Globalisierung der Universitäten: Deutschland im "war for talents"

Wenn deutsche Universitäten in China oder anderswo um Studenten buhlen, dann wirbt das Auswärtige Amt mit. Es bestimmt zunehmend wohin die Reise der Studentenwerber geht.

Chinesische Studenten in Mageburg beim Deutschunterricht. Bild: dpa

PEKING, SCHANGHAI, BERLIN taz So sieht es aus, wenn die Zukunft auf die Zukunft wartet: Eng aneinander stehen sie gepresst, in dichten Reihen, flankiert von rotem Absperrband und steifen Sicherheitsbeamten. Es ist ein Sonntagmorgen und Bildungsmesse in Peking. Die größte im Jahr, die internationalste hier. Junge Chinesinnen und Chinesen, hunderte, warten geduldig auf Einlass vor dem World Trade Center. Sie blicken nach vorn. Denn hinter dem engen gläsernen Tor erwartet die Welt die Zukunft. Und vielleicht wartet auf dem roten Teppich der Messehalle jemand auf sie. In dieser Schlange, so heißt es, stehen die Köpfe, um die die Welt sich reißt.

Bao*, 22, ist einer von ihnen. "Ich bewundere es, dass sie in Deutschland Mercedes-Autos als Taxis benutzen", sagt er. Das passt in eine Welt, die neu ist. Sie wird hier gemacht, in China. Weil China ein Markt mit Zukunft ist, buhlen deutsche Universitäten um junge ChinesInnen. 27.000 sind derzeit in Deutschland, die größte Gruppe ausländischer Studierender. Und es sollen mehr werden.

Ortswechsel. In Berlin am Werderschen Markt waltet Deutschlands Außenminister seines Amtes. Und seit der Frank-Walter Steinmeier (SPD) heißt, interessiert in diesem stolzen Gebäude, was auf Hochschulmessen in China, Indien, in Russland, Saudi-Arabien und Brasilien passiert. Wenn Steinmeier ins Ausland reist, dann nimmt er zu den Treffen mit den Mächtigen der Welt gern Wissenschaftler mit. Vorbereitet wird das hier, am Ende eines langen Flures, wo Thomas Götz sein Büro hat.

"Wir identifizieren aktiv Schlüsselregionen, in denen wir das Engagement deutscher Hochschulen zu praxisrelevanten Zukunftsthemen gezielt fördern", sagt Götz. Der internationale Bildungsmarkt sei enorm dynamisch. "Deshalb flankieren wir das internationale Engagement der Hochschulen mit einer koordinierten Außenwissenschaftspolitik", sagt er. Außenwissenschaftspolitik, der umständliche Terminus entsteht, wenn Außenpolitik auf Wissenschaft trifft. Das heißt: Der Kampf um internationale Wissensressourcen ist Chefsache geworden. Denn im globalen Wettbewerb wird die Ware Bildung zum harten Wirtschaftsfaktum.

Wer Belege hierfür sucht, muss sich nur den Gründungsboom internationaler Universitäten ansehen - zum Beispiel im arabischen Raum. Wenn dort einmal das Öl ausgeht, soll Wissen der rettende Rohstoff sein. König Abdullah von Saudi-Arabien gibt derzeit 12,5 Milliarden Euro für eine einzige internationale Elite-Uni aus - mehr als das Sechsfache dessen, was Deutschland an seine Elite-Unis verteilt. In Dubai entsteht ein Knowledge Village mit Dutzenden Außenposten internationaler Schulen und Universitäten, in Doha eine Education City.

Auch deutsche Unis nehmen an diesem Boom teil. Im September 2007 etwa gründete die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) Aachen in Oman eine Tochter ihrer Universität. Die Omani German University of Technology steht in der Hauptstadt Maskat des aufgeklärten Sultanats. Die Aachener bringen ihr anerkanntes Ingenieurs-Know-how ein, das Geld kommt von den Omanis - und den Studenten. Deutsche Unis unterhalten weltweit Repräsentanzen. In Peking etwa haben unter anderen die RWTH Aachen, die Freie Universität Berlin, die Uni Konstanz sowie die Friedrich-Schiller-Universität Jena ständige Vertretungen.

Derweil stürmen in Peking ungeduldige Chinesen die Hochschulmesse. Liang, 20, hat alle deutschen Stände abgeklappert. Er kennt Schopenhauer, Kant, das Brauhaus - und "german attitudes wie die Moral". Nur einen Studiengang hat er noch nicht gefunden. "Aber ich bin sicher, dass ich fündig werde. Jetzt suche ich im Internet, ich will nach Deutschland." Cheng, 44, hat selbst in Deutschland studiert. Jetzt ist er auf der Suche nach einer Zukunft für seinen Sohn. Der ist 20, und Cheng hat ihn gar nicht mitgenommen. Financial Business oder Management soll Chengs Sohn studieren. "Geld spielt keine Rolle." Warum in Deutschland? "Die Kultur ist gut und das deutsche System ist gut", sagt Cheng.

Auf dem Weltmarkt für Bildung geht es freilich längst nicht nur um ein paar mehr zufriedene Studierende. Es geht um einen Markt mit geostrategischer Bedeutung. Deutsche Unternehmen halten, wie jüngst in Berlin, Konferenzen mit dem Titel "War for talents" ab, die Jagd nach den besten Mitarbeitern hat längst begonnen. "Wir wollen die besten Köpfe an Deutschland binden - und zwar vom Kindergarten bis zum Studienabschluss", sagt Steinmeiers Beamter Götz. Man müsse darauf achten, ergänzt in Peking ein Wissenschaftsdiplomat mit Blick auf China, "dass die internationalen Führungskräfte von morgen ihre Loyalitäten zukünftig nicht ungünstig verteilen."

Das Thema heißt kulturelle Vorherrschaften. Studenten sollen Türöffner in andere Welten sein. Michael Kurth lebt davon. Er ist Geschäftsführer der Carl Benz School in Karlsruhe, einer privaten Ausgründung der Elite-Uni Karlsruhe. Er wird bezahlt dafür, dass er für deutsche Unternehmen die richtigen Leute findet, um diese bei sich auszubilden. 35 Studierende beginnen bei ihm jährlich ihr Bachelor-Studium Mechanical Engineering. Oft zahlen die Unternehmen deren Studium und mehr, bis zu 20.000 Euro jährlich. Der Deal: Die Studis wissen schon vor dem Studium, für wen sie hinterher arbeiten, als Brückenköpfe in den Heimatländern. Nur eines dürfen sie sich nicht leisten: Illyoalität. Deshalb ist Kurth in China auf der Suche nach High Potentials. Es ist Sonntagmorgen und Bildungsmesse in Peking. Kurth steht am Stand und wartet auf die Zukunft.

Gerade in natur- und technikwissenschaftlichen Fächern mangelt es an AbsolventInnen. Deutschland leidet unter einem dramatischen Akademiker- und Ingenieursmangel. Den Unis droht ein Forscherschwund. Doch mit der neuen Offenheit für ausländische Hochqualifizierte wird auch der Graubereich der Internationalisierung größer. Denn sie passt, paradoxerweise, recht gut zum Nationalen.

Wie gut, das zeigt der Name Georg Schütte. Schütte ist Generalsekretär der Alexander von Humboldt-Stiftung in Bonn, einer Stiftung der Bundesregierung zur Förderung der internationalen Forschungszusammenarbeit. Schütte ist einer der Spin-Doktoren des neuen deutschen Hochschulsystems. Er kämpft für eine Mission. "Auseinandersetzungen, die unter anderem auch kulturell begründet sind oder legitimiert sowie terroristisch und militärisch eskaliert werden", so Schütte, "bedürfen der Ausübung von sanfter Macht, teilweise als Alternative, teilweise in Ergänzung zu harter Macht." Und diese sanfte Macht liegt unter anderem bei den Universitäten. Was Schütte will, ist, dass Deutschland endlich offensiv eine neue Politik betreibt: Außenwissenschaftspolitik. In seinem Buch "Wettlauf ums Wissen", aus dem das Zitat stammt, haben auch Außenminister Steinmeier und Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) mitgeschrieben.

Aber der strategische Einsatz von Wissenschaftsförderung ist längst nicht mehr nur trockenes Buchwissen. Johann Gerlach ist Präsident der Deutsch-Kasachischen Universität (DKU) in Almaty, einer kasachischen Stadt in der Nähe zu Kirgisien und China. Gerlach ist mit einem stolzen Geldzuschuss gesegnet. Millionen hat das Außenministerium seiner armen Universität kurzfristig zugesichert, wenn sie schleunigst ein Wasserzentrum einrichtet - denn in seiner Zentralasienstrategie setzt das Auswärtige Amt auf die Förderung von effektiver Wasserwirtschaft in der Region. "Wenn Politik Prioritäten setzt, dann gibt es plötzlich auch Geld dafür", sagt Gerlach. "Manchmal sogar so viel, dass es schwer wird, es seriös auszugeben." 450.000 Euro hat seine Uni allein für dieses Haushaltsjahr bekommen. Jetzt muss gehandelt werden - und zwar so, "dass wir nicht vergessen dürfen, den Lehrbetrieb aufrechtzuerhalten", sagt Gerlach.

Gerlach war früher Präsident der FU Berlin. Heute ist er Vorstandsmitglied des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) und Chef der Almaty-Uni. Er ist nicht undankbar über das Geld. Und doch verwundert es ein bisschen, wie sich der Geldfluss an die Unis verändert hat. Weil deren grundständige Finanzierung immer geringer wird, ist Programmforschung immer wichtiger. Das heißt: Zunehmend bestimmen Geldgeber von außen, wohin das Geld fließt. Einer der Geldgeber ist der Staat. Doch statt wie früher breit zu finanzieren, investiert er heute zielgenau - in Eliten.

An einem kleinen Tisch auf der Schanghaier Bildungsmesse steht Reinhard Höpfl und wirbt um Studenten. Er ist Präsident der Hochschule Deggendorf, einer Mini-Uni mit etwa 3.000 Studierenden, die sich im Wettbewerb der Mittel nun auch behaupten muss. Deggendorfs Forscher können Linsen so fein polieren, dass man sie für Satelliten gut gebrauchen kann. Um Erdverschiebungen zu messen, um frühzeitig Tsunamis zu erkennen. "Ganz im Sinne der Humanität", sagt Höpfl. Neulich war Kanzlerin Merkel zu Besuch und hat sich die Deggendorfer Linsen angeschaut. Und die sind auch in Afghanistan zu gebrauchen, in einem geostrategischen Krieg mit hochentwickelten Waffensystemen. "Das ist das Paradoxe an unserem Job", sagt Höpfl. "Die Wissenschaft ist natürlich immer in Gefahr, zum Falschen instrumentalisiert zu werden."

Für Deggendorf ist Afghanistan eine Chance. Seit er gehört hat, dass das Verteidigungsministerium einen neuen Forschungsauftrag ausschreiben will, kämpft Höpfl darum, dass seine Labore in die zukunftsträchtige Forschungsarbeit eingebunden werden. "Im Zweifel vertrauen wir eben darauf, mit Deutschland auf der richtigen Seite zu stehen."

*Alle Namen der chinesischen Studienbewerber geändert

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