Einflüsse der US-Bürgerrechtsbewegung: Schwarze Befreier

Die Erfahrung aus dem Kampf gegen die Nazis ging in die Bürgerrechtsbewegung in den USA ein. Nun werden Erlebnisse schwarzer GIs in Deutschland werden erforscht.

Rhein-Main Air Base in Frankfurt am Main 1993. Sie war bis 2005 ein Stützpunkt der US-Luftwaffe. Bild: dpa

Am Tag nach der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald forderte ein Vorgesetzter den damals 19-Jährigen amerikanischen Soldaten Leon Bass auf, ihn zu begleiten. Bass, ein schwarzer GI, sieht die "Walking Dead" und stellte sich bald eine Frage, die ihm schon einmal durch den Kopf gegangen war, als er in den Ardennen tote US-Soldaten auf Lkws gesehen hatte: "Was tust du hier? Wofür kämpfst du?"

Zweierlei, so Bass, habe er damals verstanden: Zum einen, dass das Böse überall ist. Und zum anderen, dass es hier in Deutschland "ähnlich" wie zu Hause war. Leon Bass erzählt, er habe in Deutschland die "Fratze des Bösen" in den KZs gesehen: denn dessen Insassen - Juden, Zigeuner, Zeugen Jehovas, Katholiken, Gewerkschafter, Kommunisten und Homosexuelle - seien im KZ gewesen, weil die Nazis sie als "nicht gut genug" (not good enough) betrachteten, in ihrer Gesellschaft zu leben, als minderwertig. Auch er, Leon Bass, sei zu Hause als minderwertig betrachtet worden. Auch er sei für "not good enough" gehalten worden, in Georgia aus einem Wasserspender zu trinken, der für Weiße reserviert war; "not good enough", in Texas in einem Restaurant für Weiße zu essen. Vor allem aber sei er "not good enough" gewesen, in der Armee in einer Kompanie zu kämpfen, in der Weiße und Schwarze gemeinsam standen. Und er ahnte damals, er werde nach seiner Rückkehr in die USA wieder "not good enough" sein, die Bürgerrechte zu genießen, für die er in Europa kämpfte.

Seine Geschichte erzählte Bass kürzlich auf einer Konferenz über "African American Civil Rights and Germany in the Twentieth Century" am Vassar College in Poughkeepsie (USA). Er weiß selbstverständlich, dass es ein Unterschied ist, ob Angehörige einer Minderheit keine Rechte haben oder kein Recht auf Leben, und dass der Rassismus in den USA nicht mit der Vernichtung der europäischen Juden verglichen werden kann. Aber die Erfahrung aus dem Kampf gegen die Nazis half Leuten wie ihm, gegen den Rassismus in den USA, zu argumentieren.

Zwei bis drei Millionen Soldaten der nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland stationierten US-Truppen waren afroamerikanischer Abstammung. Ihre Erfahrungen in Deutschland und ihr Beitrag zur Entwicklung der Bürgerrechte in den USA ist Thema eines amerikanisch-deutschen Forschungsprojekts, an dem das German Historical Institute in Washington, das Heidelberg Center for American Studies und das Vassar College in Poughkeepsie (USA) beteiligt sind und das in ein weltweit verfügbares digitales Archiv münden soll. In der Berliner Landesvertretung Rheinland-Pfalz zeigt die Ausstellung "African American Civil Rights and Germany" nun eine Auswahl eindrucksvoller Fotografien und Karikaturen aus diesem Archiv.

"Es hat keinen Sinn, Demokratie zu predigen, und um sie zu erreichen, mit Milliarden Dollar und Millionen Toten und Verwundeten zu bezahlen, und dann die kämpfenden Männer auf der Basis ihrer Hautfarbe zu trennen", schrieb The Crisis, die Zeitschrift der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP), am 1. Juni 1945. Die unbeantwortete Frage in den USA nach Ende des Zweiten Weltkriegs lautete: Wieso können wir die deutschen Rassengesetze beseitigen, unsere eigenen aber nicht? Wie kann es sein, dass eine segregierte Armee versucht, die Deutschen zur Demokratie zu erziehen? Wie können wir mit einer Armee in diesem Zustand die Führung in der westlichen Welt beanspruchen?

Im "European Theatre", also auf dem europäischen Kriegsschauplatz, ging es um zwei Siege, um "double victory": Die Schwarzen wollten den Sieg gegen die Feinde der Demokratie im Ausland und gegen die Rassendiskriminierer zu Hause. Diese Hoffnung war umso berechtigter, als die African Americans sich ausgerechnet im Land der Nazis erstmals wie gleichberechtigte Menschen fühlten. Colin Powell, der 1958 in Deutschland stationiert war, formulierte es in seinem Buch "My American Journey" so: "Für schwarze GIs, vor allem für die aus dem Süden, war Deutschland ein Atemzug der Freiheit - sie konnten hingehen, wohin sie wollten, essen wo sie wollten, und ausgehen, mit wem sie wollten, genauso wie andere Leute auch."

Das Ausmaß der Akzeptanz schwarzer GIs durch die Deutschen dürfe nicht überschätzt werden, schränkt allerdings die am Vassar College lehrende deutsche Historikerin Maria Höhn ein. "Die Tatsache, dass so viele schwarze Soldaten ihren Aufenthalt in Deutschland als Befreiung ansahen, sagt vermutlich mehr über das Ausmaß der Diskriminierung von Afroamerikaner in den Vereinigten Staaten aus als über die Toleranz der Deutschen in dieser Zeit."

Unterm Strich trug die europäische Erfahrung durchaus zum Ende der Segregation bei, zunächst im Militär selbst. Maggie Morehouse, Geschichtsprofessorin an der University of South Carolina (Aiken) erinnerte an Trumans Executive Order 9981 von 1948, einen "wichtigen Meilenstein der Civil-Rights-Bewegung". Darin habe Truman die Segregation innerhalb des Militärs beendet. Zumindest auf dem Papier. Die "deutsche Erfahrung" hatte Wirkung gezeigt. Einige Lektionen für ihren Freiheitskampf hatten die Schwarzen an unerwartetem Ort erhalten, im Land der Nazis.

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