Niedriglohn breitet sich aus: Immer mehr arbeiten für weniger

Der Niedriglohnsektor expandiert, und die Zahl jener, die für weniger als 4 Euro arbeiten, wächst. Damit fällt Deutschland aus dem EU-Rahmen. Woanders gibt's Mindestlöhne.

Frauen sind überproportional von Niedriglöhnen betroffen. Bild: dpa

In Deutschland haben im Jahr 2008 6,55 Millionen abhängig Beschäftigte für einen Niedriglohn gearbeitet. Das geht aus einer neuen Studie des Instituts für Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg Essen (IAQ) hervor. Im Vergleich zum Jahr 2006 ist damit die Zahl der Personen, die im Westen weniger als 9,50 Euro und im Osten weniger als 6,87 Euro Stundenlohn brutto erhielten, noch einmal um 220.000 Personen gestiegen. Da sich im gleichen Zeitraum die Anzahl der Erwerbstätigen insgesamt erhöhte, blieb die Niedriglohnquote fast unverändert bei 20,7 Prozent.

Für die IAQ-Forscher Thorsten Kalina und Claudia Weinkopf zeigen die neuen Zahlen, "wie sehr sich Deutschland von den in anderen (EU-)Ländern geltenden Lohnstandards abgekoppelt hat".

Zwei Trends stechen dabei heraus: Während Deutschland und Großbritannien einen ähnlich hohen Niedriglohnanteil aufweisen, existiert hierzulande innerhalb des Niedriglohnsektors eine erhebliche Lohnspreizung, die in den letzten Jahren zugenommen hat. 2008 erhielt demnach fast jeder Dritte Niedriglohnbezieher im Westen weniger als 4,75 Euro Stundenlohn, im Osten sogar nur 3,42 Euro. In den meisten anderen EU-Ländern werden solche Minilöhne durch gesetzlich verbindliche Lohnuntergrenzen verhindert.

Auffällig ist zudem, dass zwar nach wie vor Beschäftigte in Minijobs, unter 25-Jährige, gering Qualifizierte, MigrantInnen oder Frauen überproportional von Niedriglöhnen betroffen sind, sich aber gleichzeitig der Anteil der Niedriglohnbeschäftigten, die eine formale Qualifizierung vorweisen können, "deutlich erhöht" hat, wie die Forscher schreiben. Vier von fünf Niedriglohnbezieher haben eine abgeschlossene Berufsausbildung beziehungsweise einen akademischen Abschluss vorzuweisen. Das sei ein "im internationalen Vergleich extrem hoher Wert", stellt die Studie fest und fasst abschließend zusammen: "Niedriglöhne betreffen zunehmend auch die Kerngruppen des Arbeitsmarktes."

Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen, Brigitte Pothmer, nannte die deutsche Niedriglohnbilanz "beschämend". Sie forderte erneut einen gesetzlichen Mindestlohn, von dem auch der Staat profitieren würde. "Zurzeit subventioniert er mit mindestens 1,5 Milliarden Euro jährlich Niedrigstlöhne und Unternehmensgewinne durch ergänzendes Arbeitslosengeld II", sagte Pothmer.

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