Einlagerung von Nabelschnurblut: Ein kaltblütiges Geschäft

Zehntausende Deutsche lassen das Nabelschnurblut ihrer Kinder einfrieren, um mit den Stammzellen später etwa Leukämie heilen zu können. Experten halten das für fragwürdig.

Immer beliebter bei den Deutschen: Nabelschnurblut-Einlagerung. Bild: dpa

Für ihre Kinder legen manche Eltern zur Geburt ein paar tausend Euro auf ein Sparbuch. Andere investieren in einen Fonds, mit dem sich der Nachwuchs später das Studium finanzieren kann. N.N.*, 40, hat für ihren Uwe etwas anderes angelegt: eine Art Lebensversicherung – zumindest glaubt das die Mutter.

Als ihr Sohn vor dreieinhalb Jahren in der Berliner Charité zur Welt kam, ließ N. direkt nach der Geburt rund 100 Milliliter Blut aus der Nabelschnur abzapfen. Ein Kurier brachte den Beutel nach Leipzig, wo das Blut seitdem bei minus 196 Grad in einem Stickstofftank lagert. Die Hoffnung: Sollte Uwe, wie N. den Kleinen nennt, eines Tages schwer erkranken – etwa an Leukämie -, können die in seinem gefrorenen Blut enthaltenen Stammzellen ihn heilen. „Ich hoffe natürlich, dass wir das nie brauchen werden“, sagt N., die von Beruf Ingenieurin ist. „Uwe ist kerngesund.“ Doch das Krebsrisiko in der Familie sei nun mal hoch. Eine vermeintlich höhere Heilungschance für den etwaigen Ernstfall lässt sie sich deshalb etwas kosten: 2.000 Euro für 20 Jahre Einlagerung. „Ich fühle mich so sicherer“, sagt N..

Mit diesem umstrittenen Schritt ist N. alles andere als allein. Der spanische Kronprinz Felipe und seine Frau Letizia Ortiz ließen das Blut ihrer Tochter Leonor von der US-Firma Cord Blood Registry einfrieren. Auch zahlreiche Promis und Halbpromis in Deutschland bekennen sich öffentlich dazu, Nabelschnurblut für ihre Kinder bei kommerziellen Anbietern lagern zu lassen: Extagesschausprecherin Susan Stahnke etwa. Exskifahrerin Martina Ertl-Renz. Der ehemalige Fußballprofi Thomas Helmer und seine Frau Yasmina Filali. Oder auch die Schauspielerin Mariella Ahrens und ihr Mann Graf Patrick von Faber-Castell.

Das Business mit dem Nabelschnurblut boomt in Deutschland. In den Frauenarztpraxen der Republik stapeln sich die Broschüren von Unternehmen wie Vita 34, Basic Cell, Eticur oder Cryo-Care. Nicht nur Leukämie, auch andere Krankheiten wie Diabetes, Alzheimer oder Multiple Sklerose sollen die Stammzellen aus dem Nabelschnurblut heilen können, heißt es in den Werbebroschüren – und wenn nicht heute, so zumindest in der nahen Zukunft. Schöne neue Stammzellwelt: Sogar Herzklappen, Blutgefäße und ganze Organe sollen sich bald schon züchten lassen. „Nabelschnurblut kann ihr Kind ein Leben lang schützen“, verkündet das Leipziger Unternehmen Vita 34, Marktführer unter den kommerziellen Stammzellbanken in Deutschland. Seit der Gründung vor elf Jahren ließen rund 45.000 Kunden dort das Blut ihrer Kinder einfrieren – eine davon ist Uwes Mutter N.N..

Fachleute sehen die medizinischen Möglichkeiten des Nabelschnurbluts allerdings deutlich skeptischer. Für sie sind die Betreiber privater Blutbanken vor allem eines: gewiefte Geschäftemacher, die von der Angst der Eltern um ihre Kinder profitieren. „Diese Unternehmen üben einen moralischen Druck auf die Eltern aus, Geld für die Bluteinlagerung auszugeben“, sagt Stammzellforscher Ulrich Martin, Leiter der Leibniz-Forschungslaboratorien für Biotechnologie und künstliche Organe in Hannover. „Dabei ist es fraglich, was diese Zellen überhaupt können.“

Die einzige erfolgreiche medizinische Anwendung von Stammzellen aus Nabelschnurblut ist laut Martin bisher der Einsatz zur Blutbildung, insbesondere bei Leukämie. Hier wird die Therapie mit Nabelschnurblut schon seit längerem alternativ zu einer Knochenmark-Transplantation angewandt. Doch werden hier in der Regel keine Stammzellen aus dem eigenen Blut verwendet, sondern die eines anderen Spenders. „Bei den eigenen Zellen ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass auch sie die Krankheit schon in sich tragen“, erläutert Martin.

Sinnvoller, als das Blut privat einfrieren zu lassen, ist nach Ansicht von Experten deshalb, es öffentlichen Stammzellbanken zu überlassen. Davon gibt es in Deutschland fünf, in München, Mannheim, Freiburg, Düsseldorf und Dresden. Dort können alle von einer anonymen Spende profitieren – und nicht nur der Eigentümer der Blutbeutel.

Die anderen Heilungsversprechen der privaten Blutbanken – bei Diabetes oder Herzinfarkten etwa – hält Stammzellforscher Martin ohnehin für „utopisch“. Zumal niemand wisse, ob die Stammzellen nach mehreren Jahren oder Jahrzehnten im Stickstofftank überhaupt noch funktionstüchtig seien. Als vollkommen illusorisch schätzen Fachleute Aussagen der Blutbanken ein, mit Stammzellen aus Nabelschnurblut in absehbarer Zeit Organe nachzüchten zu können. Solche Versprechen seien „Science-Fiction“, sagt Gerhard Ehninger, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie.

Es ist in etwa so, als ob einem jemand ein Grundstück auf dem Mond verkaufen will und verspricht: Schon bald werden Sie dort ein Haus bauen können. Es ist ein Versprechen auf einen Fortschritt, der nicht völlig ausgeschlossen ist – aber auch nicht sonderlich wahrscheinlich.

Bisher ist der medizinische Einsatz der Nabelschnur-Stammzellen äußerst selten. Weltweit sollen nach Schätzungen etwa 1,5 bis 2 Millionen Nabelschnurblut-Beutel in weit mehr als 100 privaten Banken eingelagert sein. Nach Angaben von Gesine Kögler, Leiterin der öffentlichen José-Carreras-Stammzellbank an der Uni Düsseldorf, kam jedoch bisher nur in knapp 20 Fällen das Blut aus der eigenen Nabelschnur zum Einsatz. Und selbst in diesen wenigen Fällen hätte man laut Kögler die Patienten auch ohne die eigenen Stammzellen heilen können.

Selbst die Sprecherin von Vita 34 muss eingestehen, dass der Nutzen des eigenen Nabelschnurbluts heute noch gering sei. „Doch in einigen Jahrzehnten werden die medizinischen Möglichkeiten ganz anders aussehen“, prophezeit sie. „Im Bereich der regenerativen Medizin tut sich einiges.“

Potenziellen Kunden suggerieren die privaten Stammzellbanken allerdings, dass das Nabelschnurblut auch heute schon ein wahrer Wundersaft ist. Konjunktive oder gar Zweifel tauchen in Broschüren und Werbegesprächen so gut wie keine auf.

Beispiel Vita 34: Wer sich dort online als Interessierter registriert, bekommt innerhalb von 24 Stunden Infomaterial zugeschickt – inklusive eines Blanko-Vertrags „zwischen den zukünftigen Sorgeberechtigten des ungeborenen Kindes und Vita 34“. Wenige Tage später ruft eine Kundenbetreuerin an. Am Telefon spricht sie von einer einmaligen Gelegenheit, bei der Geburt eine „biologische Lebensversicherung“ abzuschließen. „Sollte es zu einer lebensbedrohlichen Erkrankung kommen“, sagt die Frau, „hat ihr Kind die Chance, wieder gesund zu werden.“ Auf Zögern reagiert die Kundenbetreuerin mit einem Angebot: Man könne die rund 2.000 Euro an Kosten auch in vier Raten aufteilen, die jeweils zu den Geburtstagen des Kindes fällig werden. Wenige Tage später findet sich ein Newsletter im Briefkasten, in dem Benedikt XVI. als Leumund genannt wird: „Papst für Nabelschnurblut“. Segen aus Rom – was kann da noch schiefgehen?

Nach Ansicht der Medizin-Ethikerin Alexandra Manzei erzeugen kommerzielle Blutbanken mit ihrer Werbung bei Eltern Schuldgefühle, die es ihnen erschweren, das Angebot abzulehnen. „Wer nicht privat einlagert, trägt später eine Mitschuld an der Erkrankung und an den womöglich mangelnden Genesungschancen des Kindes, so die unterschwellige, aber deutliche Botschaft“, schreibt sie in einer 80-seitigen Expertise für das Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft in Berlin. Manzei rät, die Finger von privaten Blutbanken zu lassen – wegen „medizinischer Sinnlosigkeit“. In Deutschland vermisst sie eine unabhängige Aufklärungsbroschüre, wie es sie in Österreich gibt. Denn bisher hätten selbst Frauenärzte und Hebammen teilweise keine Ahnung von dem Thema.

Und dennoch raten sie oft zur privaten Einlagerung. Auch bei der Berliner Mutter N.N. war es der Frauenarzt, der sie dazu ermutigte, das Blut ihres Uwes einfrieren zu lassen. Ob aus fachlicher Überzeugung oder Unkenntnis lässt sich freilich nicht sagen. Vielleicht gaben sogar finanzielle Interessen den Ausschlag. Denn Vita 34 bezahlt Ärzten, deren Patienten sich für die Einlagerung bei ihnen entscheiden, als Dankeschön ein Beratungshonorar von rund 50 Euro. Das sei „ganz normal“, sagt die Unternehmenssprecherin.

Für 2008 haben die Leipziger nun eine Marketingoffensive angekündigt. Das Ziel: 10.000 neue Kunden bis zum Jahresende.

Das Geschäft des Unternehmens scheint wie am Schnürchen zu laufen.

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