Finanzkrise trifft Japaner schwer: Weniger Wachstum, mehr Selbstmorde

Allein im Oktober nahmen sich 3.000 Japaner das Leben. Die Krise trifft das Land viel härter als etwa Deutschland. Die Löhne werden allerorten gekürzt - und man verlegt sich aufs Leihen.

Schwere Zeiten: Japan geht es besonders schlecht. Bild: reuters

TOKIO taz | Land unter in Japan: Seine Wirtschaftsleistung ist zwischen Januar und März mit minus vier Prozent zum Vorquartal so heftig zurückgegangen wie seit 1955 nicht mehr. Zum Vorjahr gab die Wirtschaftsleistung um beispiellose neun Prozent ein - deutlich mehr noch als in Deutschland (knapp sieben Prozent Minus).

Die Hauptgründe: Die japanischen Firmen investierten über zehn Prozent weniger als im letzten Vierteljahr 2008. Die Exporte brachen um mehr als ein Viertel ein.

Die Rezession erschüttert die Grundfesten der Gesellschaft: Die Zahl der Selbstmorde aus wirtschaftlichen Gründen stieg im vergangenen Jahr um über zehn Prozent - zum Jahresanfang setzte sich der Trend fort.

Allein im Oktober töteten sich über 3.000 Japaner. "Das war der Lehman-Schock", meint Yasuyuki Shimizu von der Hilfsorganisation Lifelink. Die Pleite der US-Bank im September hatte die Finanzkrise weltweit verschärft. Erstmals seit dem Krieg taucht das Wort "Armut" massiv in der japanischen Presse auf.

Das Boulevardmagazin Shukan Diamond berichtete auf 40 Seiten über die "unbekannte Armut": Jedes siebte Kind in Japan sei notleidend, die Sozialstruktur werde in zehn Jahren zusammenbrechen. Vor kurzem sorgte der Hungertod eines arbeitslosen Computerexperten für Schlagzeilen. Der öffentliche Fernsehsender NHK zeigte zur besten Sendezeit Eltern, die ihre Kinder aus der Schule nehmen, weil sie die Gebühren nicht bezahlen können.

Kurzfristig scheint die Talsohle zwar erreicht. Im März ist der Export und im April die Industrieproduktion weniger stark gefallen. Das Verbrauchervertrauen erreichte ein 10-Monate-Hoch. Die Regierung verpasst der Wirtschaft bald eine Konjunkturspritze von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Gerade hat sie jedem Bürger umgerechnet 100 Euro geschenkt und die Autobahngebühren gesenkt. "Im dritten oder vierten Quartal wird die Wirtschaft wieder wachsen", sagt Dora Borbély von der Dekabank.

Doch der Konsum dürfte schwach bleiben: Denn die Arbeitslosigkeit hat ihren Höhepunkt noch nicht erreicht - und die arbeitende Bevölkerung viel weniger Geld in der Tasche. Die Firmen entlassen zwar kaum Festangestellte, kürzen aber teils massiv die Löhne und Gehälter. Es gibt unbezahlten Zwangsurlaub, niedrigere Grundgehälter und weniger oder keine Bonuszahlungen.

Deshalb boomt derzeit das Verleihgeschäft vom Fahrrad bis zur Handtasche. In Frauenmagazinen zeigen Hausfrauen ihre Rezepte für billige und trotzdem leckere Gerichte. "Ich kann es nur schwer glauben, aber viele kommen pro Person mit 10.000 Yen (76 Euro) im Monat aus", sagt die Redakteurin Satoko Sugiki.

Und auch einige Kaufhäuser setzen aufs Abwracken: Für jedes alte Schuhpaar gibt es einen Gutschein für neue Lederwaren - seitdem kommen wieder mehr Kunden.

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