Wuppertal-Institut-Forscher über Finanzkrise: "Stetes Wachstum nicht möglich"

Für die Umwelt bedeutet die Rezession eine Atempause. Wolfgang Sachs vom Wuppertal Institut über Ökoschulden des Finanzkapitalismus, einen deutschen New Green Deal und Wirtschaft ohne Wachstum.

Photovoltaik, Biomasse, Wärmepumpen: Viele ökologische Investitionen in Kommunen sind in den letzten 20 Jahren auf der Strecke geblieben, meint Sachs. Bild: dpa

WOLFGANG SACHS, Jahrgang 1946, ist Projektleiter im Forschungsbereich "Globalisierung und Nachhaltigkeit" am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Der studierte Theologe und Soziologe ist einer der prominentesten Vordenker in der internationalen Öko- und Nachhaltigkeitsszene. Zusammen mit etwa 30 anderen Autoren hat Sachs im Herbst 2008 die umfassende Studie "Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt" veröffentlicht. Diese Untersuchung im Auftrag von BUND, Brot für die Welt und dem Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) analysiert Deutschlands Rolle in der global verflochtenen Wirtschafts-, Energie- und Umweltpolitik. Sie stellt dem Land ein ziemlich schlechtes Zeugnis aus.

taz: Herr Sachs, haben Sie bei den Nachrichten vom Ende der Investmentbanken die Sektkorken knallen lassen?

Wolfgang Sachs: Nein. Gerade wir in Deutschland wissen, dass eine Talfahrt der Wirtschaft unabsehbare soziale und politische Folgen haben kann. Sekt ist also nicht das passende Getränk.

Wenn man Ihr neues Buch, "Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt", richtig versteht, dann ist das Ende des Finanzkapitalismus aber das Beste, was der Umwelt passieren kann.

Das kann man so sagen. Im Allgemeinen tut es der Umwelt gut, wenn die Wirtschaftsleistung zurückgeht. Ob beim Zusammenbruch des Kommunismus, in der Asienkrise oder jetzt: Rezession heißt auch Rückgang im Umweltverbrauch, und rein ökologisch betrachtet ist das keine schlechte Sache. Aber es reicht eben nicht, die Dinge nur ökologisch zu betrachten. Man muss sehen, was das für die Menschen bedeutet, und auch, welche Folgen eine Depression hat für die Chancen, ökologische Politik zu betreiben.

Gibt es nicht doch eine heimliche Freude bei den Ökologen? Bei Ihnen heißt es: Die Deregulierung der Finanzmärkte ist gegen nachhaltiges Wirtschaften gerichtet, mehr Regulierung gibt es erst nach einem Zusammenbruch.

Richtig bleibt, dass der außer Rand und Band geratene Finanzkapitalismus in den letzten 20 Jahren ein wichtiger Motor dafür war, Unternehmen unter Druck zu setzen und sie zur Externalisierung zu zwingen: Ökologische sowie soziale Kosten werden auf die Natur und das Gemeinwesen abgewälzt. Die hohen Renditeerwartungen, der Druck, qualitätslos Wachstum hinzulegen, hat Unternehmen dazu gedrängt, zu Externalisierungsmaschinen zu werden. Deshalb war der deregulierte Finanzmarkt immer schon ein Angriff auf Nachhaltigkeit.

Wenn die Finanzwelt verantwortlich ist für die ökologische Misere: Wie müssten die Leitplanken für eine nachhaltigere Finanzwelt aussehen?

Bei den Hilfen für die Bankenwelt müssten Kriterien von nachhaltiger Risikobewertung und nachhaltigen Geldanlagen eingehalten werden. Zinsgünstige Kredite sollte es vor allem für ethisches Investment, für ökologische und soziale Investitionen geben. Die Berichtspflicht von Unternehmen an der Börse muss über die rein finanzielle Performance hinaus erweitert werden auf soziale und ökologische Risiken ihrer Geschäftspolitik, wie es etwa das Carbon Disclosure Project bereits tut: Da fordern Großinvestoren von den Unternehmen die Offenlegung ihrer Klimabilanzen und ihrer Risiken durch den Klimawandel. Auch die großen Pensionsfonds, die ja wichtige Akteure an den Aktienmärkten sind, sollten andere Kriterien als nur die kurzfristige Rendite berücksichtigen. Man muss sehen, dass soziales und ökologisches Risiko letztlich auch ein finanzielles Risiko für die Investoren darstellt.

Kann ein börsennotiertes Unternehmen gegen den kurzfristigen Erwartungsdruck seiner Aktionäre überhaupt langfristig und nachhaltig wirtschaften?

Ganz klar: Unternehmen, die sich an der Börse Kapital besorgen, haben es da schwerer als etwa Familienunternehmen. In unserem heutigen System ist jedes Unternehmen gefährdet, das nicht auf maximalen, sondern auf befriedigenden Gewinn hinarbeitet. Man kann aber ökologische und soziale Aspekte nur berücksichtigen, wenn man sich mit befriedigendem Gewinn zufriedengibt und nicht auf maximalen Gewinn aus ist. Es ist wohl kein Zufall, dass die ökologischen Vorzeigeunternehmen in Deutschland wie Hipp, Ritter oder Otto Personengesellschaften und keine börsennotierten Unternehmen sind.

Welche Rendite ist denn noch ökologisch vertretbar?

Es gibt keinen quantitativen Indikator dafür. Sicher ist aber: Die zweistelligen Renditen, die in den letzten Jahren üblich geworden sind, sind nur auf Kosten von Umwelt und Sozialem zu erwirtschaften. Erträge von 15, 20 oder gar 25 Prozent kann man nur rausholen, wenn man von der Substanz zehrt und nicht nur vom Ertrag.

Gibt es so etwas wie eine Ökodividende der Krise? Ändert sich das Denken?

Wir erleben in diesen Monaten sozusagen einen Wechsel der Filmspule. Von einem Tag auf den anderen sind die Zeiten des Neoliberalismus vorbei. Heute muss ja jeder vor Scham rot anlaufen, der größere staatsfreie Räume in der Wirtschaft fordert. Diese Art der Globalisierung war ein Irrweg, der uns fünfzehn Jahre gekostet hat. Dieselben Staaten, die sich 1992 zur Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio getroffen hatten, haben drei Jahre später in Marrakesch die Welthandelsorganisation gegründet, um die Welt in eine grenzenlose Handelsarena zu verwandeln.

Aber wir hören momentan eher die alten Argumente: Umweltschutz in der Krise ist einfach zu teuer.

Selbstverständlich bedienen sich die althergebrachten Interessen, die immer schon gegen erneuerbare Energien und einen Umstieg auf eine grüne Ökonomie gekämpft haben, solcher Argumente. Die sind natürlich vorgeschoben: Denn in den Boomjahren des Wachstums war es ja mit dem Umweltschutz auch nicht besser. Auf der anderen Seite ist es aufregend, dass in vielen Ländern wie in den USA Diskussionen beginnen über einen "Green New Deal", über den Anspruch: Wenn wir schon öffentliches Geld in die Hand nehmen, um die Wirtschaft zu retten, dann doch bitte schön so, dass auch Klima und Umwelt mitgerettet werden.

Nutzt die Bundesregierung die Krise als Chance für mehr Nachhaltigkeit?

Das erste Konjunkturprogramm hat ein Doppelgesicht: Zum einen findet man Spuren eines grünen Antirezessionsprogramms, etwa bei der Gebäudesanierung oder den Initiativen für bessere Effizienzstandards. Andererseits stehen da aber auch ökologisch hanebüchene Dinge, wie bedingungslos den Absatz von Autos zu fördern, sodass sie auch für den Kauf von Geländewagen Steuerfreiheit im ersten Jahr bekommen. Diese Auseinandersetzung wird uns bei den nächsten Konjunkturprogrammen begleiten: Wird Wachstum in den alten Strukturen auf Biegen und Brechen vorangetrieben, oder gelingt es, diesem Wachstum einen ökologischen, klimafreundlichen Stempel aufzuprägen?

Was müsste die Bundesregierung für einen solchen New Green Deal tun?

Sie müsste da weitermachen, wo sie bereits begonnen hat: mit einem umfassenden Sanierungsprogramm für Gebäude. Die gesamten Liegenschaften des Bundes, der Länder und Kommunen könnten über einen Energiesparfonds bewirtschaftet werden, der Gelder sammelt und in kleine Vorhaben für Sparen und Innovationen steckt. In der Energieversorgung müssten wir endlich dezentrale und lokale Energiesysteme wie die Kraft-Wärme-Kopplung voranbringen. Das geht eng zusammen mit der Renovierung der lokalen Infrastruktur, denn die Kommunen sind in den letzten 20 Jahren ja so ausgehungert worden, dass viele ökologische Investitionen auf der Strecke geblieben sind. Das heißt konkret: Jedes größere Gebäude wird in Zukunft Energie produzieren. Dafür braucht es natürlich Interventionen der Politik für Photovoltaik, Biomasse, Wärmepumpen, Nahwärmenetze, damit man von kleineren Kraftwerken Strom und Wärme nutzen kann. Ähnliches könnte man ausführen für die Bereiche Mobilität und Landwirtschaft.

Ihre Vorschläge klingen so, als solle Wirtschaftswachstum aus der Krise helfen. In "Zukunftsfähiges Deutschland" fordern Sie und Ihre Kollegen aber eine Wirtschaft ohne Wachstum. Wie soll das gehen?

Das ist die Jahrhundertfrage. Die Antwort kennen wir nicht. Es gibt Elemente dieser Antwort, aber kein festes Konzept. Es ist eine Frage, von der ich erwarte, dass sich darüber endlich mal die zuständige Wirtschaftswissenschaft den Kopf zerbricht. Wie kann eigentlich eine gedeihlich funktionierende Wirtschaft aussehen, die nicht wachsen muss?

Warum soll die Wirtschaft nicht wachsen?

Weil es schwer vorstellbar ist, dass die europäischen Reduktionsziele für Treibhausgase, gut 80 Prozent weniger bis 2050, auf einem Pfad jahrzehntelangem stetigen Wachstums erreicht werden können Zwar könnte es sein, dass kurzfristig beim Umstieg auf ressourcenleichte Wirtschaft sogar Wachstum möglich ist, denn es müssen ja Bereiche wachsen wie neue Technologien, erneuerbare Energien, neue Werkstoffe, neue Transportsysteme, Bioläden und Fairtrade, aber längerfristig heißt Nachhaltigkeit, dass das Wirtschaftssystem nicht mehr auf aggregiertes Wachstum hin programmiert werden kann.

Die EU und auch die Bundesregierung sehen das als den Königsweg: mit dem "grünen Wachstum" zugleich aus der Wirtschafts- und der Ökokrise. Kann das funktionieren?

Der ökologische Umstieg braucht einerseits Wachstum, andererseits auch Schrumpfung. Davon spricht allerdings die Politik nicht so gern. Ökologische Wirtschaft heißt aber auch, dass das Schlechte schrumpft und nicht nur das Gute wächst. Schrumpfen müssen also die fossile Energieindustrie, die Autoindustrie und die chemische Industrie, wie wir sie heute kennen, ebenso das Agrobusiness. Es ist eher unwahrscheinlich, dass es in der Summe von Wachsen und Schrumpfen zu anhaltendem aggregiertem Wachstum kommt.

Aber diese Schrumpfung muss international organisiert werden. Sonst wird der Stahl eben in China produziert.

Das ist das Argument der Chemie- und Stahlindustrie beim Streit über den Emissionshandel, und die Kanzlerin ist vor dieser uralten Drohgeste eingeknickt, statt den Ausweg zu wählen, den Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy vorgeschlagen hatte: nämlich an der EU-Grenze einen Energieausgleich einzuführen. Wer Produkte importiert, bei denen die darin enthaltenen Treibhausgase nicht adäquat bezahlt sind, muss an der Grenze einen Aufschlag dafür bezahlen. Dann lohnt es sich, nicht abzuwandern.

Sie sind enttäuscht von der Europäischen Union. Dabei haben Sie selbst 2005 in Ihrem Buch "Fair Future" Europa als den globalen Akteur bezeichnet, der auch ohne die USA in Fragen von Umwelt und Gerechtigkeit vorangehen kann.

Deswegen ist ja das Theater um den Emissionshandel so destruktiv. Dieses Stück symbolisches Kapital, das Europa sich da zu Hause und international aufgebaut hatte, als die USA ausfielen, haben Merkel und die anderen Staatschefs leichtfertig aufs Spiel gesetzt, nur um der eigenen Energie-, Zement- und Stahlindustrie ein paar Geschenke zu machen. Das eigentlich Destruktive sind gar nicht die einzelnen Maßnahmen, sondern ist diese Wackelpolitik, die verhindert, was psychologisch notwendig ist: einen kollektiven Ruck und eine Wende, an der sich viele Leute beteiligen, weil sie sagen, mein kleiner Beitrag hat Aussicht auf Erfolg.

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