Ratlose Hochschulprofessoren: Aufstand der Graubärte gegen die Uni

Die StudentInnen streiken. Die Professoren diskutieren. Sie verteufeln verschulte Bachelorstudien und Ranking-Manie. Antworten haben sie keine.

Protest mit Leibniz: Universität Leipzig. Bild: dpa

"Wir sind ja selbst schuld, wir haben sie auf Punktejagd geschickt", sagt Bruno Frey. "Jetzt dürfen wir uns nicht wundern, wenn sie nur noch Veranstaltungen besuchen, in denen sie Credits bekommen, anstatt hier mit uns zu diskutieren." Gemeint sind die Studenten.

In einer kuriosen Umkehrung realer Verhältnisse entschuldigt der quirlige Professor am Pult diejenigen, die an diesem Tag im Hörsaal 9 der Universität Leipzig fehlen. Es sind vorwiegend graubärtige Kollegen, die Bruno Frey lauschen. Die wenigen Jungen klopfen anerkennend auf die Bänke.

Frey, Ökonom, Glücksforscher und renommierter Professor der Züricher Universität, spricht ihnen aus dem Herzen. Er zieht gegen das Studium nach Punkten genauso zu Felde wie gegen die Ranking-Manie in der Wissenschaft. Und während sich die Studierenden überall in der Bundesrepublik zur nächsten großen Demonstration gegen den Bologna-Prozess sammeln, liefern ihnen Frey und Kollegen vor halbvollen Hörsälen eimerweise Argumente.

Die Universität Leipzig hat die Wissenschaftler anlässlich ihres 600. Geburtstages im Dezember zu einem dreitägigen Kongress auf ihren schick renovierten Campus einfliegen lassen hat. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie viel Ökonomie die Wissensgesellschaft braucht und wie viel sie davon verträgt.

Die Professoren sind recht einhellig der Meinung, dass ihre Domäne derzeit Überdosen Ökonomie verabreicht bekommt und dem Zugriff von Bürokraten, Politikern und Wirtschaftlern gefährlich nahe gerückt ist. Schuld daran ist ihrer Ansicht auch der Bologna-Prozess: jene Reform, die die europäischen Wissenschaftsminister 1999 im italienischen Bologna beschlossen haben. Danach sollen alle europäischen Hochschulen bis zum Jahr 2010 Teil eines riesigen Hochschulbetriebs werden - mit einem zweistufigen System von Studiengängen, Bachelor und Master und einheitlichen Abschlüssen.

Zehn Jahre danach ist der Rausch verflogen und Studierende und Lehrende zappeln im Sog von Bologna. Klaus Bente lehrt und forscht seit 1993 am Institut für Mineralogie in Leipzig. Er hält die ökonomische Absicht, die hinter der Bologna-Erklärung steckte - nämlich Europa zur größten Wissensökonomie der Welt zu entwickeln - für die Ursache, dass sich alles Forschen und Lehren "verstromlinienförmigt". Für seinen kleinen Fachbereich bedeutet es etwa, dass ähnlich wie in der Wirtschaft nur noch konkrete leicht zu realisierende Forschungsprojekte finanziert werden. "Das führt zur Stagnation von Erkenntnis, Wissen und Austausch."

Auch der Ökonom Frey rügt viele der unternehmerischen Elemente im Wissenschaftsbetrieb, etwa die Fixierung auf zählbare Resultate. Professoren, Fachbereiche und ganze Hochschulen werden nach Leistungen bewertet und entlohnt, um dann hintereinander platziert zu werden, also in Rankings. Die Kriterien, nach denen diese Rankings aufgestellt werden, seien jedoch höchst fragwürdig. So zählt bei Wissenschaftlern vor allem, wie viel Artikel sie in welchen Zeitschriften publiziert haben und wie oft sie zitiert werden. Nach dem Inhalt der Publikationen oder Zitate frage dagegen niemand. Auch Bücher seien unerheblich. "Man weiß von jedem Kollegen, welche Nummer er ist. Wenn die 1358 in den Raum tritt, dann hört man nicht mal mehr zu - ist ja nicht wichtig."

Seine jungen Doktoranden hätten dieses Prinzip der maximalen Verwertung bereits verinnerlicht. "Keiner schreibt mehr einen komplizierten Aufsatz, wieso auch? Heute reicht eine Idee für fünf Aufsätze, das ist ökonomisch rational."

"Das Hauptmotiv für die Einführung von Bachelor und Master war ein finanzielles. So sollte der Studentenansturm abgewendet werden, ohne dass viel mehr Geld ausgeben wird." Der das sagt, hat selber 12 Jahre Wissenschaftspolitik gemacht. Hans-Joachim Meyer war bis 2002 sächsischer Wissenschaftsminister. Als a. D. kann er es sich leisten, seine Kollegen und die Parteifreundin und amtierende Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) offen zu kritisieren: "Die Mängel bei der Umsetzung von Bachelor- und Master sind keine handwerklichen Fehler, wie Frau Schavan behauptet. Das ist ein Prozess, in den uns die Wissenschaftsminister hineingehetzt haben."

Doch haben nicht auch die Rektoren und Professoren versagt? "Immerhin sind wir der einzige Berufsstand, der zu 90 Prozent machen kann, was er will", meinte der ehemalige Präsident der Universität Oldenburg, Michael Daxner. Sein Emeritus-Kollege Rudolf Steinberg, ehemals Präsident der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, räumt ein, es gebe Spielräume, die man nicht genutzt hätte. "Wir hatten ja die Möglichkeit, auch vierjährige Bachelorstudiengänge anzubieten."

Die Antworten, wie man aus dem mitverschuldeten Dilemma wieder herauskommt, sind gegenüber den fulminanten Analysen mager. Weg mit den Exzellenzinitiativen, weg von Output-orientierten Rankings, feste Salärs für Professoren statt leistungsgerechter Entlohnung.

Außerhalb des Kongresses läuft dagegen der Studierbetrieb schon wieder in den normalen Gleisen - Richtung Bachelor oder Master. Das besetzte Rektorat hatten die Studierenden schon zu Monatsbeginn geräumt. Die Universitätsleitung hat versprochen, Bachelor- und Masterstudiengänge etwas besser zu organisieren. "Es gab keinen Grund, länger zu bleiben, unsere Forderungen wurden erfüllt", meint ein Politikstudent. Dann geht er in die Mensa.

HANS-JOACHIM MEYER

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.