Laptops in der Schule: Blogs sind cooler als Wilhelm Tell

Zwischen daddeln und Eigeninitiative: An einer Berliner Schule lernen Schüler mit tragbaren Computern. Sie lösen Matheaufgaben mit einem Lernprogramm und entwerfen eigene Blogs.

"Daddler driften ab in einer Notebookklasse." Bild: dpa

Selbstgebastelte Schaubilder hängen an der Wand im Klassenzimmer der Friedensburg Oberschule. "Was machst du in deiner Freizeit?", fragt ein Plakat. "Shoppen, 23 Prozent" steht ganz oben, es folgen Partys und, an dritter Stelle, Chatten. Dass das Kommunizieren mit dem Computer für die Schüler erst so weit hinten kommt, erscheint merkwürdig - denn wir sind in einer Laptopklasse.

Seit 2007 gibt es an der Friedensburg-Schule in Berlin-Charlottenburg eine Notebookklasse pro Jahrgang. Ziel ist es, in der Hälfte der Unterrichtszeit mit dem Laptop zu arbeiten. Finanziert werden die Notebooks von den Eltern. Paul Schuknecht sagt, die Eltern seien bildungsorientiert - interessierten sich eben für fortschrittliches Lernen ihrer Kinder. Rund tausend Euro müssen die Eltern einmalig hinblättern. Damit es keinen Neid gibt, haben alle ein Gerät gleicher Bauart.

Auf dem Stundenplan der 9. Klasse steht Mathe. Fünfzehn Schüler lümmeln auf ihren Stühlen, die eine Hälfte sind Mädchen, die andere Jungs. Sie sind überdreht. "Was war unser letztes Thema?", fragt Sven Zimmerschied, er ist der Lehrer. Die Schüler erinnern sich mühsam an die Potenzgesetze und stöhnen. Von Laptops ist weit und breit nichts zu sehen. Die Schüler sollen ausprobieren, ob sie eine Zeitung mehr als achtmal falten können.

Endlich sollen die Schüler ihre Laptops herausholen. Vernetztes Lernen, Ehrfurcht vor der Technik? Fehlanzeige, die Schüler kramen nach ihren Laptops, als wären es Mathebücher. Fünf von ihnen haben ihre Geräte zu Hause vergessen. "Ich habe euch doch vor den Ferien gesagt, dass ihr die Laptops mitbringen sollt!" - dann werden sie zu den Ersatzlaptops geschickt. Nachdem endlich alle versorgt sind, sitzen sie in Zweiergruppen vor den Bildschirmen und loggen sich ins WLAN ein. "Ich schreib jetzt SMS über Internet", ruft ein Mädchen. Eine andere schaffts nicht ins Internet - der ganz normale Schulwahnsinn.

Schließlich sitzen fast alle Schüler der Klasse 9 vor ihren aufgeklappten Notebooks. Regungslos fixieren sie den Bildschirm, tippen auf die Tastatur, bewegen kaum die Finger. Die Arbeitsblätter über Potenzgesetze liegen daneben, die Stifte sind unbenutzt. Stattdessen lösen sie mithilfe von Lernmodulen im Internet die Matheaufgaben.

Der Vorteil im Gegensatz zu normalen Arbeitsblättern sei das Erfolgserlebnis, so Zimmerschied. Die Schüler würden sofort sehen, wenn eine Lösung falsch ist, und müssten die Ergebnisse nicht einzeln vom Lehrer korrigieren lassen. Das scheint zu funktionieren. Sven Zimmerschied macht jedenfalls keinen Frontalunterricht. Er geht durch die Reihen, hilft, wo Hilfe nötig ist, und ermahnt, wo es laut wird. Es ist ruhig im Klassenzimmer. Zwei in die Tasten tippende Jungs hören über Ohrstöpsel Musik, ein Mädchen malt versunken in ihrem Heft, der Laptop bleibt unbenutzt.

Es sei wichtig, dass die Schüler am Computer ihren eigenen Weg finden, meint auch Schulleiter Paul Schuknecht. Durch das Anlegen von Dateien übten sie sich im Organisieren und müssten sich in Eigenregie mit Ordnungssystemen auseinandersetzen. Doch verlangt das den Schülern nicht zu viel erwachsenes Verhalten ab? Schließlich ist das Internet eine große Spielwiese, die Ablenkung von den eigentlichen Aufgaben ganz einfach möglich macht. "Bei jedem neuen Gerät gibt es Missbrauch", so Schuknecht. Doch mittlerweile sei der Computer als Arbeitsmittel selbstverständlich und habe die gleiche Bedeutung wie Stift und Papier. Statt Papierbriefchen unter dem Tisch weiterzugeben, würde jetzt eben gechattet, klar. Und uninteressierte Schüler gebe es immer. Ähnlich ist es mit Computerspielliebhabern. "Daddler driften ab in einer Notebookklasse."

Um im Umgang mit dem Notebook fit zu sein und einen Überblick über die "neuen Medien" zu bekommen, müssen alle Schüler ein Wahlpflichtfach in Computerkenntnissen belegen. Die Musik- und Sportlehrerin Tina Küchenmeister leitet das Fach "Medien & Kommunikation" und erstellt mit ihren Achtklässlern zum Beispiel Weblogs. David, 14, und Antares, 15, haben ein Blog über das 3-D-Programm Blender erstellt, in dem sie YouTube-Videos eingebunden haben. Betont cool präsentieren die beiden ihr Ergebnis und fachsimpeln über technische Details. Mit elf Jahren bekamen sie ihren ersten eigenen Computer. Ganz normal halt, erzählen sie schulterzuckend. Eine andere Schülerin betreibt ein Tagebuchblog, zwei Mädchen haben sich das Thema Twilight ausgesucht. Sie sind sichtlich stolz, Verantwortung übernehmen zu dürfen.

Tina Küchenmeister weiß, woher die Motivation kommt: "Wissen ist nichts mehr nur für Streber", sagt die 50-Jährige. Wer alle Fragen der Deutschlehrerin zu "Wilhelm Tell" beantworten kann, stehe vor seinen desinteressierten Mitschülern oft als doofer Musterschüler da. Sich mit Computern auszukennen würde von den Gleichaltrigen hingegen anerkannt, und sie entwickelten von allein den Willen, etwas zu lernen. Das leuchtet ein. Seit dem 1. Februar 2007 ist die Friedensburg-Oberschule Partner des Museums für Kommunikation im Rahmen des Projektes "Künste & Partner". Blogs sind dabei nur ein Bruchteil dessen, was die Schüler in dem Wahlpflichtkurs thematisieren. Im letzten Jahr manipulierten sie zum Beispiel das Computerspiel "World of Warcraft" so, dass verschiedene Figuren zu eigener, neu ausgesuchter Musik tanzen, anstatt mit Waffen zu hantieren. Dann erklärten sie Erwachsenen, was sie an dem Computer-Rollenspiel fasziniert.

"Wenn wir Erwachsenen die Schüler in ihrer eigenen Welt ernst nehmen, können wir etwas von ihnen erfahren", erklärt Paul Schuknecht den Sinn der Notebookklasse. Und bezieht sich auf den Pädagogen Hartmut von Hentig (der allerdings Computer in der Schule ziemlich überflüssig findet): "Die Schule sollte ein Ort sein, wo man sich bewähren kann." Das können dann eben Blogs sein, die die Schüler selbst erstellen, oder Programme, die sie sich aneignen - wenn nötig, mit der Hilfe eines Lehrers. Den Vorbehalt vieler Eltern, ihr Kind verlerne durch den Gebrauch von Laptops das Schreiben mit der Hand, weist Schuknecht zurück. Es wird ja nach wie vor mit Füller und Kuli geschrieben, nur eben nicht die ganze Zeit. Und am Computer würden die Schüler besser schreiben, nämlich schneller und effektiver.

Aber was ist mit den oftmals fantasievollen Ausreden der Schüler, wenn sie ihre Hausaufgaben vergessen haben? Etwa, der Hund habe sie gefressen oder das Heft liege leider noch zu Hause. "Jetzt heißt es eben, der Strom ist ausgefallen oder Drucker ist kaputt", sagt Schuknecht.

Beruhigend, dass sich die wichtigen Dinge nie ändern.

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