Autoindustrie-Streik: Unruhe vor dem Werkstor

In Wiesbaden drohen die ersten krisenbedingten Entlassungen in der Autoindustrie. Die Arbeiter beim Autozulieferer Federal Mogul probten den Aufstand - und blockierten das Werkstor für drei Tage.

Streikende Beschäftigte blockierten die Werkszufahrt von Federal Modul in Wiesbaden. Die Geschäftsleitung will hier 436 Mitarbeiter wegen der Wirtschaftskrise entlassen. Bild: dpa

WIESBADEN taz | Die sozialen Unruhen beginnen also auf einem Zebrastreifen. Vor Tor eins des Wiesbadener Automobilzulieferers Federal Mogul schlendern zwei Dutzend Arbeiter des angrenzenden Werkes über die Straße. Kaum sind sie drüben, schlendern sie wieder zurück. Davor schaut ein verdutzter blonder Slowake aus seinem Lkw, kratzt an seinem Drei-Tage-Bart und begreift, dass die kreisenden Arbeiter da vorn wegen ihm die Straße blockieren. "Sorry, wir kämpfen für unsere Arbeitsplätze", ruft einer von ihnen in die Fahrerkabine.

Das Streikrecht: Gegen die Entlassung dürfen die Arbeiter nach dem Tarifrecht eigentlich nicht streiken, wohl aber für möglichst gute Sozialpläne und hohe Abfindungen. Und sie dürfen natürlich so hohe Abfindungen fordern, dass sich Entlassungen für das Unternehmen nicht mehr lohnen. Über diese Hintertür wird auch über die Zahl der Entlassungen verhandelt - die Gewerkschaft könnte die geforderte Abfindung in einen für das Unternehmen erträglichen Bereich absenken, wenn im Gegenzug der Erhalt von Arbeitsplätzen zugesagt wird. Eine Friedenspflicht besteht nicht: Zwar darf während der Laufzeit eines Tarifvertrages nicht gestreikt werden, das gilt allerdings nur, wenn sich der Streik auf Vereinbarungen im Tarifvertrag bezieht.

Der bestreikte Konzern: Der US-amerikanische Automobilzulieferer Federal Mogul mit Hauptsitz bei Detroit kaufte 1990 die Glyco-Metall-Werke in Wiesbaden-Schierstein auf. Weltweit hat der Konzern 40.000 Angestellte. Der Umsatz in den sechs deutschen Standorten betrug 2008 1,2 Milliarden Euro, weltweit waren es 6,9 Milliarden US-Dollar. (IA)

Es ist Freitag vergangener Woche, sie streiken nun schon den dritten Tag, hier bei der US-amerikanischen Firma Federal Mogul, wo sie normalerweise für so ziemlich jede Autofabrik in Deutschland Gleitlager und Buchsen für Motoren produzieren. 436 von 1.600 Arbeitern sollen entlassen werden. Seit Dezember 2008 fahren sie bereits auf Kurzarbeit. Aber das sei zu wenig, um den Standort über die Krise zu retten, sagt die Geschäftsführung. "Entlassung Nein! Kurzarbeit Ja!" haben die Arbeiter auf ihre T-Shirts geschrieben. Für Mai hat die Firma die Kurzarbeit bereits ausgesetzt, weil sie nur dann Kündigungen aussprechen darf. Die Arbeiter wissen, es wird eng. Und sie wissen nicht, wen es treffen wird.

Nun sind sie die Ersten, die aufgrund der Krise in der deutschen Automobilindustrie ihre Jobs verlieren und deshalb unbefristet streiken. DGB-Chef Michael Sommer und SPD-Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan und ihre Prophetie über soziale Unruhen werden unter den roten IG-Metall-Pavillons der Streikposten oft zitiert. "Wir wollen ein Beispiel sein und ein Signal setzen", sagt Alfred Matejka, der Betriebsratsvorsitzende: 59 Jahre alt, seit 45 Jahren im Betrieb, drahtiger Marathonläufer und definitiv Hesse - "kämpferisch" klingt bei ihm nicht unbedingt kantig. Er überzeugt den Lkw-Fahrer schließlich, dass er das mit der Teile-Lieferung für das Werk vergessen kann. Zwar dürfen sie das Werk per Gerichtsbeschluss eigentlich nicht blockieren. Über Zebrastreifen zu marschieren ist aber erlaubt, sagt Matejka augenzwinkernd.

Ein paar Mitglieder der Geschäftsführung beäugen das Ganze argwöhnisch aus dem grauen Verwaltungsgebäude auf der anderen Straßenseite. Dass die IG-Metall Federal Mogul zum Präzedenzfall gegen eine Entlassungswelle während der Wirtschaftskrise erklärt hat, dafür haben sie hier kein Verständnis. Aus ganz Deutschland kommen nun Unterstützerschreiben für die Arbeitskämpfer. Aus anderen Betrieben, sogar von der Konkurrenz, von Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel oder der Bundestagsfraktion der Linken.

Bruno Seifert, der Sprecher des Unternehmens, sagt, der Konzern habe 100 Millionen Dollar Verlust im ersten Quartal 2009 gemacht. Der Standort in Wiesbaden sei seit Jahren immer weniger profitabel und sei zuletzt in die roten Zahlen gerutscht. "Wir müssen uns zudem strukturell an den Markt anpassen", sagt er. Die Teile aus Wiesbaden stecken vor allem in Motoren für Autos der Oberklasse. Von denen werden nicht nur weniger gebaut, die Motoren haben auch immer weniger Zylinder - was die Nachfrage nach den Teilen des Werkes verringere.

Die Argumente der Firmenleitung werden bei den Streikenden auf der Straße belächelt: Federal Mogul ist ein Beispiel dafür, was passiert, wenn das Vertrauen zwischen Arbeitern und Firmenspitze zerstört ist. Seit Januar gab es Verhandlungen über die geplanten Entlassungen. Als die angebotenen Abfindungen "mickrig" ausfielen, verlangte die IG Metall trotzig einen Sozialtarifvertrag. Anfang Mai stimmten schließlich rund 95 Prozent der Gewerkschafter im Betrieb für Streik, fast alle sind in der IG Metall. Nun werfen sie der Firmenleitung vor, zu fragwürdigen Mitteln zu greifen: Bei 166 Arbeitern, denen bereits im Herbst die befristeten Verträge nicht verlängert wurden, riefen Zeitarbeitsfirmen an, um sie für günstige 10 Euro Stundenlohn wieder bei Federal Mogul arbeiten zu lassen, sagt Matejka. Er vermutet, man wolle nach den Entlassungen die teure Stammbelegschaft durch günstige Leiharbeiter ersetzen, von denen es bisher keine gab. Firmensprecher Seifert bestätigt, dass man eine Zeitarbeitsfirma mit der Rekrutierung beauftragt habe - allerdings nur, um während des Streiks teilweise produzieren zu können. Nicht jedoch, um die Leiharbeiter dauerhaft zu behalten.

Dies zeigt, wie verletzlich die Zulieferkette in der deutschen Automobilindustrie mit ihrer Just-in-time-Struktur ist. Teile werden sofort verarbeitet, Lagerbestände gibt es kaum. Federal Mogul ist zu groß, als dass Fabriken der Konkurrenz die fehlenden Teile liefern könnten. Vor den Werktoren erzählt Matejka von einem nervösen Einkaufsleiter bei BMW, der quasi stündlich bei der Geschäftsführung Druck mache. Stillstehende Bänder bei den Herstellern seien eine "ganz reale Gefahr", wie Firmensprecher Seifert sagt - was durchaus Kalkül der Streikenden ist. Man kämpfe aber nicht gegen die Autoindustrie, sondern für sie und gegen eine drohende Entlassungswelle, sagt Matejka.

Immerhin, Zustände wie in Frankreich, mit brennenden Autoreifen und entführten Managern, müssen sie hier nicht fürchten. "Wir beleidigen niemand und schlagen niemand und spucken auch niemand an", belehrt er von einer erhöhten Blumenrabatte aus Beton eine neue Streikschicht - man wechselt alle vier Stunden.

Am Samstag sind die Streiks ausgesetzt worden und auch am heutigen Montag wird wieder gearbeitet. "Wir geben der Geschäftsleitung Gelegenheit, ihre starre Haltung zu überdenken und ihrer Verantwortung gegenüber den Beschäftigten nachzukommen", sagte Streikleiter Michael Erhardt von der IG Metall. Am Montag finden zudem Verhandlungen zwischen Geschäftsführung und Gewerkschaft über einen Interessenausgleich statt. "Hier haben die Arbeitgeber die Möglichkeit einzulenken", sagte Erhardt. Eine Einigung ist bei so viel Misstrauen aber eher unwahrscheinlich. Dann eben wieder Streik. Eine Arbeiterin, die schon beim letzten großen Arbeitskampf um die 35-Stunden-Woche 1984 dabei war, sagt schlicht: "Und falls wir auf den Hintern fallen, haben wir wenigstens gekämpft."

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