Zugunglück in Sachsen-Anhalt: Systemfehler auch im Westen

Mit einem automatischen Zugbremssystem hätte das Unglück von Hordorf verhindert werden können. Auf vielen Strecken fehlt es aber – und zwar nicht nur zwischen Elbe und Ostsee.

Doppelt gemoppelt hält besser: Fällt das Signal aus, hilft die Automatik. Leider gilt das nicht für alle Trassen. Bild: dapd

Bei dem schweren Zugunglück am Samstagabend in Hordorf in Sachsen-Anhalt hat der Lokführer des Personenzuges offenbar eine noch schwerere Katastrophe verhindert. Das geht aus dem Untersuchungsbericht des Bundesverkehrsministeriums an den Verkehrsausschuss des Bundestages hervor, der der taz vorliegt. Demnach hat der Lokführer den Personenzug mit einem Tempo von rund 98 Kilometer pro Stunde auf ein Tempo von 66 Kilometer pro Stunde gebremst, bevor er frontal auf den entgegenkommenden Güterzug stieß. Eine höhere Aufprallgeschwindigkeit hätte wohl mehr Opfer gefordert.

Bei dem schweren Unfall waren zehn Menschen getötet worden, darunter der Lokfüher und eine Zugbegleiterin des Personenzuges. 18 Reisende wurden schwer, 25 leicht verletzt. Gegen den Lokführer des Güterzuges, der Kalk geladen hatte, ermittelt die Staatsanwaltschaft Magdeburg wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung beziehungsweise Körperverletzung. Laut Bericht hat der Güterzug sowohl ein Vorsignal als auch ein Haltesignal überfahren, bevor er auf eingleisiger Strecke auf den Personenzug stieß. Besonders tragisch: Die Strecke zwischen Magdeburg und Halberstadt wird derzeit mit der sogenannten Punktuellen Zugbeeinflussung (PZB) ausgerüstet, die eine Zwangsbremsung auslöst, wenn ein Lokführer ein Stoppsignal überfährt. In Hordorf aber gibt es noch keine PZB-Anlage, die den Unfall hätte verhindern können. "Das ist mir unbegreiflich, die Sicherungstechnik ist einfach und billig", sagte der Bahnkritiker Karl-Dieter Bodack der taz. Die Bahn kaufe weltweit mit Milliarden Euro Unternehmen auf, aber im Inland fehle es an Kleinigkeiten. Zudem sei der eingleisige Abschnitt in Hordorf, wo es zu dem Unfall kam, gerade mal rund fünf Kilometer lang. "Dort ein zweites Gleis zu verlegen, kostet wenige Millionen Euro." Eingleisige Abschnitte würden ein höheres Risiko bergen.

Bahn-Chef Rüdiger Grube kündigte derweil an, alle eingleisigen Strecken mit einem automatischen Bremssystem auszurüsten. "Da ist Handlungsbedarf", sagte Grube am Montagabend im Fernsehen. Insbesondere in Ostdeutschland gebe es noch viele eingleisige Strecken. Auch wenn keine rechtliche Verpflichtung bestehe, müsse die Bahn hier "einen Schlag zulegen und diese Schwachstellen so schnell wie nötig beseitigen". Im Moment seien noch etwa 350 Kilometer nicht damit ausgerüstet.

Betroffen sind davon nach Informationen der taz aber nicht nur Strecken in Ostdeutschland. So hat etwa die Bahnlinie von Coburg nach Bad Rodach kein PZB-System. Auch von Pforzheim nach Bad Wildbad im Nordschwarzwald oder von Tönning nach Sankt Peter Ording an der Nordsee fahren Bahnreisende ohne doppelte Sicherung. In Ostdeutschland trifft dies beispielsweise auf die Strecken von Peenemünde nach Ahlbeck auf der Insel Usedom, von Löwenberg nach Rheinsberg in Brandenburg oder von Zwickau nach Klingenthal zu.

Auch auf Teilabschnitten wichtiger Strecken, etwa von Dresden nach Cottbus, von Halle nach Eilenburg oder von Gera nach Leipzig fehlen PZB-Systeme. "Die Strecken müssen schnell nachgerüstet werden", fordert der Grünen-Verkehrsexperte Winfried Hermann. "Die Bahn muss jetzt ein Konzept mit einem klaren Zeitplan vorlegen."

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