Iglu-Lesetest für Grundschüler: Deutsche Kinder lesen gut und gern

Egal ob Thüringen oder Schleswig-Holstein: in allen Bundesländern lesen deutsche Grundschüler besser als der internationale Durchschnitt. Nach der Grundschule sinkt die Motivation.

Liest gerne und wahrscheinlich auch gut: Grundschüler. Bild: dpa

Lesen macht Spaß. Die große Mehrheit der Viertklässler von Kiel bis München liest in der Freizeit und zum Vergnügen Bücher. "Am Ende ihrer Grundschulzeit sind die meisten Schüler hochmotiviert", lobt Wilfried Bos vom Institut für Schulentwicklungsforschung in Dortmund. Und auch sonst habe die Grundschule ihre Hausaufgaben gemacht, stellte der Schulforscher am Dienstag befriedigt fest. Zusammen mit der Kultusministerkonferenz präsentierte er in Berlin den Bundesländervergleich der Grundschul-Lese-Untersuchung Iglu.

"Es gelingt der Grundschule, Kinder auf ein hohes Niveau zu heben und gleichzeitig zusammenzuhalten", sagte Bos. Beim Lesen von Texten und Büchern liegen Grundschüler in fast allen Bundesländern über dem OECD-Mittelwert. Damit schneiden die Kleinen in der Schlüsselkompetenz Lesen international viel besser ab als deutsche Neuntklässler. Deren Leseleistungen lagen laut der im November vorgestellten Pisa-E-Studie in fast allen Bundesländern auf oder unter dem internationalen Durchschnitt.

Auch beim Mathe-Test für 10-Jährige sind deutsche Grundschüler überdurchschnittlich gut. In der ebenfalls am Dienstag vorgestellten internationalen Timss-Studie landet Deutschland auf Platz 12 von 40.

Um die Lesekompetenz der Grundschüler zu messen, hatten WissenschaftlerInnen Lesetests von rund 8.000 Viertklässlern aus allen Bundesländern ausgewertet. Die Schüler lasen dazu 2006 im Rahmen der Internationalen Iglu-Studie literarische und informative Texte. Gemessen wurde, wie viel die Schüler vom Gelesenen verstanden - vom einfachen Wiedererkennen von Wörtern auf Niveau 1 bis zum Abstrahieren auf Niveau 5.

Spitzenreiter in der bundesweiten Lesehitliste ist Thüringen. Hier ist die Gruppe der schwachen Leser am kleinsten und überdurchschnittlich viele Schüler erreichen das höchste Leselevel.

Als schwache Leser gelten Schüler, die laut Bos, "nicht mehr als einfachste Informationen aus Texten entnehmen können." Ein besonders hoher Anteil wohnt in den Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin. Hier ist jeder vierte bis fünfte Grundschüler nicht in der Lage, die relevanten Informationen in einem Text zu finden. Alle drei Städte sind auch bundesweit Schlusslichter, befinden sich aber international in guter Gesellschaft, tröstete Bos: "Immerhin liegt Bremen noch auf Höhe von Frankreich und im OECD-Schnitt." Der Unterschied zum Spitzenreiter Thüringen entspricht etwa dem Lernfortschritt eines Schuljahres. Beim Pisa-Vergleich der Neuntklässler lagen zwischen Spitzenreiter Sachsen und Bremen im Schnitt bereits zweieinhalb Schuljahre Wissensfortschritt.

Das bundesdeutsche Mittelfeld ist bei Iglu breit und ausgeglichen. Insofern konnten sich die Kultusminister aus CDU- und SPD-regierten Ländern gemeinsam freuen. Die rheinland-pfälzischen Bildungsministerin Doris Ahnen (SPD) wertete das kollektiv gute Abschneiden der Grundschüler als Beleg dafür, dass auch in heterogenen Lerngruppen gute Ergebnisse erzielt werden könnten. Sachsen-Anhalts parteiloser Kultusminister Hendrik Olbertz warnte allerdings davor, dass das gute Abschneiden der Leistungsschwächeren auf Kosten der Spitzengruppe gehen könnte. Im Vergleich zu Singapur etwa schafften nur halb so viele Schüler in Deutschland den Sprung in die Lese-Oberliga, nämlich jeder zehnte.

Deutliche und überproportional große Unterschiede gibt es in allen Ländern zwischen Kindern aus bildungsnahen und bildungsfernen Familien. In Berlin und Hamburg liegen Kinder aus bildungsfernen Familien bis zu eineinhalb Schuljahren zurück. Allein in Bayern ist die Kopplung von sozialer Herkunft und Leseleistung mit gerade einmal einem halben Schuljahr unterdurchschnittlich gering.

Doch gelingt es in Bayern ebenso schlecht wie im Rest von Deutschland, Kinder, deren Herkunftssprache nicht Deutsch ist, zu fördern. Ein Migrationshintergrund hat laut Bericht "einen signifikant negativen Effekt auf auf das Leseverständnis". Die Unterschiede zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund entsprechen in den westlichen Flächenländern und in den Stadtstaaten etwa dem Leistungsunterschied zwischen Klasse 3 und Klasse 4. "Diese Differenzen sind auch international weltmeisterlich hoch", urteilt Schulforscher Bos. Beim Übergang in die Sekundarstufe I und damit ins gegliederte Schulsystem spitzten sich die Unterschiede sogar noch zu. Nach der Grundschule nehme die Lesefreude und die Motivation der Schüler deutlich ab, beobachteten Bos und die Iglu-Forscher.

Die stellvertretende Vorsitzende der Lehrergewerkschaft GEW, Marianne Demmer, plädiert deshalb fürs Abgucken: "Bei den Grundschulen kann man lernen, dass man eine frühe Auslese unter den Schülern nicht braucht", sagte sie der taz.

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