Interview Staatssekretär Michael Müller: "Krisenmanagement reicht nicht"

Die aktuelle Krise zeigt, dass die Phase des Finanzkapitalismus am Ende ist, sagt Michael Müller, Parlamentarischer Staatssekretär im Umweltministerium und langjähriger Sprecher der SPD-Linken.

Die Börse in New York: Hier werden die Scheinwelten geschaffen. Bild: ap

taz: Herr Müller, als Staatssekretär verdienen Sie mit der Allgemeinheit verglichen überdurchschnittlich viel Geld. Besitzen Sie eigentlich Aktien?

Michael Müller: Nein. Nie besessen.

Schade. Dann können wir Sie auch nicht um Rat fragen, was Anleger jetzt tun sollten.

Doch! Das können Sie. Mein Rat: Jetzt aussteigen und in regenerative Energieerzeugung direkt investieren.

Typischer Rat von einem, der keine Fonds oder Aktien besitzt. Die Börsen sind radikal eingebrochen, wer jetzt aussteigt, verliert viel Geld. Warum sollte er das tun?

Weil wir noch nicht am Ende der Spirale sind. Das dicke Ende der Krise kann erst noch kommen, wenn die Probleme in der Realwirtschaft ankommen. Es besteht die Sorge, dass versucht wurde, die amerikanische Wirtschaftskrise über die Präsidentenwahl zu verschieben. Das sagt mir: Nach der Wahl kommt noch vieles ans Licht, was jetzt mühsam unterdrückt wird.

Zum Beispiel?

Viele Unternehmen stehen schlechter da, als sie sich öffentlich darstellen. Und das gehört zum Finanzkapitalismus, wie das Beispiel Enron zeigte. Dieser zusammengebrochene Energiekonzern, belegte nach Börsenkapitalisierung Platz sieben in den USA. Gemessen an der realen Wirtschaftskraft lag Enron aber nur auf Platz 300. Das trifft natürlich auch auf andere Unternehmen zu: Von den Börsen strahlt unglaublich viel Kunstlicht, obwohl die Unternehmen oft ganz dunkel sind. Man soll in Deutschland nicht überheblich sagen: Geht uns nichts an, das ist ein amerikanisches Problem. Der Unternehmensberater Roland Berger hat einst deutschen Konzernen empfohlen, sich Enron zum Vorbild zu nehmen.

Wohin steuert die Welt? In die Rezession? In eine Strukturkrise?

In ein neues Zeitalter. Nach dem Manchester-Kapitalismus bis zum zweiten Weltkrieg folgte eine Sozialstaatsphase, die bis in die Mitte der 70er Jahre Wohlstand brachte. Danach setzte sich Zug um Zug der Finanzkapitalismus durch. Und die aktuelle Krise zeigt: Die Phase des Finanzkapitalismus ist zu Ende.

Gesetzt den Fall, Ihre Analyse stimmt: Was folgt?

Wer die aktuelle Situation analysiert, wird vier Krisen konstatieren müssen: Die der Finanzmärkte, die Klimakrise, die zunehmende Rohstoffknappheit und das Hungerproblem. Stimmt diese Analyse, dann muss das Kommende Antworten auf alle vier Krisen geben. Ich sehe nicht, was das jenseits einer sozial-ökologischen Nachhaltigkeit sein kann.

Bundespräsident Horst Köhler plädiert im Spiegel für ein neues Bretton Woods - jene ordnungspolitische Weltkonferenz, die nach dem zweiten Weltkrieg den Wirtschaftsrahmen bestimmte. Welche Ansatzpunkte gebe es?

Da gibt es eine Vielzahl. Das fängt bei der Möglichkeit eines Grenzsteuerausgleiches an: Die Staaten, die sich selbst höhere Kosten durch die Umbauphase in ein ökologisches System auferlegen, sollten die Möglichkeit bekommen, ihre Wirtschaft zu schützen ...

... also etwa durch eine Kohlendioxid-Steuer, wie sie Frankreichs Präsident Sarkozy vorgeschlagen hat?

Zum Beispiel. Es ist eine Illusion zu glauben, dass der Umbau zu einem Nachhaltigen System kostenneutral ist - obwohl es uns langfristig billiger kommt.

Die WTO und die USA haben erklärt, dass sie so eine Steuer niemals akzeptieren werden!

Das Handelssystem zu den Kohlendioxid-Emissionen gibt es im Augenblick nur in Europa. Warum sollen Länder, die den ökologischen Umbau voranbringen, schlechter gestellt werden?

Sie sprachen von vielen Ansatzpunkten!

Wir brauchen neue Anreize, beispielsweise gespaltene Kreditsätze. Das heißt, diejenigen, die in ökologische Zukunftsfelder investieren, kriegen günstigere Kredite, als solche, die in Finanzanlagen investieren. Drittens ist mir die Tobinsteuer viel zu schnell beerdigt worden: der Vorschlag, spekulative Devisengeschäfte stärker zu besteuern. Viertens müsste ein neues Bretton Woods einen globalen Kohlenstoffmarkt organisieren - als Programm zur Finanzierung ökologischer Zielsetzungen.

Der letzte umweltpolitische Weltbeschluss war das Kiotoprotokoll, dass auch elf Jahre nach seiner Verabschiedung noch immer nicht funktioniert. Warum sollte ausgerechnet jetzt eine ökologische Regulierung klappen?

Weil es immer bestimmte Situationen in der Geschichte gibt, wo sich Konstellationen, Ideen, Probleme und Personen verbinden. Eine solche Phase wird jetzt möglich: Statt immer nur über Krisenmanagement zu reden, müssen wir eine Vision für den Neuaufbau suchen.

Schon das alte Bretton Woods funktionierte nicht so, wie sich das die Vordenker um Keynes erhofft hatten. Was war der Geburtsfehler?

Die einseitige Kettung an Amerika. Die Amerikaner wollten mit einer Fixierung auf den Dollar die Briten aus der Position der wichtigsten Welthandelsmacht raus katapultieren. Was sie auch geschafft haben - der Dollar wurde auf der ganzen Welt zur Leitwährung. Aber im Grunde war das nie die Position von Keynes: Der wollte niemanden in eine Dominanz setzen. Die amerikanische Vorherrschaft hat letztlich über die Wall Street den Finanzkapitalismus erst ermöglicht. Und jetzt haben wir eine Situation, in der die Supermacht USA angeschlagen ist und nicht mehr die Dominanz hat.

Wer wäre das Zentrum einer neuen Bretton Wood-Ordnung?

Europa als wirtschaftsökologischer Motor. Das kann aber nur ein Zwischenschritt sein. Ziel der neuen Weltwirtschaft müsste eine größere Regionalisierung sein.

Das heißt, Europa müsste ein Modell vorschlagen, das lebbar und attraktiv genug ist. Sind wir auf dem Weg dahin?

Ansatzweise - mehr aber auch noch nicht.

Ihre Bundesregierung nimmt für sich in Anspruch, der klimapolitischer Motor in Europa zu sein. Tatsächlich aber blockiert Deutschland derzeit alle Verhandlungen zum neuen Energie- und Klimapaket, dass ohnehin nicht sonderlich anspruchsvoll ist.

Wer die derzeitige Krise durchdenkt, kommt zum Schluss, dass ausschließliches Krisenmanagement nicht ausreicht. Ich muss auch wissen, wie die nächste Epoche aussehen soll. Wir haben einen Epochenbruch, dass ist mehr als eine periodische Übersteigung der Gewinnerwartung. Machen wir so weiter, dann werden die Verteilungskämpfe auf der Welt eine unglaubliche Entfesselung von Gewalt mit sich bringen. Wir können diesen Krieg gegen die Zukunft nicht mehr verlängern.

Ihr Chef, Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, will aber neue Kohlekraftwerke.

Auch Gabriel weiß: Ein Kraftwerk, dass heute gebaut wird, ist ja kein Kraftwerk für fünf oder zehn Jahre. Es läuft 40 Jahre. Und wenn ich bilanziere, dass in der Laufzeit diese Kraftwerkes, der Emissionshandel vier, fünf Mal verschärft wird, dann darf im Angesicht der europäischen Klimaziele das Kraftwerk am Ende seiner Laufzeit noch 200 Gramm Kohlendioxid je Kilowattstunde Strom ausstoßen. Es wäre also kurzsichtig, heute vor allem auf neue Kohlekraftwerke zu setzen. Im Gegenteil: Wir müssen Kraftwerke überflüssig machen.

Die meisten Leute bei Vattenfall sind keine Idioten. Trotzdem baut Vattenfall neue Kohlekraftwerke. Wer irrt sich denn nun?

Vattenfall spekuliert darauf, dass die Politik kurzfristig einknickt. Das Grundproblem ist: Wir sind viel zu sehr auf eine kurzfristige ökonomische Strategie fixiert. Aber wenn ich eine längerfristige Betrachtung anstelle, dann weiß ich dass jede Strategie, die jetzt nicht den Umbau der Energiewirtschaft forciert, uns 2020, 2030 dramatisch einholen wird. Das ist die selbe Grundstruktur wie beim Finanzkapitalismus: Am Anfang hat es den Beteiligten einige Fortschritte gebracht. Jetzt holt es alle dramatisch ein.

Lassen Sie uns konkret werden: Wer muss jetzt was als erstes realisieren?

Europa sollte in den internationalen Institutionen dafür sorgen, dass die Ökologisierung zur Generalpolitik der Welt wird - in WTO, Vereinte Nationen, GATT. Der Beschluss vom 8. März 2007 ....

... in dem die EU sich ehrgeizige Klimaziele von 20 Prozent CO2-Reduktion bis 2020 gegenüber 1990 setzt ...

...muss jetzt erweitert werden. Wir brauchen starke Reduktionsziele, die mit einer glaubwürdigen Politik untersetzt werden müssen. Dann muss man mit dieser Politik in die Institutionen der Vereinten Nationen gehen und für diese werben.

Beschlüsse gibt es viele. Der Bundestag beschloss 1991, dass die Bundesrepublik bis 2005 ihren Co2-Ausstoß um 25 bis 30 Prozent reduziert. Tatsächlich zu Buche standen 2005 gerade einmal 17 Prozent. Warum sollte ein neuer Beschluss etwas ändern?

Weil die Ausgangslage eine andere ist. Es geht nicht darum, ein bisschen mehr Ökologie zu machen. Die Ökologie ist heute der entscheidende Hebel für die nächste Epoche. Bislang war die Ökologie Thema von Außenseitern, die zuletzt ein bisschen in die Mitte der Wirtschaftspolitik gerückt sind. In der neuen Epoche werden Sie aber die tragenden Stützen sein. Es sei denn, man kommt zu der Analyse, dass die neue Epoche eine andere als die Nachhaltigkeit ist. Aber der Finanzkapitalismus, der sich in den letzten 30 Jahren herausgebildet hat, ist definitiv am Ende.

Was sagt eigentlich Sigmar Gabriel zu ihrer Analyse?

Lesen Sie sein Buch, da steht auch Wichtiges zur Ökologie drin.

Und Franz Müntefering?

Ich glaube, wir sind uns mehr einig, als es nach außen hin wahrnehmbar ist.

Wird sich das praktisch auf die SPD-Politik auswirken?

Das werden Sie auf dem Parteitag am 18. Oktober erleben!

INTERVIEW: STEPHAN KOSCH & NICK REIMER

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