Wettbewerb im Bildungswesen: Der Ausverkauf

Indem sie die Hochschulen dem Primat der Ökonomie unterwirft, beraubt sich die Gesellschaft ihrer Urteilsgrundlagen. Das gefährdet auch den demokratischen Diskurs. EINE MEINUNG VON MARTIN KAUL

Studenten haben am Dienstag das Rektoratsgebäude der Uni Bremen besetzt und protestieren so gegen den Kürzungsplan im Bildungsbereich. Bild: dpa

Die Lage ist unübersichtlich geworden. An den Hochschulen wird wie der Teufel reformiert. Es gibt, seit langem wieder, frisches Geld für die ausgezehrten Unis. Aber nicht für alle, das heißt über Elite-Wettbewerbe, Hochschulpakte und Studiengebühren. Gleichzeitig werden neue Bachelor- und Master-Studiengänge eingeführt und die Hochschulen einem verschärften Wettbewerb unterzogen. Um zu verstehen, was Uni heute ist, muss man streiten. Das soll 2008 auf der Bildungsseite geschehen, von Lesern und Interessierten. Wer mitmachen will: bitte maximal 6.000 Zeichen an: uniheute@taz.de

Nie seit den Bildungsreformen der 70er-Jahre hat Hochschulpolitik so tief greifende Veränderungen nach sich gezogen. Die Universitäten werden gegenwärtig durch und durch re-formiert - in Wahrheit handelt es sich um eine De-Formation des europäischen Hochschulwesens. Wir erleben eine Strukturverschiebung, die die Beziehung zwischen einer Gesellschaft und ihrem Wissen gänzlich neu gestaltet. Das muss nicht prinzipiell schlecht sein. Das Prinzip, das der sich wandelnden Hochschulwelt von heute und morgen zugrunde liegt, ist allerdings in fataler Weise ökonomisch.

Die institutionellen Ebenen des Hochschulwesens werden mehr und mehr dem Primat der Vermarktlichung unterworfen. Dabei ist es eine Kernaufgabe des Staates und der öffentlichen Ordnung, zu regeln, wie eine Gesellschaft mit ihrem Wissen umgeht. In Deutschland ist dieses Wissen im Verkauf begriffen. Und indem die Wissenschaft ökonomisiert wird, wird das eigentlich Wissenswerte in ihr gleich mitverkauft.

Das Delikate an dieser Entwicklung ist: Einfache Schuldige sind so einfach nicht dingfest zu machen - wie in so vielen gegenwärtigen Prozessen. Denn die Etablierung eines radikalen Wissensmarktes greift auf verschiedensten Ebenen ineinander: Auf internationaler Ebene haben die Welthandelsregime mit den Gats-Verhandlungen schon lange begonnen zu überlegen, wie der Bildungssektor endlich zum Dienstleistungsbereich vermarktlicht werden kann. Die Regeln, nach denen die Ware Bildung dann gehandelt wird, verhandeln die Marktführer, die über die profitabelsten Unternehmen in der Wissensproduktion verfügen: die USA und die EU. Heute gibt es schon zahlreiche Unis, die über Zweigstellen im Ausland verfügen - oder zumindest expandieren wollen. Es bedarf keiner Weisheit, um abzusehen, dass staatliche "Subvention" von Bildung irgendwann als "handelsverzerrende Maßnahme" durchgehen darf - und abgeschafft werden muss. Im Umweltschutz und anderen Bereichen ein bekanntes Phänomen.

Parallel dazu läuft der sogenannte Bologna-Prozess. Das ist formell die Stufung des Studiums in Bachelor- und Masterportionen auf europäischer Ebene. Aber auch darunter liegt die Handelbarkeit von Wissenseinheiten. Durch kleine Wissensmodule, die schon heute einem europäischen "Credit System" entsprechen, lässt sich die Ware Bildung zahlenmäßig erfassen. Der Kant ist heute 7 Credits wert, erhältlich im Online-Shop der Uni: Zur Buchung von Kursen verfügen die meisten Hochschulen längst über Software mit digitalen Warenkörben. Just buy it.

Dass genau diese Rahmenprämissen auf deutscher Ebene so mannigfaltige Umsetzung finden, das sichern die "Wettbewerbsbedingungen": Bayern tritt im föderalen Schaulauf gegen (!) Baden-Württemberg an, Karlsruhe im "Exzellenzwettbewerb" gegen Berlin und die soziologische Fakultät gegen die philosophische: Um von inneruniversitären "Optimierungsplänen" verschont zu bleiben, optimiert sich die Wissenschaft vorsorglich selbst. Die vermeintliche Optimierung heißt Ökonomisierung. Forschungsergebnisse und Studienleistungen - natürlich? - werden zahlenmäßig erfasst, gerankt und vergleichbar gemacht. Und auch die Uni wird von Wettbewerbsdenken und Konkurrenzlogik durchdrungen. Die Höhe der Drittmittelzuwendungen - das heißt: wie viel Geld ein Professor beschaffen kann - ist längst eines der wichtigsten Kriterien bei der Bemessung von "Leistung" und viel entscheidender bei der Vergabe von Professuren und damit der Gestaltung von Lehre.

Wer hat das Kleingeld?

Es ist nicht sonderlich überraschend, dass das zu Verwertende, nennen wir es Wissenschaft, dabei natürlich dem Verwertenden gerecht werden muss, dass also die Forschungsergebnisse ihren Wert für die Auftraggeber haben müssen. Doch wünscht nicht der Bayer-Konzern eine andere Regionalanalyse als etwa Medico International? Und wer verfügt eigentlich über das nötige Kleingeld, um genehme Forschungsantworten zu kaufen?

Das radikale Wettbewerbsprinzip erfasst nicht allein die Hochschullandschaft, es reißt auch die Studierenden in die konsequente Vermarktlichung des Hochschulsektors mit hinein. Ihre Rolle in der Ökonomisierung des Bildungsmarktes und ihr Verhältnis zu der neuen Ware Bildung wird in der sehr gängigen Sprachwendung eines "Wettbewerbs um die besten Köpfe" anschaulich. Während es zuvor einen - zwar nie konsequent eingelösten - Anspruch der Individuen auf die Wahlfreiheit ihres Studienfaches und -ortes gab, kommt heute den Unis das Recht zu, sich selbst für "die Besten" zu entscheiden. Die Perspektive hat sich verdreht: Statt das Recht des Einzelnen gegen den Staat und seine Institutionen wird in der öffentlichen Debatte das Recht der Unis gegen die Einzelnen als selbstverständlich deklariert: Die Universitäten müssten bestimmen dürfen, wer mitmacht und wer nicht.

Ermöglicht wird dies durch ein Prinzip funktionierender Märkte: Bei der Vermarktung des Hochschulwesens ist es essenziell, dass zum Werterhalt die Ressource Bildung, mit der gehandelt wird, begrenzt werden muss. Eine "Exzellenz"-Initiative, die nur einige wenige befördert, unterliegt genau dem Prinzip der Ressourcenbeschränkung. Ein Prinzip, das gar nicht sein müsste, aber grundlegend ist für "gesunden" Wettbewerb. Die Etablierung von angeblichen Selbstverständlichkeiten wie etwa der gesellschaftlichen Notwendigkeit von "Eliten" legitimiert genau diesen Prozess. Im Ergebnis ist dafür gesorgt, dass Studierende bereits vor Beginn ihrs Studiums in Wettbewerb treten: Anfänglich, wenn es darum geht, überhaupt einen Studienplatz zu bekommen - überall in Deutschland grassiert der lokale Numerus clausus. Später, wenn es darum geht, ob im oder nur noch vor dem Hörsaal Platz zur Bedürfnisbefriedigung ist.

Dieser auf verschiedenen Ebenen begünstigte und durch leere öffentliche Kassen beschleunigte und legitimierte Wettbewerbswahn wirkt sich nicht nur auf das Studium, sondern auch auf die Forschung in fataler Weise aus. Denn der Wettbewerb um die Köpfe bezieht sich keineswegs nur auf ein paar exzellente Studis, die wie fleißige Bienchen an die blumigsten Unis gelockt werden sollen. Er bezieht sich auch und vor allem auf die Frage, woraus all die vielen Köpfe ganz jenseits der Universitäten, eine ganze Gesellschaft also, zukünftig ihr Denken und ihre Urteilskraft nähren.

Wer gibt die Antworten?

Konkurrenz, Wettbewerb, Verwertlichung, Verwertbarkeit und Ressourcenbeschränkung sind die Grundlagen, auf denen das Hochschulwesen fußt. Doch wo das Prinzip der Wissensvermittlung - und, wichtiger noch: das Prinzip der Wissenserschließung - auf marktförmigen Ordnungsgrundlagen beruht, geht das eigentlich Wissenswerte verloren: die fundierten, reflektierten und unabhängigen Antworten auf unabhängige Fragen.

Der Umgang einer Gesellschaft mit ihren Bildungsressourcen ist immer die Grundlage ihrer eigenen Perspektive. Wenn jedoch die sozial- und naturwissenschaftlichen Kenntniswelten ihren Wert nur noch aufgrund ihrer Verwertbarkeit erhalten, dann werden einer demokratischen Auseinandersetzung mit sich selbst die Grundlagen entzogen. Weil unbequeme Antworten ausbleiben. Die sogenannten Reformen des deutschen und europäischen Wissensregimes schreiten genau diesem Ende entgegen.

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