DIW-Studie über Arm-Reich-Kluft: Reiche immer reicher, Arme ärmer

Die Unterschiede bei den Einkommen wachsen in Deutschland deutlich. Viele Menschen aus der Mittelschicht steigen zu den Niedriglöhnern ab.

Schwere Zeiten. Bild: madochab / photocase

BERLIN taz | Die Kluft zwischen Arm und Reich wird in Deutschland immer größer. Die Zahl der armen Haushalte nimmt nicht nur zu - sie werden im Durchschnitt auch immer ärmer. Bei den Spitzenverdienern ist die gegenteilige Entwicklung festzustellen. Es gibt immer mehr Reiche, die zudem stets reicher werden. Die Mittelschicht hingegen schrumpft. Manchen Angehörigen der Mittelschicht gelingt es zwar, zu den Topverdienern aufzuschließen - doch deutlich mehr steigen zu den Niedriglöhnern ab. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

Dieser Trend ist seit dem Jahr 2000 zu beobachten, und selbst die Finanzkrise bedeutete keine Zäsur. Zwar nahm die Zahl der Reichen ein wenig ab. Doch die verbliebenen Reichen wurden trotz der Krise noch reicher.

Zur Mittelschicht zählt das DIW alle Haushalte, die über 70 bis 150 Prozent des Medianeinkommens verfügen. Die neuen vollständigen Zahlen gibt es für 2008. Danach gehört zur Mittelschicht, wer als Single zwischen 1.100 und 2.300 Euro netto im Monat verdient. Bei einer Familie mit zwei kleinen Kindern sind es zwischen 2.250 und 4.850 Euro netto. Darüber beginnt die Oberschicht, darunter die Unterschicht.

Die Mittelschicht ist seit dem Jahr 2000 fast konstant geschrumpft. Gehörten ihr damals noch rund 65 Prozent an, waren es im Jahr 2008 nur noch 60,9 Prozent. Dafür ist die Unterschicht größer geworden: 2004 machten die ärmeren Haushalte 19 Prozent aus - 2009 waren es schon fast 22 Prozent.

Die Finanzkrise führte dann zu Sondereffekten: Einige der Reichen stiegen wieder in die Mittelschicht ab, so dass diese 2009 plötzlich um 0,6 Prozentpunkte wuchs und nun auf einen Anteil von 61,5 Prozent kommt. Gleichzeitig nahm die Zahl der ärmeren Haushalte kaum zu, weil die Konjunkturpakete und das Kurzarbeitergeld verhindert haben, dass die Zahl der Arbeitslosen nach oben schnellte.

Es könnte also so aussehen, als hätte ausgerechnet die Finanzkrise den Trend gestoppt, dass die deutsche Gesellschaft auseinanderdriftet. Doch für derartigen Optimismus sieht das DIW keinen Anlass. Denn eine andere Entwicklung wurde auch durch die Krise nicht unterbrochen: Die absoluten Einkommen spreizen sich weiter. Die Armen werden ärmer, die Reichen reicher.

Wer zu den Spitzenverdienern gehört, hat inzwischen im Durchschnitt 1.360 Euro netto mehr im Monat als ein Angehöriger der Mittelschicht. Im Jahr 1999 waren es nur 1.165 Euro. Diese Zahlen sind inflationsbereinigt, lassen sich also miteinander vergleichen. Umgekehrt ist auch der Abstand der Armen zur Mittelschicht gewachsen. 1999 lagen sie mit 590 Euro netto im Monat zurück, 2009 waren es 630 Euro.

Diese Spreizung der Einkommen verlief nicht gleichmäßig, sondern es lässt sich ein klares Muster erkennen: Nach jeder Wirtschaftsflaute drifteten die Einkommen besonders stark auseinander, weil viele Menschen arbeitslos wurden und auch die Beschäftigten oft Einbußen bei ihren Reallöhnen hatten. Sobald die Konjunktur wieder anzog, wurde der Trend zwar gestoppt - aber nicht umgedreht. Auch im Aufschwung holten Mittelschicht und Unterschicht die Einkommenseinbußen nicht mehr auf, die sie in Krisenzeiten erlitten hatten.

Die neue DIW-Studie bestätigt einen Trend, der sich schon in früheren Erhebungen gezeigt hatte. Allerdings weichen die Zahlen in den verschiedenen Studien voneinander ab. So hatte das DIW im Jahr 2008 mit der Feststellung für Furore gesorgt, dass die Mittelschicht von 62 auf 54 Prozent geschrumpft sei. Und jetzt sollen es plötzlich doch 60,9 Prozent sein?

Dahinter steckt ein Methodenproblem: Die neue Studie hat Monatseinkommen berücksichtigt, die sich schneller auswerten lassen und bereits Rückschlüsse auf das Krisenjahr 2009 zulassen. Die ältere Studie von 2008 hingegen hatte das Jahreseinkommen herangezogen, das auch einmalige Kapitalerträge berücksichtigt. "Man muss sich an den konkreten Zahlen nicht festbeißen", sagt DIW-Forscher Markus Grabka. "Wichtig ist die eindeutige Tendenz, dass sich die Einkommen polarisieren."

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