm die Kleinstadtsilhouette bedroht, sieht das ganz anders aus. "Die Leute setzen sich mit Treibhausgasen, elektrischen Wirkungsgraden und der ,Stromlücke' auseinander", erzählt Deters-Meissner. Dafür treffen sie sich im Gasthof "Good Times", um anschließend Erklärungen wie die folgende zu veröffentlichen: "Vor allem wurde kritisiert, dass dieses Projekt mit seinem CO2-Ausstoß allen Zielen zur Verhinderung der Klimakatastrophe Hohn spricht. Es wurde betont, dass erneuerbare Energiequellen und die Kraft-Wärme-Kopplung genügend Alternativen bieten, so dass niemand Sorge haben müsse, dass eines Tages die Lichter ausgehen könnten."

Insbesondere Menschen, die an Wasserstraßen oder an der Küste wohnen, sehen sich mit neuen Kraftwerksprojekten konfrontiert. Weil die Bundesregierung bis 2018 aus der hochsubventionierten deutschen Steinkohleförderung aussteigen will, müssen Kraftwerke künftig mit importierter Kohle befeuert werden. Und die kommt meist per Schiff aus Südafrika, Indien, Australien oder Indonesien.

Gleich zehn neue Kohlekraftwerke sind an der Nordseeküste geplant, weshalb dort der Protest besonders stark ist. In einer gemeinsamen Resolution an die Landes- und Bundesregierung kritisierten die Bürgermeister von Borkum, Juist, Norderney, Baltrum, Langeoog, Spiekeroog und Wangerooge, dass der Wind den Schornsteinaustrag der Kraftwerke direkt auf die Inseln treibe und damit ihre Attraktivität für den Tourismus gefährde. Zudem hätten die Inseln besonders unter einem Anstieg des Meeresspiegels im Gefolge der Erderwärmung zu leiden.

Protest gibt es auch im vorpommerschen Lubmin, wo der der dänische Staatskonzern Dong ein Kohlekraftwerk mit einer Leistung von 1.600 Megawatt bauen möchte. Weil in Dänemark die Klimagesetze so streng sind, dass Dong mit keiner Genehmigung für ein solches Projekt hätte rechnen können, wollte man in das strukturschwache Gebiet am Greifswalder Bodden ausweichen. Doch der massenhafte Bürgerprotest dürfte den Konzern überrascht haben. Über 30.000 Unterschriften sammelte die örtliche Bürgerinitiative für ein Volksbegehren. Schon die Hälfte hätte genügt, um den Landtag zu zwingen, über das Projekt zu debattieren. Tatsächlich kostete es Ministerpräsident Harald Ringstorff einige Mühe, seine SPD auf eine Befürwortung des Kraftwerks zurückzubringen: Die Genossen fürchten, dass diese Politik den Niedergang der SPD vor Ort beschleunigen könnte.

Ähnlich ergeht es Brandenburgs Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD). Über 26.000 Unterschriften hat die Volksinitiative "Keine neuen Tagebaue" zusammengetragen, um so vom Landtag ein Gesetz zum mittelfristigen Ausstieg aus der Braunkohleverstromung zu erreichen. Vattenfall hatte beantragt, drei neue Tagebaue aufschließen zu dürfen, um auch nach 2030 seine Braunkohlekraftwerke noch mit Rohstoff versorgen zu können, was Platzeck, einst Mitgründer des ostdeutschen Umweltverbandes Grüne Liga, so zu kommentieren wusste: "Ob wir in Brandenburg unsere Kraftwerke schließen, hat auf das Weltklima ungefähr so viel Auswirkungen, als ob in China ein Sack Reis umfällt."

Dabei wird nirgends in der Welt so viel Braunkohle verbrannt wie in der Lausitz. Falls Vattenfall seine Pläne für den Tagebau verwirklicht, würde hier Prognosen zufolge im Jahr 2030 so viel Kohlendioxid produziert, wie dann der deutschen Industrie insgesamt noch zustehen dürfte, um das Klimaziel der Bundesregierung von minus 80 Prozent bis zum Jahr 2050 zu erreichen.

"Statt heute den notwendigen Kurswechsel einzuleiten, tappt die Politik in die PR-Falle", sagt René Schuster von der Grünen Liga Brandenburg, die heute gegen ihren ehemaligen Mitstreiter Platzeck das Bürgerbegehren initiiert: Vattenfall will nämlich spätestens zum Jahr 2019 ein "kohlendioxidarmes" Kraftwerk bauen. Aus den Abgasen soll das Treibhausgas abgeschieden werden, um dann verflüssigt irgendwo in tiefen Gesteinsformationen "endgelagert" zu werden.

"Wir haben bislang ein Endlager-Problem mit dem Atommüll. Künftig haben wir dann zwei Endlagerprobleme", urteilt Christoph Bautz, der Sprecher der Aktion Campact. "Und obwohl alle Experten behaupten, dass die Technologie - wenn überhaupt - frühestens in 15 Jahren großtechnisch einsatzfähig ist, tut die Politik heute schon so, als könne diese Technologie das Klimaproblem lösen." Es dürfe aber nicht darum gehen, weiterhin Kohlendioxid zu produzieren, sondern kohlendioxidfreien Techniken den Weg zu ebnen. Auch das Büro für Technikfolgen-Abschätzung des Deutschen Bundestages kommt zu dem Schluss, dass die Einführung der "CCS" genannten Technologie bis zum Jahr 2020 in Fachkreisen als "sehr ambitioniert" eingeschätzt werde und "nur unter günstigen ökonomischen und politischen Randbedingungen möglich" sei.

Unterdessen zeigt der Protest erste Erfolge: Im Saarland kam es zur Volksbefraung, der ersten seit 30 Jahren, in der die Bürger einfach den dort geplanten Klimakiller wegstimmten. In Hamburg hat die schwarz-grüne Koalition immerhin die Absicht geäußert, das geplante Kraftwerk in Moorburg durch ein umweltfreundlicheres Gaskraftwerk zu ersetzen - ob ihr das gelingt, wird sich allerdings erst vor Gericht zeigen. Und in Berlin hat Vattenfall den angekündigten Bau einen neues Kohlegiganten nach Protesten bis auf weiteres zurückgestellt. "Die Investoren beklagen zunehmend mangelnde Investitionssicherheit", sagt Gerd Rosenkranz von der Umwelthilfe. Ein Punkt, der sie unsicher macht: der Protest vor Ort.

Ob es sich bei diesen Protesten tatsächlich um eine neue Bewegung handelt oder um eine Ansammlung von Schrebergärtnern, die Angst davor haben, dass ihr Ausblick verbaut wird, wird sich im September zeigen. Die Klimaallianz, ein Zusammenschluss von etwa 100 Organisationen aus Umwelt-Entwicklungshilfe-Organisationen, Kirchen und Gewerkschaften, ruft am 13. September zu zwei zentralen Demonstrationen auf. Die findet im hessischen Großkrotzenburg bei Hanau statt, wo Eon einen neuen Kraftwerksblock bauen möchte. Die andere ist in Jänschwalde bei Cottbus geplant - das dortige Braunkohlekraftwerk ist mit einem Jahresausstoß von rund 25 Millionen Tonnen Kohlendioxid Europas fünftgrößter Klimakiller. Zur letzten "Großdemo" der Klimaallianz an der Baustelle des Kohlekraftwerks Neurath bei Düsseldorf kamen 3.000 Menschen.

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