Gewerkschaften und die Finanzkrise: Eine Frage von Macht und Gegenwehr

Die Gewerkschaftschefs versuchen, die globale Krise für sich zu nutzen. Von der Basis hagelt es aber Kritik - weil ihr die Reaktionen zu zaghaft sind.

Der Basis zu leise: Gewerkschaftschefs Huber und Sommer. Bild: ap

BERLIN taz Hört man die Gewerkschaftsoberen reden, klingt es ganz gut: Die globale Krise ist eine Chance für die Gewerkschaften. "Wir müssen sie nutzen, um zu zeigen: Marktwirtschaft ist ein sinnvolles System, aber man muss sie mit sozialen Werten und staatlicher Regulierung versehen", sagt der DGB-Vorsitzende Michael Sommer. Frank Bsirske, der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, redet von einer "Bankrotterklärung des herrschenden wirtschaftspolitischen Leitbilds" und will eine "andere Verteilungspolitik". Und sein Kollege Berthold Huber von der IG Metall verspricht: "Wir werden künftig in den Aufsichtsräten anders auftreten und öfter Nein sagen müssen."

An der Basis ist man mit diesen Beteuerungen allerdings nicht zufrieden. Dort rumort es schon länger. Bei Ver.di Baden-Württemberg hat sich ein Arbeitskreis Weltwirtschaftskrise gebildet. Bei Ver.di, aber auch in der IG Metall kursieren Diskussionspapiere und offene Briefe an Huber, Bsirske und Sommer. Der zentrale Vorwurf lautet: Die Führungs- und Leitungsgremien seien untätig und zögerlich. Die Gewerkschaftsbewegung werde zu wenig auf den Kampf eingestimmt. Deshalb drohten Tarifpolitik und die Gewerkschaften selbst in die Defensive zu geraten. Immerhin hat sich am Freitag der DGB zu Wort gemeldet und 60 Milliarden Euro für ein Konjunkturprogramm gefordert, nachdem kurz zuvor die IG Metall Hilfen für die deutsche Autoindustrie verlangt hatte.

Doch das Misstrauen ist da: Bereits in den Jahren 2004 und 2006 habe die Gewerkschaftsführung die Stimmung an der Basis nach den Großdemonstrationen gegen die Hartz-IV-Gesetze und den Sozialabbau "im Keim erstickt", heißt es etwa in einer Resolution des Gesamtpersonalrates und des Ver.di-Vertrauensleutekörpers der Stadt Lehrte. "Wir nehmen wahr, dass die Kolleginnen und Kollegen von der Gewerkschaftsführung nicht nur mehr Initiative und öffentliche Einmischung, sondern auch nachhaltige Aktionen erwarten." Und in den Räumen des DGB-Bundesvorstands ist immer öfter die Frage zu hören, warum man sich ausgerechnet jetzt mit der Umstrukturierung des Dachverbands beschäftigt, die die für die Krisenbewältigung dringend benötigten Ressourcen binde.

"Die Krise ist eine Schicksalsfrage für die Entwicklung der Gewerkschaften", sagt Bernd Riexinger, Geschäftsführer des Ver.di-Bezirks Stuttgart und Gewerkschaftslinker. Die Arbeitnehmer haben in der Krise die größten Risiken zu vergegenwärtigen: Rationalisierungen, Kurzarbeit und Stellenabbau haben in einigen Bereichen der privaten Wirtschaft schon begonnen. Im öffentlichen Dienst werden sie folgen, weil die staatlichen Haushalte in finanzielle Schwierigkeiten kommen werden - nicht nur wegen der so genannten Krisenstabilisierungskosten, also den diversen Notfallplänen etwa für die Landesbanken, den Rettungsschirmen und Konjunkturmaßnahmen. Ab dem kommenden Jahr müssen sie auch mit rezessionsbedingten Steuerausfällen rechnen. "Wie stark die Krise die Lohnabhängigen und die Gewerkschaften selbst treffen wird, ist eine Frage von Macht und Gegenwehr", meint Riexinger. Und da Rentner, Erwerbslose, Kranke und Arme genauso getroffen wären, seien Bündnisse sinnvoll.

Der Ver.di-Arbeitskreis Wirtschaftskrise fordert deshalb ein Sofortprogramm der Gewerkschaften als Alternative zu den Positionen der Kapitalverbände. Die Eckpunkte: mehr öffentliche Kontrolle des Finanzsystems und der Banken bis hin zum Austrocknen von Steueroasen, die Rücknahme wesentlicher Teile der Agenda 2010 wie der Teilprivatisierung der Renten, eine Stärkung des öffentlichen Sektors und nicht zuletzt eine öffentliche Kontrolle über die Konditionen bei der Vergabe öffentlicher Mittel. Dazu gehöre "auch das Mittel des politischen Streiks", heißt es in einem Diskussionspapier.

Da zumindest die letzte Forderung nicht in allen Gewerkschaften konsensfähig sein dürfte, hoffen die Kritiker auf die sozialen Bewegungen. Auf einem gemeinsamen Kongress will man über Forderungen und deren Realisierung diskutieren. "Dort muss es unter anderem darum gehen, neue Aktionsformen zu entwickeln, wenn ein Streik nichts mehr nützt, weil die Unternehmen die Bänder ohnehin schon stillgelegt haben", sagt Riexinger. Entscheidend sei es, "die Auseinandersetzung zu politisieren und in die Bevölkerung zu tragen". Darum ist eine Großdemonstration vor dem nächsten Weltfinanzgipfel der G-20-Staaten im April geplant. Im Herbst sollen betriebliche Aktionen stattfinden, um zu zeigen, dass die Beschäftigten sich nicht so einfach die Kosten der Krise überhelfen lassen. Auf den Einwand, dieser Termin könnte zu spät kommen, antwortet Riexinger: "Möglicherweise muss man den Prozess angesichts der Konjunkturdaten beschleunigen."

Dass aus den Protesten nichts wird, weil die Gewerkschaftsführung nicht mitmacht, glaubt er nicht. "Ich bin überzeugt davon, dass es an der Basis genug Leute gibt, die bereit sind, die Organisation in die Hand zu nehmen." Ein erstes Treffen mit potenziellen Bündnispartnern ist für Januar geplant.

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