Bilanz 10 Jahre Mehdorn: Der Mann fürs Böse

Hartmut Mehdorn war nie ein Bahner und wurde doch zum besten Bahnmanager aller Zeiten. Aber auch zu einem der meistgehassten Männer in Deutschland. Wie kam es dazu?

Weit weg vom Kunden: Auf anderer Leute Befindlichkeiten reagierte Mehdorn schon immer schnell genervt. Bild: reuters

Hartmut Mehdorn, der ehemalige Vorstandschef der Deutschen Bahn AG, wurde vom Verein Deutsche Sprache zum "Sprachpanscher des Jahres 2007" gewählt - als zweiter Bahnchef nach Johannes Ludewig. Die besten Zitate von Hartmut Mehdorn:

"Die Pro-Mecker-Leute."

(Über den Fahrgastverband Pro Bahn)

"Wir sind ein Leuchtturm im Fenster der Deutschen in Richtung Europa."

(Über die Deutsche Bahn)

"Sie können ein Unternehmen nicht mit Wattebäuschchen an den Händen sanieren."

(Über die Deutsche Bahn)

"Der Bund ist - ich will es mal lieb ausdrücken - in Geldnot. Deshalb sagen wir: Hey, Bund, verkauf einen Teil deines Vermögens, damit wir uns frisches Kapital aus dem Markt holen können - zum Wohle von Kunden und Steuerzahlern."

(Über seinen Arbeitgeber)

"Wir sagen: Lieber Aktionär, wenn du uns kaufst, garantieren wir dir, dass du die marktüblichen Zinsen bekommst plus einen Schnaps drauf."

(Über den Börsengang)

"Es gibt immer sieben Wege zum Ziel. Aber der Börsengang ist der beste."

(Über Hartmut Mehdorn)

"Ich bin kein Industrieschauspieler."

(Über Hartmut Mehdorn)

"Ich glaube, kaum ein anderer Manager in Deutschland redet so viel mit seinen Kunden."

(Über Hartmut Mehdorn)

"Hierfür stehe ich nicht zur Verfügung."

(Über Rücktrittsforderungen am 27. März 2009)

Man konnte darauf wetten. Denn immer wenn Hartmut Mehdorn auf den jährlichen Pressekonferenzen die Bilanzen der Deutschen Bahn vorgelesen hatte und die Fragerunde lief, wollte irgendjemand wissen: Macht Ihnen der Job noch Spaß? Und jedes Mal versicherte der Bahnchef, dass dies so sei. Er verwies auf laufende und sogar verlängerte Verträge, die er zu erfüllen gedenke. Bedeutet anders formuliert: Wer mich loswerden will, muss noch warten.

Dass Mehdorn nun gestern die Frage nach seinem Rücktritt erst zulassen wollte, nachdem er 17 Seiten vorgelesen und sich über die aktuelle Bahnbilanz ausgelassen hatte, zeigt, wie sehr ihm sein Rücktrittsangebot widerstrebte. Denn auch diesmal lautete seine Botschaft: Seht auf diese Zahlen, ich mache einen prima Job. "Die beste Bahn" wollte er aus der Bundesbahn machen. Dass er dabei Erfolge erzielt hat, kann niemand bestreiten, der noch vor gar nicht allzu langer Zeit in alten Silberlingen auf roten Kunstledersitzen durch die deutsche Landschaft rumpelte. Wer sein Auto stehen lässt und auch den Billigflieger verschmäht, weil es sich in einem hervorragenden System von komfortablen ICEs und Regionalzügen viel besser durch Deutschland reisen lässt, muss einräumen: Mehdorn hat dem Unternehmen so schlecht nicht getan. Und dennoch wurde der Vorstandsvorsitzende der DB AG zu einem der meistgehassten Männer in Deutschland. Denn Mehdorn war womöglich der beste Bahnchef, aber er war nie wirklich ein Bahner.

Einen Traditionalisten, der auch in seiner Freizeit mit der Modelleisenbahn spielt, hatte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder auch nicht gesucht. Schließlich galt es, den aus dem Verwaltungsapparat der Bundesregierung stammenden Johannes Ludewig abzulösen, der die Züge zwar pünktlicher machen wollte, dessen wirtschaftliche Bilanz aber zu mager war. Man lebte schließlich im Jahr 1999, die New Economy war der Hit, die Bundesbürger glaubten noch an Telekom-Aktien - und eine Börsenbahn hatte viel mehr Appeal als eine Bundesbahn. Mehdorn, der kurz zuvor den Druckmaschinenhersteller Heideldruck erfolgreich an die Börse gebracht hatte und zuvor lange Zeit Manager in der Luft- und Raumfahrtindustrie war, sollte der Bahn Flügel verleihen. Eine seiner ersten Amtshandlungen war es, der Deutschen Bahn einen IATA-Code zu verpassen, wie ihn die Fluggesellschaften haben. Das sollte die Kombination von Flug- und Bahnreisen erleichtern. Und auch das Ticketsystem wollte Mehdorn gleich anpassen. Statt Guten-Abend-Ticket und Sonderpreisaktionen sollte eine Kombination aus Frühbucher-, Gruppen- und BahnCard-Rabatt für eine bessere Auslastung der Züge sorgen, die Kosten senken und die Einnahmen steigern.

Doch spätestens als die Bahn das Preissystem nach Protesten der Kunden wieder zurücknehmen musste, war klar, dass Tunnelblick auf Effizienz und Börsenreife für einen Bahnmanager nicht ausreicht. Es ist ökonomisch richtig, eine Bahnstrecke auf dem Land einzustellen, wenn die wenigen Passagiere billiger und ohne großen Zeitverlust mit dem Bus transportiert werden können. Dass mit jedem Kilometer Strecke aber auch ein Stück Identität von Bahnern und Bahnfans verloren geht und ein Bahnhof eben mehr ist als eine Haltestelle, brandmarkte Mehdorn als Kleingeisterei. Was sind schon ein paar Gleise weniger in Mecklenburg-Vorpommern, wenn die Bahn doch auf den Weltmarkt sollte?

Für den profitorientierten Manager war es wichtiger, für 2,5 Milliarden Euro die hochprofitable Stinnes-Gruppe zurückzukaufen, als die Interregios zu behalten. Mit dem Sanierungskonzept MORA C wurde der Güterverkehr zusammengestrichen, gleichzeitig fuhren Lastwagen mit Bahn-Logo durch die Gegend. Und wieder machte Mehdorn doch nur seinen Job und hatte wenig Verständnis für die, die auf einen Speisewagen nicht verzichten wollen, auf hochglänzende Imagebroschüren aber schon. Wie weit weg er von den Kunden war, zeigte sein Umgang mit Pro Bahn, immerhin der Verband, der die Fahrgäste vertritt. Die Pro-Bahn-Vertreter nannte er "Pro-Mecker-Leute". Und als der Abbau von Arbeitsplätzen für lange Schlangen in Reisezentren und Ärger bei Kunden sorgte, war seine Antwort die Einführung einer Servicegebühr für diejenigen, die nicht nur mit Maschinen kommunizieren wollten. Das alles sorgte dafür, das Mehdorn zur Projektionsfläche für den gebündelten Ärger von allem wurde, was mit der Bahn zu tun hatte. Und so waren sich sogar die Lokführer während ihrer Streiks 2007 einer gewissen Solidarität sicher, auch wenn mancher die Lohnforderung von 31 Prozent für zu hoch hielt. Aber schließlich ging es auch gegen Mehdorn.

All das bereitete den Boden für den Schwenk in der Politik. Lange vor dem Crash an den Finanzmärkten gewannen die Kritiker des Börsengangs an Zulauf. So mancher Verkehrspolitiker, der zu oft von Mehdorn nach Gutsherrenart behandelt wurde, sah die Chance, den Bahnchef in seine Grenzen zu weisen. Und als im Zuge der Telekom-Affäre auch die Spitzeleien bei der Deutschen Bahn offenbar wurden, startete der Countdown zur Ablösung des Bahnchefs. Hätte die Bundesregierung nicht gerade mit der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit zu kämpfen, hätte Mehdorn gewiss schon eher gehen müssen. Denn der Umgang mit den immer neuen Enthüllungen zeigte, wie weit sich Mehdorn mittlerweile von seinen Auftraggebern des Bundes und seinen Mitarbeitern entfernt hatte. Aus dem Sanierer und Modernisierer ist ein misstrauischer, 66 Jahre alter Patriarch geworden, der die neuen Realitäten außerhalb des Berliner Bahn-Towers bis zuletzt ignorierte und sich als Opfer von politischen Ränkespielen sah.

Mehdorn verabschiedete sich von seinen Mitarbeitern mit den Worten: "Einmal Eisenbahner, immer Eisenbahner." Eine solch verspätete Solidaritätsbekundung mit der Gruppe, deren Selbstverständnis er zehn Jahre lang im Namen des Börsengangs bekämpfte und die unter den Spitzeleien zu leiden hatte, zeigt, wie weit sich Mehdorn von seinem Konzern entfernt hatte. Er ist auch deshalb als Manager gescheitert.

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