Trittin über längere AKW-Laufzeiten: "Rolle rückwärts"

Neuere Meiler werden noch Jahrzehnte laufen, meint Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin, trotzdem die Bevölkerung dagegen sei. Die Energiepolitik der Union hält er für eine Kampfansage.

Betrachtet die Entscheidung für längere Laufzeiten als Kampfansage: Jürgen Trittin. Bild: dpa

taz: Herr Trittin, wenn die Bundesregierung die Laufzeiten der Atomkraftwerke tatsächlich um durchschnittlich zwölf Jahre verlängern würde, wann ginge dann das letzte Atomkraftwerk in Deutschland vom Netz?

Jürgen Trittin: Wahrscheinlich um die Mitte des Jahrhunderts. Auch unsere Kinder und Enkel hätten dann noch mit dieser gefährlichen Technologie zu tun.

Die Regierung redet nur von 8 Jahren Verlängerung für alte und 14 Jahren für neuere Kraftwerke. Wieso prognostizieren Sie einen längeren Zeitraum?

Jürgen Trittin, 56, ist Fraktionschef der Grünen im Bundestag. Von 1998 bis 2005 war er Bundesumweltminister. Damals handelte er mit den Energiekonzernen den noch geltenden Atomausstieg aus.

Von den alten Atomkraftwerken können die Betreiberfirmen Strommengen auf neuere Anlagen übertragen. Einzelne Meiler dürfen dann noch mehrere Jahrzehnte Strom produzieren. Würde die Bundesregierung allerdings eine solche Entscheidung treffen, so landete diese hundertprozentig vor dem Bundesverfassungsgericht. Selbst Gutachter der Regierung unterstreichen, dass der Bundesrat, in dem Schwarz-Gelb keine Mehrheit hat, beteiligt werden müsste - was die Regierung ablehnt.

Mit einer befristeten Brennelementesteuer und einem Beitrag zum Ausbau der erneuerbaren Energien sollen die Atomkonzerne zwischen 2011 und 2016 rund 15,5 Milliarden Euro an den Staat zahlen. Danach müssen sie weitere 15 Milliarden Euro an einen Ökoenergiefonds überweisen. Ist das ein fairer Ausgleich?

Nein. Die Landesbank Baden-Württemberg hat in einer Studie errechnet, dass die vier Unternehmen Eon, RWE, Vattenfall und EnBW dank der ausgedehnten Laufzeiten zwischen 119 und 233 Milliarden Euro Zusatzgewinne machen werden. Angesichts dessen sind selbst 30 Milliarden Euro ein billiger Ablass. Die Kurssprünge für die Atomkonzerne an der Börse sprechen Bände. Analysten der DZ Bank stellten erleichtert fest, dass die Beiträge der Versorger zur Förderung von erneuerbaren Energien deutlich geringer ausgefallen seien als befürchtet, ja sie seien "weitgehend zu vernachlässigen".

Bei der Verlängerung der Laufzeit der AKWs kann sich die Regierung auf die verbreitete Angst vor dem Klimawandel berufen. Haben sich die Grünen in ihrer strikten Ablehnung längerer Laufzeiten verrannt?

Keineswegs, mehrheitlich ist die Bevölkerung gegen längere Laufzeiten.

Neuen Umfragen zufolge ist die Ablehnung der Atomkraft aber nicht mehr so stark ausgeprägt wie vor 20 Jahren.

Die Ablehnung der Atomkraft in der Bevölkerung wird selbst durch interessengeleitete Umfragen bestätigt. Die Menschen haben verstanden, dass wir die risikoreichen Atomkraftwerke für die Sicherheit unserer Energieversorgung nicht brauchen. Schon heute exportiert Deutschland Strom. Außerdem verringern längere Laufzeiten die Treibhausgase um kein Gramm.

Wenn die Atomkraftwerke länger laufen und die erneuerbaren Energien hinzukommen, kann man die alten Kohlekraftwerke abschalten. Ist das kein Vorteil für das Klima?

RWE, Eon und Co. haben nicht die Absicht, Kohlekraftwerke abzuschalten. Sie wollen ihren Strom aus abgeschriebenen Altanlagen exportieren. Dafür bauen sie weiter auf die atomare Hochrisikotechnologie. Die Katastrophe von Tschernobyl liegt erst 24 Jahre zurück.

Die Grünen haben sich in den vergangenen Jahren mit dem Gedanken angefreundet, nicht nur mit der SPD, sondern auch mit der Union zu regieren. Ist diese Option nun gestorben?

Was wir gerade beim Thema Energiepolitik von der Union geboten kriegen, sind Kampfansagen, keine Koalitionsangebote. Auf Bundesebene ist eine Regierungszusammenarbeit mit dieser Union nicht möglich. Wer mit Grün koalieren will, muss bereit sein, Merkels Rolle rückwärts in der Energiepolitik aufzuhalten und gegebenenfalls rückabzuwickeln.

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