Auflösung von Sonderschulen: Protest auf der Endstation Sonderschule

Köln will die Ausgrenzung von behinderten Kindern in Sonderschulen beenden. Bis 2010 sollen doppelt so viele wie bisher den ganz normalen Unterricht besuchen - noch fehlen aber die Plätze.

Selbst wenn ein behindertes Kind einen der raren Plätze im gemeinsamen Unterricht bekommen hat - spätestens beim Übergang auf die weiterführende Schule endet die Integration. Bild: dpa

Der erste Schultag nach diesen Sommerferien war dramatisch. "Ich bin weinend mit meinem Sohn dahingegangen", erzählt die Mutter aus Köln. "Seine dritte Schule. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie es dem Jungen ging." Der zehnjährige Ahmet* leidet unter dem Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom, sagen die Ärzte. Nun besucht der türkischstämmige Junge eine Förderschule für emotionale und soziale Entwicklung - gegen den Willen der Eltern. Sie zweifeln, ob der Junge wirklich gut aufgehoben ist in einer Klasse, in der die Probleme künstlich konzentriert werden. "Hier wird seine Zukunft kaputtgemacht."

Endstation Förderschule. Der Fall ist drastisch und steht doch für die Regel in Deutschland. Viele besondere Kinder werden in sogenannte Förderschulen eingewiesen - obwohl sich ihre Eltern dagegen wehren. Dabei will gerade Köln das Abschieben in die Sonderschulen beenden: Der Rat der Stadt hat 2007 mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linken entschieden, künftig deutlich mehr Kindern mit Förderbedarf einen Platz in den normalen Schulen anzubieten.

Bis 2010 will die Stadt die Anzahl solcher Schulplätze auf 1.400 verdoppeln. 20 Prozent der behinderten und förderbedürftigen Kinder könnten dann eine Regelschule besuchen. Das wäre immer noch eine Minderheit - und trotzdem würde sich Köln mit einem solchen Wert an die Spitze der Integrationsbewegung katapultieren: Im Schnitt liegt die Quote in Nordrhein-Westfalen bei 12,6 Prozent. Die Elterninitiative "Mittendrin", die in Köln gut vernetzt ist, fordert, dass bis 2012 die Hälfte der besonderen Kinder der Stadt in die Regelschule gehen kann - bis 2015 sollen es sogar fast alle sein.

Beim gemeinsamen Unterricht gehen behinderte und nichtbehinderte Schüler in eine Klasse. Den behinderten Kindern stehen Sonderpädagogen zur Seite. Wissenschaftler empfehlen inzwischen einhellig diese Form der Förderung.

Donnerstagmorgen, Musikunterricht in der Peter-Petersen-Grundschule im Norden Kölns. 27 Kinder sitzen im Stuhlkreis und singen Herbstlieder - 27 ganz unterschiedliche Kinder. Die Großen ebenso wie die Kleinen. Schüler ohne und mit Behinderung, ob körperlich oder geistig. Ein paar Mädchen stellen sich in den Kreis. Sie wirbeln mit roten und gelben Tüchern zu den Gitarrenklängen. Zwei beste Freundinnen stehen nebeneinander: Die ältere kann allenfalls bis drei zählen, die junge hat einen Intelligenzquotienten von über 140.

Lehrerin Marietta Gawert ist fasziniert von diesen beiden Mädchen. "Bei getrennten Schulen wäre dieser Kontakt unmöglich gewesen", sagt sie. "Die Kinder gucken nicht so sehr auf die Defizite." Sie schauten eher, was sie voneinander lernen können.

Für Gawert ein Beweis, dass auch nichtbehinderte Kinder vom gemeinsamen Unterricht profitieren. Sie erzählt die Geschichte einer zurückhaltenden Viertklässlerin - die regelrecht aufblühte, als eines Tages ein Mädchen mit Gehschwierigkeiten in ihre Klasse kam. Sie nahm sich ihrer gehandicapten Mitschülerin an. Begleitete sie durch die Schule. Übte zwischen den Bäumen auf dem Pausenhof mit ihr das Laufen. "Nach und nach hat sie noch mehr Aufgaben übernommen und ist zum Schluss sogar zur Klassensprecherin gewählt worden", erzählt Gawert. Das körperlich behinderte Mädchen schafft inzwischen sogar einige Schritte ohne Hilfe. "So etwas ist doch enorm."

Dennoch muss die Peter-Petersen-Schule einem Großteil der Eltern behinderter Kinder absagen. 14 Förderkinder konnte die Grundschule zum neuen Schuljahr aufnehmen. Angefragt hatten aber über 50 Eltern aus dem ganzen Stadtgebiet. "Ob ein Kind am gemeinsamen Unterricht teilnehmen kann, ist für die Eltern immer noch schieres Glück", sagt Schulleiter Walter Heilmann. "Es gibt ganze Vororte ohne eine Schule mit gemeinsamen Unterricht."

In NRW ist es wie in so vielen Bundesländern. Zwar sieht das Schulgesetz vor, dass gemeinsamem Unterricht der Vorrang gegeben werden sollte. Aber garantieren will dafür niemand - so hat es ein neues Gutachten des Rechtsprofessors Ralf Poscher für die GEW gezeigt. Ahmet etwa, der Junge mit dem Aufmerksamkeitsdefizit, hatte noch vor den Sommerferien eine integrative Grundschule besucht.

Doch selbst wenn ein behindertes Kind einen der raren Plätze im gemeinsamen Unterricht bekommen hat - spätestens beim Übergang auf die weiterführende Schule endet für die meisten die Integration. In der Millionenstadt Köln gibt es derzeit gerade einmal zwei Gesamtschulen und neuerdings eine Hauptschule, die gemeinsamen Unterricht anbieten. Den 561 Plätzen für integrativen Unterricht an den Grundschulen stehen in der Stadt 220 Plätze an den weiterführenden Schulen gegenüber. Unterm Strich heißt das: Über 300 Förderkinder müssen nach einem hoffnungsvollen Start am Ende doch auf die Sonderschule. Der Kölner Ratsbeschluss zielt daher darauf, vor allem in der Sekundarstufe I die Plätze kräftig auszubauen.

Allein der Weg dorthin ist schwer. 18 Schulen hätten Interesse bekundet, künftig behinderte Kinder aufzunehmen, sagt die Kölner Schuldezernentin Agnes Klein (SPD), darunter neben vielen Grundschulen auch einige weiterführende Schulen. Sogar zwei Gymnasien wären dabei. 18 neue Schulen, das hieße aber auch: Die Stadt braucht mindestens 18 zusätzliche Sonderpädagogen - und über die entscheidet das Land.

Ein Handvoll Sonderpädagogen hat das Land auf Drängen der Stadt aus dem Umkreis nach Köln versetzt. Immerhin: Damit können nun etwa 70 Kinder mehr als im Schuljahr zuvor eine integrative Grundschule besuchen. An den weiterführenden Schulen sind neun zusätzliche Plätze entstanden. Von einer Verdoppelung ist man damit aber noch weit entfernt.

Mitten in die viel beschworene Kölner Trendwende platzte dann auch noch die Nachricht vom Ausbau einer Förderschule. Rund 10 Millionen Euro hat Köln für die Sanierung der Schule am Thymianweg genehmigt, ab dem nächsten Jahr rollen die Bagger. Neben neuen Klassenzimmern sind auch eine Bibliothek und eine Schulbühne vorgesehen.

Für Klein gibt es keine Alternative zum Ausbau. Seit rund zwanzig Jahren wartet die Schule, die mit ihren 220 lernbehinderten Schülern fast aus allen Nähten platzt, auf neue Räume. Aber wenn Förderschulen schon saniert werden müssen, findet die Schuldezernentin, dann so, dass sie eines Tages auch Kinder ohne Behinderung aufnehmen können. Klein spricht von "umgekehrter Integration". Interessanterweise unterstützt daher die Bonner Montag-Stiftung die Umbaupläne an der Förderschule - eine Stiftung, die sich eigentlich für integrativen Unterricht starkmacht. Geht es nach Klein, soll schon bald nach Bauende in der Förderschule der gemeinsame Unterricht starten. Bloß wie?

Aus dem Kultusministerium heißt es lapidar: "Das Schulgesetz sieht keine Aufnahme von Schülerinnen und Schülern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf in Förderschulen vor."

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