Atomkraft spaltet Gesellschaft: Warmlaufen in Berlin

Falls nach der Bundestagswahl die Laufzeiten verlängert werden, würde das die alten Konflikte wiederbeleben. Die Großdemo am Samstag in Berlin soll einen Vorgeschmack bieten.

Aus über 100 Städten werden Busse, Kurswagen und Sonderzüge in die Hauptstadt rollen. Bild: reuters

MÜNSTER taz | Innen spalten sie Atome, außen spalten sie die Gesellschaft: die deutschen Atomkraftwerke. Mit dem Atomkompromiss schien der Konflikt entschärft, doch bei einer Laufzeitverlängerung für die ältesten Reaktoren könnten die alten Fronten wieder aufreißen.

Die Anti-Atom-Bewegung läuft sich zumindest schon mal warm: Mit einer Großdemonstration in Berlin möchte sie an diesem Samstag ihre Schlagkraft unter Beweis stellen. Die Vorzeichen sind gut: Aus über 100 Städten werden Busse, Kurswagen und Sonderzüge in die Hauptstadt rollen, die Veranstalter erwarten Teilnehmerzahlen im fünfstelligen Bereich und mehrere hundert Traktoren, die aus dem Wendland anrollen.

Besetzte Bauplätze, Schienenblockaden, Massendemonstrationen und bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen zwischen Atomkraftgegnern und Polizei: All das sollte der Vergangenheit angehören, als sich die rot-grüne Bundesregierung und die Atomwirtschaft im Jahr 2000 auf einen Ausstiegsplan einigten. Heute setzen die Energieversorger alles daran, diesen Beschluss zu kippen. Und eine Union-geführte Regierung nach der Wahl könnte den Wunsch der Konzerne Wirklichkeit werden lassen.

Einfach würde das jedoch nicht. Denn die Anti-Atom-Bewegung könnte eine Renaissance erleben. Bewegungsforscher Dieter Rucht glaubt, dass "massive Auseinandersetzungen" drohen, sollten die Atomkraftlaufzeiten deutlich verlängert werden. Frühere Aktivisten würden sich wieder engagieren - "aus dem Gefühl heraus: Sonst wäre das alles umsonst gewesen". Können überhaupt Atomkraftwerke betrieben werden, ohne dass es zu tiefen Konflikten in der Gesellschaft kommt? "Nein, das ist nicht vorstellbar", sagt der Soziologieprofessor. In anderen Ländern wie Frankreich habe sich die Bevölkerung zwar größtenteils mit der Risikotechnologie abgefunden, so Rucht, "aber das gilt keinesfalls für die Bundesrepublik."

Interaktive Karte zur Anti-Atom-Bewegung Bild: taz

Jürgen Schall ist einer der unverbesserlichen Atomkraftgegner. Der Familienvater und Förderschullehrer wohnt in Römerberg, aus seinem Arbeitszimmer blickt er direkt auf die Kühltürme des fünf Kilometer entfernten AKW Philippsburg. Drei Jahre lang hat er mit seiner Bürgerinitiative versucht, das Zwischenlager am AKW zu verhindern - erfolglos. Nach der Eröffnung im Jahr 2006 habe es "eine Phase gewisser Resignation" gegeben, erzählt er. Doch jetzt komme wieder Schwung in die Aktivitäten: "Wir müssen am Ball bleiben, weil am Atomausstieg noch mal rumgedreht wird."

Protestmärsche könne er sich vorstellen und Blockaden des Eingangstors zum Kraftwerk. Und er möchte seine Mitbürger zum Umstieg auf Ökostrom bewegen. Als die Bürgerinitiative vor vier Jahren eine Stromwechselkampagne gestartet hat, hätten sich viele Menschen nicht getraut. Doch das habe sich nun geändert: "Ich glaube, dass jetzt die Zeit reif ist."

Zuletzt stand aber auch für Schall die Großdemonstration im 500 Kilometer entfernten Berlin im Mittelpunkt, für die in ganz Deutschland mobilisiert wird. Über 200 Organisationen unterstützen den Aufruf. Die Veranstalter planen zum Teil jedoch schon weiter. "Wir sehen die Demo nur als Auftakt für Aktionen nach der Wahl", sagt etwa Jochen Stay von der Initiative Ausgestrahlt. Eine Woche nach der Bundestagswahl soll in Göttingen eine Strategiekonferenz der Anti-AKW-Bewegung stattfinden. Für die Zeit der Koalitionsverhandlungen kündigt Stay bereits weitere Aktionen in Berlin an - "unabhängig davon, wer da verhandelt".

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