Streit der Woche: Ärzte gegen Massenimpfung

Um der Schweinegrippe vorzubeugen, werden gerade Millionen Dosen Impfstoff produziert. Hysterischer Quatsch? Ja, sagen Pharmakritiker und die Ärztekammer. Die zuständigen Institute widersprechen.

Noch wird über das Pro und Kontra einer Schutzimpfung gegen die Schweinegrippe gestritten. Bild: ap

BERLIN taz | Die Bundesärztekammer hat eine Massenimpfung gegen die Schweinegrippe indirekt als Ergebnis von Pharma-Lobbyismus kritisiert. Es entstehe "der Verdacht, dass die Interessen der Pharmaindustrie durch ihre Lobbyisten wieder einmal gut bedient werden", schreibt die Vizepräsidentin der Ärzteorganisation, Cornelia Goesmann, im "Streit der Woche" der sonntaz. Lediglich Risikogruppen sollten nach ihrer Meinung geimpft werden. "Eine weitgehende Durchimpfung der Gesamtbevölkerung ist nicht sinnvoll."

Ab Ende September soll in Deutschland der Impfstoff gegen das Schweinegrippevirus H1N1 zur Verfügung stehen. Die Bundesländer haben bereits 50 Millionen Dosen des neuen Impfstoffes bestellt. Das würde für 25 Millionen Menschen reichen.

"Der Eindruck beschleicht nicht nur einen Großteil der Ärzteschaft, hier würden bis zu einer Milliarde Euro verschleudert, die im Gesundheitswesen an anderer Stelle dringender gebraucht werden", erklärt Goesmann. Die Beschäftigen in medizinischen Betrieben erlebten die Realität der Schweinegrippe "offenbar unisono als hysterische Panikmache ohne fassbaren Hintergrund". Denn die Zahl ernsthaft Erkrankter sei verschwindend gering geblieben.

Wolfgang Becker-Brüser lässt sich wohl ebenfalls nicht gegen die Schweinegrippe impfen: Der Herausgeber des medizinischen Fachblattes „Arznei-Telegramm“ hält die geplante Massenimpfung für einen bedenklichen Großversuch. „Die geplante Impfaktion soll in Deutschland mindestens 700 Millionen Euro verschlingen“, schreibt Becker-Brüser in der sonntaz, „zu viel Geld für einen zweifelhaften Impfstoff.“

Noch dazu erreicht das Geld seiner Ansicht nach die Falschen: Die Firma, die nach derzeitigem Kenntnisstand die Impfstoffdosen herstelle, hätte die Pandemieängste geschürt. Ein Berater der britischen Regierung habe zu früh die Schweinegrippe zu einer Pandemie erhoben, und gleichzeitig betont, dass Medikamente zur Behandlung zur Verfügung stünden. Derselbe Berater arbeite als Lobbyist für die Herstellerfirma. Auch vertraut der Arzt und Apotheker dem neuen Impfstoff nicht. Er enthalte eine Wirkverstärkermischung, die nie zuvor in einem handelsüblichen Impfstoff verwendet worden sei.

Anders äußerte sich Reinhard Burger, Vizepräsident des Robert-Koch-Instituts, der zentralen Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und -vorbeugung. "Es wäre leichfertig, dieses Virus abzuschreiben als mildes Virus und die Hände in den Schoß zu legen." Deutschland müsse sich vorbereiten. Es sei wichtig, Impfstoffvorräte anzulegen und Impfungen vorzubereiten, schreibt Burger in der sonntaz. „So schnell hat sich noch nie ein Influenzavirus ausgebreitet!“

Am "Streit der Woche" hat sich außer Goesmann, Becker-Brüser und Burger auch Johannes Löwer, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts beteiligt, das in Deutschland für Arzneimittelzulassungen zuständig ist. Die Sprecherin des Verbands für Kinder- und Jugendärzte in Thüringen Monika Niehaus schreibt, dass es bisher noch keine lebensbedrohlichen Krankheitsverläufe gab, und sie deshalb eine Massenimpfung nicht für notwendig hält. Zudem sind in der sonntaz Meinungen der taz.de-User Peter Böhm und Wulf-Hinrich Storch zu lesen.

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