Wissenschaftsratschef Strohschneider: "Die Proteste sind berechtigt"

Finanzierung, Zeitvorgaben, Auslandssemester - in der Hochschulpolitik läuft vieles falsch, meint der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Peter Strohschneider.

"Ich bin nicht gegen erweiterte Beteiligungen der Studierenden": Demonstration in Mainz. Bild: dpa

taz: Herr Strohschneider, zum zweiten Mal in diesem Jahr gehen tausende Studierende für ein besseres Bildungssystem auf die Straße. Was läuft falsch?

Peter Strohschneider: Die Finanzierung läuft falsch. Und das Bachelor/Master-System ist zu vollgepackt - inhaltlich, zeitlich und strukturell.

Die Proteste sind berechtigt?

Ja. Die Politik hat vorgegeben, dass ein Bachelor nur sechs Semester dauern darf. Danach soll der Student fertig für den Arbeitsmarkt sein. Das wird weder den Belangen vieler Fächer noch den akademischen Ansprüchen eines Studiums gerecht, weil es intellektuelle Freiräume der Studierenden zu sehr einschränkt.

Hat man zu sehr auf die Verkürzung geachtet?

Ja. Es leuchtet mir nicht ein, alle Fächer von Tourismuswirtschaft über Medizin bis zur Philosophie gleich anzulegen.

Die Studierenden fordern auch einen leichteren Zugang zum Master. Es gibt Zahlen, nach denen nur 40 Prozent der Bachelor-Studenten auch einen Masterplatz bekommen könnten.

Das ist in der Tat zu wenig. Allerdings besteht das Problem etwa in den Geistes- und Sozialwissenschaften schon lange. Dort studieren seit den Sechzigerjahren wesentlich mehr Leute, als wir Studienplätze haben.

Die Anzahl der Studierenden, die ein Auslandssemester einlegen, geht zurück, nicht zuletzt eine Folge des Bachelor-Systems. Wird die Idee des gemeinsamen europäischen Studienraumes konterkariert?

Die Erhöhung der Mobilität war eines der zentralen Ziele des Bologna-Prozesses. Das hat bislang nicht funktioniert. Jetzt muss man in die Details gehen, um Abhilfe zu schaffen.

Ist die Bologna-Reform überhaupt noch zu retten?

Die Reform ist nicht flächendeckend gescheitert. Die Grundstruktur mit den zwei Phasen ist vernünftig. Das sollte man nicht wieder aufgeben. Eine radikale Reform der Reform würde auch die Universitäten überfordern.

Verbände, Politik und Wissenschaft unterstützen die Proteste. Warum passiert am Ende dennoch nichts?

Zumindest in der Wissenschaftspolitik wurde in den vergangenen Jahren einiges getan. Auch haben die Studierenden mit ihrem Streik im Sommer überraschend schnell Wirkung erzielt. Anfang Oktober hat die Kultusministerkonferenz einen Katalog mit Vorschlägen verabschiedet, wie die Studienbedingungen verbessert werden können. Wir haben im Wissenschaftsrat übrigens in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Empfehlungen abgegeben. Auch zu der Frage der mangelnden Finanzierung. In der Finanzkrise ist dieses der Kern der Auseinandersetzung.

Die Studierenden fordern mehr Demokratie an den Hochschulen. Haben sie recht?

Ich bin nicht gegen erweiterte Beteiligungen der Studierenden. Aber man muss auch sehen, dass die Universität wissenschaftlicher Wahrheit verpflichtet ist und dass sie sich in dieser Hinsicht der Logik demokratischer Entscheidungen entzieht.

Ist Bildungspolitik ein Thema, das bis zu einer Wahl beliebt ist - und danach nicht mehr?

Zu häufig folgen auf Sonntagsreden Alltagshaushalte. Allerdings hat Bildungspolitik in den letzten Jahren an öffentlichem Stellenwert gewonnen. Das ist ein großer Erfolg und muss sich fortsetzen.

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