Studie über "Glückshormon": Die Biochemie der Angst

Der als "Glückshormon" bezeichnete Botenstoff Serotonin und sein Mangel werden enträtselt: Depressionen und Ängstlichkeit sind zwar angeboren, aber nur zu etwa fünf Prozent.

Ein ausgeglichener Lebenswandel kann bei genetischer Vorbelastung vor Depressionen schützen. Bild: dpa

Das Kind, mit drei Jahren mitten in der Prägungsphase, fährt vor Schreck zusammen. Der Mund öffnet sich, die Augen sind weit aufgerissen, der Atem stockt. Der kleine Körper ist wie erstarrt. Das Kind versteht nicht, aber es fühlt. Angst. Für Sekundenbruchteile scheint die Welt nicht mehr zu existieren. Diese kurze Zeitspanne wird das Unterbewusstsein des Kindes nie mehr vergessen. Aber wie stark der junge Mensch auf Angstreize reagiert und welche Folgen seine eigene Reaktion für seine künftige Entwicklung hat, hängt laut Forschern wie dem in der Psychologie der TU Dresden tätigen Burkhard Brocke von vielem ab. Unter anderem von einem Gen.

Brocke widmet sich seit 1998 dem Einfluss genetischer Faktoren auf Emotionen. Er begann beim Neugierverhalten und ist mittlerweile bei der Angst angekommen. Angst - ein wichtiges, gar nicht mal nur negativ besetztes Gefühl. Brocke: "Man kann relativ angstlose Mäuse züchten, aber die sind nicht besonders lebensfähig." Denn beispielsweise bei einem Knall angstvoll wegzulaufen und gleichzeitig reflexhaft zu überlegen, ob die Bedrohung, die das Geräusch verkündet, eine ernst zu nehmende ist, gehört zum Grundrepertoire der Überlebenskunst. Bei Mäusen und Menschen. Angst als sinnvolles Warnsignal, das nicht fehlen darf.

Nimmt sie aber überhand, ist sie eine Gefahr. Ein von Angst und Depression geprägtes Leben ist eines der furchtbarsten. Und auch wenn viele im Laufe ihres Lebens mindestens eine depressive Verstimmung gut überstehen - mit der manifesten depressiven Erkrankung, die wie eine seelische Komplettlähmung anmutet, ist nicht zu spaßen. Der Urknall der Angst verkehrt sich dann in eine Implosion aus Fühllosigkeit. Wachen und Schlafen, Glück und Unglück, Lust und Unlust verschwimmen zu einheitlichem Grauen. Solche biochemische Tristesse im Hirn kann suizidauslösend sein.

Eine große Rolle bei der Verstoffwechselung der Gefühle und Triebe spielt das Hormon Serotonin. Es ist ein Neurotransmitter, wirkt also als Botenstoff zwischen den Nervenzellen (Neuronen) und gilt als "Glückshormon". Das ist laut Brocke zwar nicht ganz falsch, aber nur die halbe Wahrheit: Serotonin hat viele verschiedene komplexe Funktionen im Organismus. Die Erzeugung des Gefühls der ruhigen Zufriedenheit - nicht etwa des Rauschs oder der Euphorie - ist nur eine.

Zunächst wirkt Serotonin ganz simpel gefäßverengend. Aber es ist auch für die Körpertemperatur und zur Reproduktion von Zellen, etwa der Leberzellen, wichtig. Schlaf und Hunger, Libido und Sexualtrieb sind serotoninabhängig; eine gute Verdauung und ein ausgeglichenes Gemüt beruhen auf Serotonin. Problematisch sind die Mangelsymptome: Vom Reizdarm mit Schwindel, Durchfall und Zittern über Migräne bis zur Depression mit Angstattacken, Schlaf- und Essstörungen, aber auch aggressiven Verhaltensmustern reichen die dem Serotoninmangel zugeschriebenen Krankheitsbilder.

Bei bestimmten seelischen Krankheiten, und zwar den unipolaren Depressionen - also jenen ohne manische Phasen - werden seit den 1970er- und 1980er-Jahren Medikamente verabreicht, die den Serotoninspiegel heben. Am bekanntesten: Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer wie Prozac und Fluctin. Sie blockieren die Resorption des Serotonins durch die Neuronen: Die Serotoninmenge im "synaptischen Spalt" zwischen den Nervenzellen wächst. Eine positive Wirkung beim Patienten zeigt sich erst nach zehn bis vierzehn Tagen. Der zweite Effekt der Medikation tritt dann ganz allmählich ein: Die Rezeptoren sollen sich so verändern, dass das gesamte Serotoninsystem in Schwung kommt. Bei Jugendlichen sollten solche Mittel aber nicht ohne weiteres eingesetzt werden. Hier werden, so zitiert Brocke fremde Studien, Risiken für das noch in der Entwicklung befindliche Gehirn angenommen, die bis zur lebenslang erhöhten Anfälligkeit für Depressionen gehen könnten. "Von Placebos kann man also nicht gerade sprechen", meint Brocke.

Auch eine zweite Arzneigruppe, die bei mutmaßlich durch Serotoninmangel bedingten Depressionen indiziert ist, setzt auf Blockierung: Die MAO-Inhibitors (Monoaminoxidase-Hemmer), bekannt seit den 1950er-Jahren, verhindern die Zerlegung des Serotonins.

Das Serotonin direkt oral einzunehmen, nützt übrigens nichts: Vom Magen aus gelangt es nie ins Gehirn, aber dort muss es hin. Dort weist man auch Veränderungen nach: In Dresden werden mittels Magnetresonanztomografie (MRT) neuronale Prozesse der Angstverarbeitung untersucht.

Bei Letzterer spielt ein Gen eine besondere Rolle. Es wird seit Mitte der 1990er-Jahre als genetische Grundlage des Angstverhaltens untersucht: das Serotonin-Transporter-Gen. Tatsächlich findet man seinen unterschiedlichen Varianten entsprechend unterschiedliche Grade der Ängstlichkeit und der Depressionsanfälligkeit. Der Einfluss der Genvarianten auf die Angstbewältigung wird in Dresden, kooperativ mit Wiener Wissenschaftlern, mit dem sogenannten Genetic Imaging untersucht. Denn Träger einer bestimmten Genvariante reagieren viel heftiger als andere auf Angstbilder. Entsprechend sendet bei ihnen die Amygdala, eine Angst verarbeitende Region im Gehirn, sehr starke Signale. Mittels MRT wird das sichtbar.

Der Mensch, ein Produkt aus genetisch bedingten Schaltkreisen? Burkhard Brocke weist solche derzeit modischen Radikalfolgerungen von sich: "Der Anteil des Verhaltens, das durch so eine genetische Disposition beeinflusst ist - nicht determiniert - beträgt etwa 5 Prozent." Die restlichen 95 Prozent seien durch andere, auch andere genetische Faktoren sowie durch soziale Aspekte bedingt. Daher gelte: "Wenn die Umwelt klasse ist, die Lebenssituation stimmt und keine Schicksalsschläge stören, ist die Prognose auch mit angeborener Neigung zur Depression noch gut."

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