Disziplinaraffäre um Gewerkschafts-Chef: Für eine Handvoll Stunden

In Niedersachsen wurde der GEW-Chef Eberhard Brandt wegen Fehlstunden disziplinarisch verfolgt. Wollte Kultusministerin Heister-Neumann den Kritiker ausknipsen?

Die Affäre Brandt bereitet Kultusministerin Elisabeth Heister-Neumann zunehmend Kopfzerbrechen. Bild: ap

Bereits Am 20. April 2009 hieß es, gegen den Vorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Niedersachsens sei ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Grund: Eberhard Brandt wäre als Studienrat seinen Unterrichtsverpflichtungen nicht nachgekommen. Zum Beweis wurden wörtliche Zitate aus einem internen Vermerk der Landesschulbehörde präsentiert. Wie man heute weiß, stimmte an diesen Vorwürfen so gut wie nichts.

Brandt ist inzwischen rehabilitiert. Aber das Zustandekommen wirft Fragen auf - die Bildungsministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) schwer in Bedrängnis bringen.

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war das Verfahren noch gar nicht anhängig. Es wurde erst am 21. April in Kraft gesetzt. Der Beschuldigte erfuhr davon aus der Zeitung. Und Eberhard Brandt stellte sofort Strafanzeige wegen Verstoßes gegen das Niedersächsische Datenschutzgesetz. Zu Recht. Denn die Frage ist: Wollte da jemand aus der Landesschulbehörde oder dem Kultusministerium einen scharfen Kritiker öffentlich ausknipsen?

Brandt saß der Ministerin seit ihrem Amtsantritt im Frühjahr 2008 im Nacken. Und nicht nur er. Heister-Neumanns konzeptloses Wirken kostete Staatssekretär Peter Uhlig (CDU) den Kopf. Die schulpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Ursula Körtner, warf entnervt das Handtuch. Anlässe gab es genug: Heister-Neumann will zum Beispiel den Gesamtschulen das schnelle Achtjahresabitur aufzwingen - eine Maßnahme, die allerorten mit Kopfschütteln quittiert wird. Üblicherweise bieten die Länder die neunjährige Abivariante an Gesamtschulen an, um dort ein anderes Profil zu fördern.

Schüler, Eltern, Lehrerverbände und die Opposition forderten nicht nur einmal den Rücktritt der glücklosen Ministerin. Selbst Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) tobte. Aber nur hinter verschlossenen Türen.

Immer in der ersten Reihe der Heister-Neumann-Kritiker war auch Eberhard Brandt. Er ist stets eloquent, unbequem und ein bisschen nervig. Das brachte Ministerin Heister-Neumann offenbar so in Rage, dass sie jeden Kritiker attackierte. Erstes Opfer war im April der Landesschülerrat, den sie per Ordre de Mufti zum Stillschweigen verdonnerte. Als die Vorsitzende des Schulleitungsverbandes Helga Akkermann von "Fehlplanungen im Ministerium" sprach, drohte ihr Heister-Neumann mit beamtenrechtlichen Konsequenzen. Dass sie nun eine Affäre Heister-Neumann produziert hat, muss sie wohl auf ihre Kappe nehmen.

Seit dem Beginn der disziplinarischen Ermittlungen gegen Brandt sind viereinhalb Monate vergangen. Das Verfahren gegen den GEW-Chef wurde, weil gegenstandslos, eingestellt. Aber die Causa Brandt mausert sich zu einer schmutzigen Affäre.

Der Opposition stellt sich der Vorgang folgendermaßen dar: Die Kultusministerin Heister-Neumann (CDU) hat die Landesschulbehörde angewiesen, das Disziplinarverfahren gegen Eberhard Brandt einzuleiten. So wollte sie einen ihrer härtesten Kritiker mundtot machen. Regierungschef Christian Wulff (CDU) deckt die Sauerei, indem er Akten, die den Vorfall erhellen könnten, für "vertraulich" erklärt. Die Mitglieder des Kultusausschusses dürfen sie nun zwar lesen, aber öffentlich nicht daraus zitieren. Die große Frage lautet: Wozu erklärt eine Regierung so etwa Läppisches wie Fehlstunden eines Studienrats zum Arkanum, also zum schützenswerten Bereich der Exekutive? Gibt es da etwa etwas zu vertuschen?

Dafür gibt es starke Indizien. Am 22. August präsentierte die Braunschweiger Zeitung Aktenvermerke, die zeigen, dass die Landesschulbehörde nicht etwa freiwillig Vorermittlungen gegen GEW-Chef Brandt einleitete: Sie wurde angewiesen. Die zuständige Dezernentin tat das - aber nicht, ohne schriftlich festzuhalten: Das geschehe gegen ihre fachlichen Rat und nur nach "Vorgaben der Hausspitze des Kultusministeriums" und "wegen der politischen Bedeutung" des Falles. Aufklären lässt sich das momentan nur aus einem Grund nicht: weil die Regierung den Vorgang als "vertraulich" kategorisiert hat - damit ist er, zunächst, nicht justiziabel.

Die Regierungskoalition wiegelt ab. Die Landesschulbehörde habe gar nicht anders gekonnt, als das Disziplinarverfahren einzuleiten. Ein Standpunkt, der sich wie das meiste an Heister-Neumanns Einlassungen nur mit einem Schopenhauer-Diktum halten lässt: "Die Welt als Wille und Vorstellung".

Brandt ist Studienrat an einer Wolfenbütteler Gesamtschule. Als GEW-Chef und Angehöriger des Schulhauptpersonalrats stehen ihm Freistellungsstunden zu, die ihm bisher auch anstandslos bewilligt wurden. Im September 2008 reichte er einen weiteren Antrag ein. Diesmal verschleppte das Ministerium die Bearbeitung bis Januar 2009. Was bedeutete, dass 60 nicht geleistete Stunden aufliefen. Und genau diese Stunden lösten das Verfahren gegen Brandt aus. Die Gewerkschaft vermutet hinter den inszenierten Fehlstunden "gezieltes Mobbing".

Heister-Neumann selbst hat nun eine politische Todsünde für eine Ministerin begangen. Sie erklärte im Mai vor dem niedersächsischen Landtag, sie habe in der Causa Brandt nie eine Weisung erteilt. Desgleichen im Kultusausschuss. Stimmen die Akten der Braunschweiger Zeitung, dann hätte die Ministerin in diesem Moment das Parlament belogen. So etwas kann keine parlamentarische Demokratie zulassen.

Im Landtag scheiterte zwar ein Antrag der SPD auf Demission der Ministerin. Aber nun droht die Opposition, die Öffnung mit allen Mitteln zu erzwingen - etwa mit einem Untersuchungsausschuss.

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