Erfolg oder Scheitern?: Die Krise bleibt dem Osten fern

Der Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit stimmt den Ost-Minister Wolfgang Tiefensee optimistisch. Die Opposition liest ihn als Dokument des Scheiterns.

Feld in Brandenburg: "Wo nichts ist, kann nichts wegbrechen", so DIW-Mann Brenke. Bild: dpa

Pünktlich zum Auslaufen des Solidarpaktes 2019 wird Ostdeutschland zur wirtschaftlichen Entwicklung der armen westdeutschen Länder aufschließen. So optimistisch zeigte sich Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) am Mittwoch in Berlin, als er den jährlichen Bericht zum Stand der deutschen Einheit vorstellte. "Der Osten hat sich hervorragend entwickelt", resümierte der Ostbeauftragte der Bundesregierung.

Grund für seine Zuversicht sind Zahlen: In den vergangenen drei Jahren sei die Industrie in den neuen Ländern um 7,5 Prozent gewachsen, im Westen nur um 4,3 Prozent. Das ostdeutsche Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liege jetzt bei 71 Prozent des Westens gegenüber 67 Prozent im Jahr 2000. Auch die Exportquote der Industrie steige. Ab 2020 könnten die neuen Länder demnach mit den Mitteln des "normalen Länderfinanzausgleichs" auskommen, schätzt Tiefensee.

Unter der Wirtschaftskrise leidet der Osten laut dem Bericht weniger als der Westen. Während etwa die Arbeitslosenquote im Westen im Mai 2009 um 0,5 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr gestiegen sei, sei sie im Osten mit 13,3 Prozent fast gleich geblieben. "Das ist kein Grund zum Jubeln", kommentiert Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Dass die Krise den Osten bislang nicht treffe, spreche für die schlechte Lage dort. "Wo nichts ist, kann nichts wegbrechen", sagt Brenke. Es habe sich eine Transfergesellschaft etabliert, die ohne die Zahlungen aus dem Westen auch auf lange Sicht nicht lebensfähig sei. "Das ideologische Gerede von der Aufholjagd zum Westen sollte man mal einstellen", meint Brenke.

Bereits überholt haben die neuen Länder den Westen laut Tiefensee in zukunftsträchtigen Branchen wie Biotechnologie, Nanotechnik und Erneuerbare Energien. "Ist der Kuchen noch nicht verteilt, bekommt der Osten davon ein besonders großes Stück", sagte der Minister. Philipp Vohrer von der Agentur für Erneuerbare Energien in Berlin erklärt die verstärkte Ansiedlung der Wind- und Solarindustrie mit der Förderpolitik der Ostländer, daneben finde "dort aber auch ein politisch gewollter Ausbau der erneuerbaren Energien statt". Allerdings setze man auch weiterhin auf Dinosaurier-Technologien wie die Braunkohle, kritisiert der Ostexperte der Grünen, Peter Hettlich. Eine stringente Förderung von Zukunftsindustrien erkenne er nicht.

Auch Roland Claus von der Linkspartei liest den Einheitsbericht als "Dokument des Scheiterns". Gerade in Zeiten der Krise versäume es die große Koalition, die Transformationserfahrungen der Ostdeutschen zu nutzen. "Da liegt ein riesiges Potenzial zur Krisenbewältigung brach", findet Claus.

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