Opel-Rettung: Merkel macht den Schröder

Die Regierungschefin, die sich in Hemdsärmeln unter die Arbeiter begibt: Angela Merkel besucht das Opel-Werk in Rüsselsheim und verspricht Hilfe, ohne konkret zu werden.

Staatliche Unterstützung ja, staatliche Beteiligung nein, lautet Merkels Vorschlag. Bild: dpa

Schröder bei Holzmann

Wegen schwerer Managementfehler ist der Baukonzern Philipp Holzmann im November 1999 zahlungsunfähig. Gefährdet sind 17.000 Arbeitsplätze in Deutschland, zudem fast 40.000 Stellen bei Zulieferern. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) verhandelt selbst in Frankfurt mit den Banken, die schließlich Übergangskredite von einer Milliarde D-Mark gewähren. Der Bund übernimmt eine Bürgschaft von 250 Millionen D-Mark. "Holzmann lebt!", ruft Schröder den vor der Konzernzentrale wartenden Mitarbeitern zu, die ihn frenetisch bejubeln und das Deutschlandlied anstimmen. Schröder wird kurz darauf zum SPD-Vorsitzenden gewählt, Holzmann geht im März 2002 endgültig pleite.

Stoiber bei AEG

Der schwedische Konzern Electrolux, der die Reste des traditionsreichen AEG-Konzerns aufgekauft hat, gibt im November 2005 bekannt, das AEG-Stammwerk in Nürnberg zu schließen und die Produktion von Haushaltsgeräten aus Kostengründen nach Polen zu verlagern. 1.750 Jobs sind bedroht. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) versucht medienwirksam zu vermitteln. Letztlich vergeblich. Ein Jahr später wird die Produktionsstätte geschlossen.

Rüttgers bei Nokia

Im Januar 2008 verkündet der finnische Handyhersteller Nokia, dass er sein Werk in Bochum schließen und die dortige Produktion nach Rumänien verlagern wolle. Die Gewinnmarge in Bochum erscheint der Konzernführung als zu niedrig. 2.000 Mitarbeitern und 1.000 Leiharbeitern droht die Kündigung. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) besucht die protestierenden Arbeiter und erinnert daran, dass Nokia 60 Millionen Euro Subventionen aus Landesmitteln erhalten hat. Ein halbes Jahr später wird das Werk geschlossen. Nokia zahlt 40 Millionen Euro zurück. DZY

Nur zwanzig Minuten sind es von den Banken in die Realwirtschaft, von den Wolkenkratzern der Hochfinanz rings um den Frankfurter Hauptbahnhof zu den Werkshallen von Opel in Rüsselsheim. Die S-Bahn fährt an den Reihenhäusern der Arbeiter vorbei, im Hintergrund zeichnet sich der Taunus ab, an dessen Hängen die Banker wohnen. Für die einen bürgt der Staat mit einer halben Billion Euro, die Rettung der anderen soll an ein paar Milliarden scheitern? Dafür mag es Gründe geben. Aber sie sind nicht zu vermitteln, nicht in einem Wahljahr, nicht in Rüsselsheim.

Angela Merkel hat das auch nicht mehr vor. Noch bevor sie einen Satz gesagt hat an diesem Dienstag in Halle K48 des Rüsselsheimer Opelwerks, lässt sie sich mit einem Kinderchor fotografieren. "Der Blitz kommt aus ner Welt, wo Freundschaft und Familie zählt", haben die Kinder gerade gesungen. Alle tragen Opel-T-Shirts. Ein solches Bild in allen Zeitungen, und die Regierung lässt den Autobauer pleitegehen? Undenkbar. Merkel weiß das. Sie hat sich mal wieder drängen lassen, von der SPD, von den eigenen Ministerpräsidenten. Der Kanzlerkandidat der SPD war schon vier Wochen früher in Rüsselsheim, von "versuchtem Betrug" sprach Merkels Innenminister Wolfgang Schäuble. Am Montag präsentierte Frank-Walter Steinmeier einen Rettungsplan und forderte die Bildung einer Task Force, von "Aktionismus" redete Merkels Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Einen Tag später spricht Merkel selbst in Rüsselsheim und sagt: "Wir werden heute und morgen ein Verhandlungsteam zusammenstellen." Eine Task Force also.

Zwei der Drängler sind an diesem Tag im Saal. Der hessische SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel kommt eine Stunde bevor Merkels Rede überhaupt anfängt. Er lästert vor Journalisten über die "aufgeregte Debatte" über eine mögliche Staatsbeteiligung in der Union und fordert mehr Besonnenheit. Der hessische Ministerpräsident Roland Koch bleibt noch, als die Kanzlerin längst weggefahren ist. Er begründet, warum es ohne Staatshilfe nicht geht. Immerhin schließt er, anders als sein nordrhein-westfälischer Kollege Jürgen Rüttgers, eine direkte Beteiligung aus.

Ein großer Unterschied ist das am Ende nicht. Auch mit Bürgschaften kann der Staat einem Investor den Großteil der Risiken abnehmen. Schon Gerhard Schröder hatte bei der Rettung des Baukonzerns nur eine Bürgschaft ausgereicht und Druck auf die Banken ausgeübt. Damals waren es noch fast drei Jahre bis zur nächsten Wahl, in der Zwischenzeit ging der Konzern pleite. Bevor den Vergleich andere ziehen, tut es Merkel lieber selbst. Sie wolle keine Lösung, behauptet sie, "die uns an Holzmann erinnert, was eine kleine Leuchtrakete war und nachher nicht gehalten hat".

Diesmal ist die Zeit bis zur Wahl kürzer, und es könnte am Ende sein, dass die SPD die Kanzlerin zu ihrem Glück gezwungen hat. Dass sie am Wahltag als Opel-Retterin dasteht, während sich an Steinmeiers Rolle kaum noch jemand erinnern kann.

Es ist auch ein Kampf um Symbole. In so vielen Rollen hat sich die erste Frau im Kanzleramt schon erprobt, aber es gibt in der deutschen Politik keine männlichere Figur als den Regierungschef, der sich in Hemdsärmeln unter die Arbeiter begibt und die Dinge anpackt. Das Auto, Inbegriff aller Männerträume, dazu die Arbeiter mit Schweiß, Schwielen und Schnäuzer. Auf dieser Klaviatur spielen Merkels Rivalen. Nicht nur Steinmeier und seine Sozialdemokraten, sondern auch die CDU-Ministerpräsidenten. Wenn es etwas gibt, was viele Unionsleute an Schröder immer bewundert haben, dann war es sein Machismo.

An diesem Tag aber hat es Merkel vor allem mit ziemlich schwachen Männern zu tun. Selten hat man Manager so nervös erlebt wie Opel-Chef Hans Demant und den Präsidenten von GM Europe, Carl-Peter Forster. Sie stottern und verhaspeln sich, flehen die Kanzlerin förmlich um Hilfe an, scheinen schon den Tränen nahe wie am Vortag der scheidende Bahn-Chef Hartmut Mehdorn. Es sei "schwierig zu reden, weil es doch so emotional ist", sagt Demant, der nach dem Auftritt des Kinderchors als Erster das Wort ergreift.

Sie haben alles aufgeboten. Rechts neben der Kanzlerin das allererste Opel-Modell von 1899, links das erste Elektroauto, das in anderthalb Jahren unter dem Namen "Ampera" auf den Markt kommen soll und nun alle Zukunftshoffnungen verkörpert. Merkel wird förmlich eingerahmt, vom Applaus fast erdrückt. "Liebe Frau Merkel", sagt der Betriebsratschef. "Dafür, liebe Angela Merkel, brauchen wir Sie", appelliert Roland Koch.

Merkel verspricht nichts, erst recht nicht den Erhalt aller Arbeitsplätze. Sie redet von der schwierigen Suche nach einem Investor. Aber dann lässt sie den entscheidenden Halbsatz folgen: "Natürlich mit staatlicher Unterstützung, ich sage das ausdrücklich zu." Auch wenn sie im Gegensatz zur SPD keine Anteile an dem Autobauer übernehmen will: Das Schicksal von Opel hat sie damit schon verstaatlicht.

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