Knappe Nahrungsmittel entfachen Bio-Debatte: Kampf um die Äcker
Die Chemieindustrie hat die Nahrungsmittelkrise genutzt, um gegen die Öko-Landwirtschaft zu wettern. Doch immer mehr Turbo-Landwirtschaft fällt als Alternative aus.
"Ein hungriger Mann ist ein wütender Mann", heißt es in Haiti. Anfang April waren tausende Haitianer so wütend, dass sie Autoreifen in Brand steckten, zu Barrikaden auftürmten und sich Kämpfe mit Sicherheitskräften lieferten. Ein nagendes Gefühl im Bauch, eine Leere, beinahe ein Schmerz trieb sie dazu: Hunger. Er wurde immer größer, weil sich der Preis für Reis innerhalb einer Woche verdoppelt hatte. Viele Haitianer mussten deshalb auf Essen verzichten, denn mehr als 80 Prozent der Bevölkerung in dem Karibik-Staat leben unterhalb der Armutsgrenze.
Ähnliche Proteste wegen kräftig gestiegener Lebensmittelpreise gab es im Frühjahr in etwa 30 Ländern: zum Beispiel in Peru, Mosambik oder Indonesien. Inzwischen sind Nahrungsmittel wieder billiger, aber die Vereinten Nationen rechnen insbesondere wegen der steigenden Nachfrage weiter mit höheren Preisen als in der vergangenen Dekade. Einer der Gründe ist das Bevölkerungswachstum.
Der Hunger der Kleinbauern
Selbst Entwicklungshilfeorganisationen akzeptieren deshalb, dass die Landwirtschaft produktiver werden muss. Den Aktivisten zufolge entsteht Hunger zwar vor allem, weil die Nahrungsmittel und die Produktionsressourcen nicht richtig verteilt werden. Aber das zu ändern, kann dauern. Gleichzeitig raten Entwicklungspolitiker deshalb: Kleinbauern im Süden, die paradoxerweise das Gros der Hungernden stellen, müssen mehr aus ihrem Land herausholen.
Den großen Agrochemie-Konzernen liefert die wachsende Zahl der Hungernden Argumente für ihr Konzept der Landwirtschaft: Die Welt müsse mehr Essen erzeugen, sagen die Unternehmen, und das gehe am besten mit mehr synthetischem Dünger und Pestiziden sowie gentechnisch verändertem Saatgut - also mit all dem, was im Öko-Landbau verboten ist.
"Biobauern können die Welt nicht ernähren" überschrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung ein Interview mit dem Chef des weltgrößten Pestizidkonzerns Syngenta, Michael Mack. Angriffspunkt sind für den US-Amerikaner die angeblich deutlich niedrigeren Erträge der Bio-Bauern. "Ohne Pflanzenschutzmittel könnten wir vier Milliarden Menschen ernähren und nicht wie mit konventioneller Landwirtschaft 6,5 Milliarden, die heute auf der Erde leben", sagt der Vorstandsvorsitzende des Schweizer Unternehmens.
Ob das stimmt, wird auf den Äckern der schleswig-holsteinischen Versuchsbauernhöfe Lindhof und Karkendamm untersucht. Dort ließ der Leiter der Forschungsschwerpunkts Ökologischer Landbau, Friedhelm Taube, parallel Felder bio und konventionell bewirtschaften. Am Ende des Jahres zählte er zusammen, wieviel Hafer, Weizen oder andere Früchte geerntet wurden. Sein Ergebnis: Bei den Biofeldern gingen die Erträge je nach Bodenqualität um 20 bis 70 Prozent zurück.
Dass Bio auch langfristig weniger produziert, zeigt ein Versuch des ökofreundlichen Forschungsinstituts für biologischen Landbau (Fibl) in der Schweiz. Er läuft seit mehr als 30 Jahren und zeigt Ertragseinbußen von durchschnittlich 20 Prozent.
"Der Grund für die niedrigeren Erträgen im Ökolandbau ist, dass ihm die Nährstoffe fehlen", sagt Landbauforscher Taube. Zwar binden Biobauern mit Hülsenfrüchtlern wie Bohnen, Erbsen oder Klee im Boden Stickstoff, den Pflanzen zum Wachsen brauchen - aber eben nicht so viel wie ihre konventionellen Kollegen mit Kunstdünger zuführen.
Um sich gegen den Vorwurf der niedrigen Erträge zu wehren, verweist die Bio-Branche vor allem auf eine Studie: Ein Forscherteam um Catherine Badgley von der University of Michigan wertete die Erträge von 293 Anbauprojekten rund um den Globus aus und kam zu dem Schluss: Weltweit lässt sich mit Bio-Landbau über 50 Prozent mehr erzeugen als alle Bauern derzeit schaffen; niemand müsse hungern. Und das, ohne die Flächen auszuweiten.
Bio-Anhänger freut das Ergebnis. Doch bei genauem Lesen der Untersuchung dürfte die Euphorie schnell vergehen. Schuld ist ein Forscher der neokonservativen US-Denkfabrik Hudson Institute: Alex Avery warf der Michigan-Gruppe vor, nur 11 bis 21 Prozent der zitierten Anbaudaten aus Entwicklungsländern stammten wirklich von Bio-Projekten. "Viele (wenn nicht alle) benutzten synthetische Dünger und Pestizide." Das trifft auf manche der angeführten Projekte tatsächlich zu, räumten Badgley und ihre Kollegen schließlich ein. Genaue Zahlen nannten sie trotz Anfrage der taz nicht.
Auch aus einem anderen Grund stößt die Untersuchung auf Skepsis: In den Entwicklungsländern vergleicht sie die angeblichen Bio-Höfe mit Betrieben, die bei weitem nicht die Möglichkeiten der konventionellen Landwirtschaft ausschöpfen. So erklärt Co-Autorin Ivette Perfecto den großen Vorsprung der Biobauern etwa in Afrika denn auch damit, dass die Bauern dort noch nicht so guten Zugang zu teuren Kunstdüngern und Pestiziden hätten wie ihre Kollegen im Norden. Für die Industrie ist das eine Steilvorlage: Sie könnte diese Erklärung zu Forderungen nutzen, etwa über Entwicklungshilfe Chemikalien für die Bauern zu verbilligen.
Costa Rica. Mittelamerika. Ein kleines gelbes Flugzeug rauscht über eine Bananenplantage. Aus Düsen an den Tragflächen spritzen feine Tröpfchen: Chemikalien gegen Pilzerkrankungen der Pflanzen. Das Gift setzt sich auf den Stauden fest - aber auch auf den Hütten der Plantagenarbeiter, die zwischen den Feldern wohnen.
Das ist nur ein Weg, wie Menschen mit Pestiziden in Kontakt kommen und oft erkranken. "Hunderttausende von Bauern werden jährlich vergiftet durch Pestizide, oft mit tödlichen Folgen", sagt Alexander Hissting, Agrarexperte der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Ein Teil der Chemikalien versickert auf den Feldern und landet im Trinkwasser. Auch die hohen Düngermengen verursachen große Schäden: "Die Dünger gelangen ins Meer und ernähren dort Algen", erklärt Hissting. Wenn diese absterben und von Bakterien zersetzt werden, wird dem Wasser Sauerstoff entzogen. "So entstehen tote Zonen."
Zudem halten Umweltschützer den herkömmlichen Landbau für einen regelrechten Klimakiller. Weil für die Herstellung von Pestiziden und synthetischen Düngern sehr viel Energie notwendig ist, verursacht er einen höheren Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2). Die Verbraucherorganisation Foodwatch hat errechnen lassen, dass durch die Umstellung auf Ökolandbau in Deutschland 15 bis 20 Prozent der Treibhausgase im Agrarsektor eingespart werden könnten. Gentechnik lehnen Umweltschützer schon deshalb ab, weil niemand abschätzen kann, welche Folgen diese Eingriffe ins Erbgut für Gesundheit und Natur haben.
Auch Entwicklungshelfer warnen vor der Turbo-Landwirtschaft. Denn sie ist sehr teuer für arme Kleinbauern etwa in Afrika: Mineraldünger, Pflanzenschutzmittel und Hochleistungs-Saatgut kosten. "Außerdem werden die Bauern noch abhängiger von den Konzernen, wenn sie stärker auf diese Mittel setzen", sagt Nicole Piepenbrink vom katholischen Hilfswerk Misereor.
Konventionell und ökologisch
Für viele Agrarexperten steht deshalb fest: 100 Prozent konventionell kann die Menschheit nicht ernähren, ohne unvertretbaren Schaden anzurichten - aber 100 Prozent Öko geht auch nicht. "Ägypten zum Beispiel hat einen geringen Selbstversorgungsgrad", erklärt Daniel Neuhoff, der am Institut für Organischen Landbau der Universität Bonn arbeitet. Würde ein solches Land komplett auf Bio umstellen, wäre es noch abhängiger von Lebensmittelimporten und schwankenden Weltmarktpreisen. Dass sie für ihre konventionelle Landwirtschaft Mineraldünger und Pestizide einführen müssen, ist kein Widerspruch, denn diese Investitionen sind billiger als Nahrungsmittelimporte.
Diesen Ländern empfiehlt Neuhoff deswegen, Elemente des konventionellen und des ökologischen Landbaus zu kombinieren. Zum Beispiel so: mehr Hülsenfrüchte anbauen, mehr organischen Dünger wie Kompost verwenden, aber falls nötig ebenso synthetischen Stickstoff wohldosiert ausbringen. Diese Landwirtschaft wäre immer noch konventionell - aber viel ökologischer als bisher.
Friedhelm Taube will Öko stärker dort fördern lassen, wo seine Vorteile besonders groß sind: Der Agrarprofessor hat in seinen Anbauversuchen in Schleswig-Holstein bewiesen, dass Bio auf weniger fruchtbaren Böden sehr klimafreundlich ist. Dort verursachen Ökobauern weit weniger Treibhausgase als ihre konventionelle Kollegen. "Und die Erträge sind nur geringfügig niedriger", sagt der Experte. Auf hochertragreichen Böden sieht das aber anders aus: Dort hat Konventionell einen größeren Vorsprung und produziert in etwa genauso viele klimaschädliche Gase wie ein Bio-Betrieb.
Auch Taube und Neuhoff haben das Ziel, den Bio-Anteil stark zu erhöhen, nicht aufgegeben. Aber dafür müssten sich die Menschen in den reichen Staaten anders ernähren als derzeit. Es ist eine alte Forderung, doch deshalb nicht falsch. "Wir in den industrialisierten Ländern essen zu viel Fleisch", sagt Taube. Vor allem Rinder verschlingen viel Futter, das auf großen Ackerflächen angebaut werden muss. "Auf vielen dieser Felder", fordert er, "sollten wir lieber Lebensmittel für Menschen anbauen."
Leser*innenkommentare
berni w.
Gast
@ snowie und MTK: Der Meinung bin ich auch!
@ Klaus Braunert: Ich sehe das ganz anders!
Gerade w e i l die Weltbevölkerung immer noch wächst, ist die Frage umso dringender!
Außerdem: Davon abgesehen, dass für mich Armutsreduzierung einen Wert an sich selbst hat,
ist sie auch ein wichtigs Mittel, um die Chance zu erhöhen, die Weltbevölkerungszahl langfristig auf 'humane' Weise wieder zu senken.
Armut ist nämlich verschränkt mit bestimmten Formen eines Mangels an Bildung und an Selbstbestimmung, und diese beiden wiederum (besonders auch der Mädchen und Frauen - vgl. indirekten (oft von traditionellen Mentalitäten) und direkten Zwang zu Schwangerschaften) verstärken das Bevölkerungswachstum.
MTK
Gast
Ich kann snowie nur zustimmen, auch wenn ich die Ideee mit dem "Bio-"Kunstdünger für bedenklich halte.
Noch ein Punkt: Der Bericht erwähnt es am Rande, viele, vielleicht die meisten, der Hungernden sind Erzeuger, die einfach zu arm sind, um sich ihre eigenen Erzeugnisse leisten zu können. Um ihre Kosten zu decken, müssen sie fast ihre gesamte Ernte verkaufen. Wenn man den Ertrag steigert, wird das aber nur zu sinkenden Erzeugerpreisen führen und unter dem Strich ändert sich für sie nichts. Da gilt einfach die alte Regel von Angebot und Nachfrage. Wahrscheinlich steigen sogar ihre Ausgaben, denn Hochleistungs-Saatgut, Dünger, Pflanzenschutz wollen bezahlt werden. Die einzigen Gewinner wären die Produzenten dieser Hilfsmittel.
Ich glaube, daß Bio + FairTrade mehr gegen den weltweiten Hunger bewirken.
In der erzeugten Menge liegt das Problem m.E. nicht.
Klaus Braunert
Gast
Die allgemeine Verdrängung, daß 80 Millionen Menschen mehr auf der Erde jedes Jahr den kollektiven Hungertod, das Leben unter unerträglichen Bedingungen und die ökologische Katastrophe unvermeidbar machen, sorgt dafür, daß dieses größte Problem überhaupt nicht diskutiert wird. Vor diesem Hintergrund sind alle anderen Diskussionen um wieviel Produktivität und wie diese zu erreichen sei, pure Effekthascherei.
snowie
Gast
Die Kritik an der erwähnten Studie ist richtig. Trotzdem ist es falsch zu sagen, Bio-Landwirtschaft könnte die Menschheit nicht ernähren.
Diese Kritik vergisst z.B. vollkommen, dass Tausende Hektar, die in den letzten Jahrzehnten zu Wüste und Halbwüste geworden sind, zurückgewonnen werden könnten, z.B. durch Projekt wie:
http://de.wikipedia.org/wiki/Afrikas_Gr%C3%BCne_Mauer_im_Sahel
und http://de.wikipedia.org/wiki/Green_Belt_Movement
Auch muss sich ja nicht die ganze Welt am extrem hohen Konsum tierischer Nahrung orientieren, wie er in Deutschland etc. heute vorherrscht, im Gegenteil, er sollte in Deutschland etc. besser gesenkt werden. Ein gut gewürztes Gericht aus regional erzeugten roten Bio-Bohnen, Bio-Trockenreis etc. oder ein Getränk aus regional erzeugtem Bio-Soja schmeckt ebenso gut wie Fleisch oder Milch und kann mit weniger als der Hälfte der Anbaufläche erzeugt werden! Man kann sogar z.B. dem Bio-Soja (z.B. in Deutschland angebaut) noch die Hälfte des Fettes entziehen und als Biodiesel für die Traktoren benutzen. Dann hat man ein fettarmes, proteinreiches Nahrungsmittel und zulgeich Biotreibstoff für die Landwirtschaft.
Dasselbe gilt natürlich im Prinzip weltweit. In vielen küstennahen, aber sehr trockenen Gebieten (Nordostbrasilien, viele Küstenregionen Afrikas u.s.w.) könnte mit Solarenergie Meerwasser aufbereitet werden und damit die Felder bewässert werden - was dann auch bei Bio-Anbau viel höhere Erträge brächte, als heute.
Riesige Mengen Brennholz oder fossile Brennstoffe kann man in Afrika, Asien und Lateinamerika übrigens auf relativ einfache Weise
dadurch einsparen: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Spiegelkocher.JPG&filetimestamp=20080806135603
Das würde zugleich Zeit und Kräfte freisetzen, für Bildung einerseits und den Mehraufwand an Zeit andererseits, der mit Bio-Landwirtschaft verbunden ist (aber dort daher auch mehr Arbeitsplätze sichern könnte).
Übrigens könnte man sich meines Erachtens darauf einigen, dass mineralischer Kunstdünger (nicht Pestizide!), der mithilfe von Solar- oder Wind- oder geothermischer Energie hergestellt ist, mit dem Bio-Siegel vereinbar wäre.